Der X-Account „Maga Nation“ ist eines der lautesten Megafone der MAGA-Bewegung im globalen elektronischen Dorf: Auf dem Account, dem knapp 400.000 Nutzer folgen, werden unermüdlich Pro-Trump-Beiträge gepostet: Nettes über den Präsidenten, Wüstes über seine Gegner. Unter anderem wurde eine Umfrage gestartet, in der die Nutzer darüber abstimmen konnten, ob der US-Immunologe Anthony Fauci und Bill Gates für die (angebliche) Finanzierung des „Covid Wuhan Lab“ wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgt werden sollen. Stramm rechte Ideologen aus den USA, sollte man meinen.

Doch das X-Konto wird dem Anschein nach nicht aus den USA betrieben, sondern aus Ost-Europa. Sichtbar wird dies durch eine neue Funktion („Über diesen Account“), die die Plattform am vergangenen Freitag ausgerollt hat. Wer auf einem X-Profil auf das „Beitrittsdatum“ klickt, dem werden weitere Informationen wie etwa Standort und Namensänderungen angezeigt.

X will mit der Funktion Bots, Hassfabrikanten und anderen Dunkelmännern zu Leibe rücken, deren Zahl seit der Übernahme des Dienstes durch Elon Musk im Jahr 2022 explodiert ist. „Wenn Sie Inhalte auf X lesen, sollten Sie deren Echtheit überprüfen können“, argumentiert Produktchef Nikita Bier. Dies sei „entscheidend“, „um einen Überblick über wichtige Themen in der Welt zu erhalten“, so Bier. Der Softwareingenieur hatte vor wenigen Wochen mit der Entwicklung des Tools begonnen, als ein Nutzer Musk fragte, ob Standortinformationen für Accounts verpflichtend seien. „Gib mir 72 Stunden“, antwortete Bier und lieferte.

Die neue Transparenzfunktion bringt jedoch für viele Nutzer unangenehme Folgen mit sich: Wie sich herausstellte, werden Teile der MAGA-Accounts aus „Osteuropa“ orchestriert (näher wird der Standort in den Account-Details oft nicht spezifiziert). Ausgerechnet diejenigen, die ein ethnonationalistisches Weltbild vertreten und Patriotismus predigen, erweisen sich nun als vaterlandslose Gesellen. Der Account „Trump Is My President“ ist in Mazedonien gelistet, wo im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 Studenten Fake News schrieben. Damals musste man Tweets noch von Hand schreiben. Heute geht das maschinell mit ChatGPT. Die Mehrzahl der MAGA-Accounts ist, wenn man den Angaben trauen darf, nicht in den USA registriert, sondern in Afrika und Indien. Ist MAGA also vielleicht doch eine aus dem Ausland gesteuerte Geheimdienstoperation?

Doch es gibt offensichtlich manchmal Probleme mit der Länder-Zuordnung: Die Verschwörungstheoretiker erhielten neue Nahrung, als auf dem offiziellen X-Account des Department of Homeland Security plötzlich „Tel Aviv, Israel“ als Standort ausgewiesen wurde. Sofort machten antisemitische Verschwörungserzählungen die Runde. „Vereinigte Sklaven Israels sind wir geworden“, ätzte ein Nutzer im Online-Forum Reddit. Inzwischen wird auf dem X-Account der US-Sicherheitsbehörde wieder „United States“ als Sitz angegeben. Aber wie das mit Verschwörungserzählungen im Internet so ist, wurden die Screenshots mit „Tel Aviv, Israel“ längst herumgereicht.

Die neue Standortfunktion ist in vielerlei Hinsicht entlarvend: Der X-Account der „Times of Gaza“, die angeblich vor Ort berichtet, befindet sich in „Ostasien und Pazifik“. Ein Journalist in Gaza-Stadt, der von der BBC als Augenzeuge zitiert wurde, schreibt laut seines Accounts aus Polen – auch über das aktuelle Wetter und über gerade angeblich stattfindende israelische Luftangriffe. Mittlerweile postet er Videos von sich aus Gaza, um zu beweisen, dass er tatsächlich vor Ort ist.

Unbestreitbar ist, dass zahlreich Accounts mit Namen wie „Native American Pride“, unter denen vorgeblich amerikanische Ureinwohner ihre eigene Kultur feiern, in Wahrheit aus Bangladesch betrieben werden. „Danke Elon, dass du diese Betrügereien aufgedeckt hast“, schrieb ein Nutzer. Es ist, als hätte Musk den Lichtschalter in einem dunklen Loch angeknipst und den Influencern die Masken vom Gesicht gerissen.

Was Musk zu diesem Schritt bewog, ist unklar. Der X-Eigner, der sich als „Free-Speech-Absolutist“ geriert, ließ im Maschinenraum der Plattform zahlreiche Änderungen des Algorithmus durchführen, die der MAGA-Bewegung nutzten, etwa laxere Moderationsregeln oder mehr Reichweite für polarisierende Posts. Dass Musk der MAGA-Bewegung nun eher schadet, indem er sie bloßstellt, wirft die Frage auf, ob der Tesla-Chef, der sich mit Trump überworfen hat, noch eine Rechnung offen hat. Die Aktion ist vor allem für Trump höchst peinlich. Andererseits desavouiert das Feature auch „woke“ Medien wie die BBC, die bei ihrer Berichterstattung über Gaza eventuell Schwindlern auf den Leim ging.

Musk ist mit seinem Wahrheitsfuror schon öfter übers Ziel hinausgeschossen. Und auch bei der hastig programmierten Funktion „Über diesen Account“ scheinen die Folgen kaum bedacht worden zu sein. Denn die Daten, die den Standort determinieren, sind offenbar ungenau; im Netz häufen sich Beschwerden über erratische Länderzuweisungen. Da ist zum Beispiel eine Nutzerin, die sich laut Profil in Argentinien befindet, das südamerikanische Land aber nach eigenem Bekunden noch nie besucht hat. Kein Einzelfall: Der Account des US-Influencers Hank Green wird in Japan gelistet, der des US-Unternehmens Avid in Spanien.

Die Gründe sind vielschichtig: Möglicherweise werden bei der Lokalisierung ältere IP-Adressen herangezogen oder IP-Adressen aus dem Ausland übergewichtet, wenn Nutzer reisen oder der Account eines global agierenden Unternehmens von verschiedenen Standorten auf der Welt kuratiert wird. Auch die Nutzung eines VPN-Clients, einer Art Tarnkappe, bei dem die IP-Adresse verschleiert wird, kann die Datenqualität beeinflussen.

„Entweder ist die Funktion völlig nutzlos, oder jeder ist ein ausländischer Troll“, kommentierte das Tech-Portal „The Verge“.Doch im gleichen Text wird eingeräumt: „Natürlich steckt in manchem davon auch ein Körnchen Wahrheit. Viele politische Empörungs-Accounts haben ihren Sitz nicht in den USA. Wir wissen schon seit Langem, dass Trollfabriken eine ausländische Einflusskampagne auf die amerikanische Politik führen.“ Auch finanzielle Interessen stecken hinter solchen Massenaccounts. Mal geht es darum, künstlich Engagement von Usern zu provozieren. Und die „Native American“-Accounts in Bangladesch bieten oft auch folkloristischen Nippes zum Kauf an.

Bei der all der Verwirrung, die das Tool nach kurzer Zeit gestiftet hat, steht zu befürchten, dass der Verweis auf den Standort Account-Informationen eher intransparenter macht. Die neue X-Funktion dürfte am Ende auf das Konto jener Verschwörungstheoretiker einzahlen, die schon immer glaubten, die USA seien fremdgesteuert.

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