Als ob Italien an diesem Wochenende noch nicht genug kirchliches Gepränge gesehen hätte. Am Samstag trat Papst Franziskus im Sarg auf dem Papamobil liegend unter Anteilnahme der Weltöffentlichkeit in Rom seinen letzten Weg vom Petersdom zur Basilika Santa Maria Maggiore an. Sonntags wurde das schlichte Marmorgrab präsentiert. Und Sonntagabend standen in der Lombardei auf der Bühne der Mailänder Scala schon wieder katholische Würdenträger in Massen bereit. Dort ereignete sich nämlich 45 Jahre nach Erscheinung eines der berühmtesten Romane unserer Zeit und 37 Jahre nach seiner Verfilmung die Veroperung von Umberto Ecos „Der Name der Rose“.

Komponiert hat den auf sieben Tage (plus Pro- und Epilog) in 24 Szenen, zwei Akten und drei Stunden verteilten Zweiakter mit einem italienischen wie französischen Libretto (für die koproduzierende Opéra de Paris) der 51-jährige Scelsci-Schüler Francesco Filidei; gleich vier Autoren nennt das Libretto. Außerhalb von Fachkreisen ist Filidei bisher nicht sonderlich bekannt, aber vor seiner nunmehr dritten Oper hat er sich für das Musiktheater immerhin schon mit der Sintflut und davor mit dem Häretiker Giordano Bruno beschäftigt.

Und brennen muss es auch im Finale von „Il nome della rosa“, wenn der ehemalige Franziskaner-Inquisitor William von Baskerville in einer Benediktinerabtei im ligurischen Apennin einer Mordserie unter den Klosterbrüdern auf die Spur kommt und am Ende der Täter das Kloster samt seiner Bibliothek mit dem einzigen Exemplar des zweiten Buches der aristotelischen „Poetik“ in Flammen aufgehen lässt. Denn dieser blinde, dem Schriftsteller Jorge Luis Borges nachgebildete Kustos Jorge da Burgos sieht in eben dieser Abhandlung über das Wesen der Komödie eine Waffe: Das Lachen könnte die Welt zerstören, weil es an keine Autorität mehr glaubt.

Da sind wir gegenwärtig leider schon weiter. Aber der bis heute in über 50 Millionen Exemplaren verkaufte Roman, der mittels einer Vielzahl von Zitaten und Anspielungen das Mittelalter smart mit der modernen Welt im Diskurs verbindet, wurde von seinem Semiotik-Professor-Verfasser angelegt als „eine Opera-buffa-Struktur mit langen Rezitativen und kunstvollen Arien“. Ihn, den Freund Luciano Berios, haben auch die gewaltigen Sinfonien Gustav Mahlers mit ihren jähen Brüchen und kontrastiven Klangwelten beeinflusst.

Francesco Filidei hat es jetzt freilich geschafft, diese 600 Seiten höchst komplexen in Literatur verwandelten Wissens in eine Oper umzuformen, die trotzdem gut strukturiert, klangatmosphärisch, dramatisch zugespitzt und unterhaltsam zu hören ist. Und der Scala gelang im Verein mit einem exzellenten Sängerensemble von 17 Protagonisten in 21 Rollen, drei Chören, Ingo Metzmacher am Pult sowie dem Regisseur Damiano Michieletto sowie seinem Dauerausstatter Paolo Fantin das rare Musiktheaterglück eines wirklich harmonischen, packenden Gesamtkunstwerks.

Das beginnt schon mit den ersten, mysteriösen Geräuschen, über die sich die verfremdet-verzerrte Stimme des alten Adson von Melk erhebt, der am Ende auch wieder schließt. Eine vom Chor wie der Elektronik getragene Inszenierung, die die Scala gleich zu einer Kathedrale der Töne werden lässt. Auf der weiträumig leeren Bühne aber thront der Chor scholarengleich in Partituren blätternd auf einer zweigeschossig sechseckigen Empore, kommentiert, treibt voran in mittelalterlicher Klangmanier, aber immer wieder modern überstrahlt und erweitert.

Von der Gregorianik bis zum „Rosenkavalier“ reichen Filideis raffinierte Zitate, viel Dialog treibt sich in oft rhythmisch überhöhtem Parlando voran, es gibt aber auch ariose Inseln, charakterstarke Momente, die die einzelnen Figuren determinieren. Im zweiten Teil ereignet sich eine theologische Auseinandersetzung samt Massenschlägerei, die dem Konzil-Akt von Pfitzners hier bisher nie gespieltem „Palestrina“ alle Ehre macht.

Brennendes Neonkreuz, mechanischer Skorpion

Immer wieder wird in einem durchdachten Gerüst und genau gewählten, aufeinander aufbauenden Tönen für jeden der gar nicht so sehr voneinander geschiedenen „Tage“ in harten Kontrasten gewechselt zwischen schmutzigen Geräuschfeldern, wo Luftballons, Bestecke, Geschirr, Tröten, die sieben Posaunen der Apokalypse, Ächzen, Stöhnen, Rasseln, Quietschen zum Einsatz kommen, und irisierenden, schwebenden Klängen, die vor allem der Liebesszene zwischen dem unbekannten Dorfmädchen und dem Novizen Adson vorbehalten sind. Mit ihrem nackten Alter Ego steht sie (die sopransüße Katarina Galka), die bereits vom schlecht gelaunten Inquisitor Gui (starker Mezzo mit Halbglatze: Daniela Barcellona) dem Scheiterhaufen zugeführt wurde, auch am Ende als Memento eines Glücksmoments mit Adson in der Mitte wie eine Art unheilige Dreifaltigkeit da. Man mag das kitschig nennen, aber auch das ist eine Nuance des Katholizismus.

Über allem schwebt ein schließlich brennendes Neonkreuz, umgeben von sich immer wieder herabsenkenden, durchscheinenden Schleiern, die die labyrinthisch unbetretbare Bibliothek mit ihren Geheimnissen symbolisieren, aber sich eben auch zur Rosenblüte formen. Am Boden aber lässt Michieletto fluide und doch genau gezeichnet die vielen Prälaten sich abwechseln: den passiv mauernden Abt (Fabrizio Beggi), den stets im Hintergrund düster präsenten blinden Jorge da Borgos (Gianlucca Buratto), den grotesken, von einer Ketzerbrüderschaft beeinflussten Salvatore (Roberto Frontali), den gleich in zwei Rollen ermordeten Countertenor Carlo Vistoli und vor allem den würdevoll schnüffelnden William von Baskerville (bassstark: Lucas Meachem) samt Adlatus Adson (die hellstimmig klare Kate Lindsey).

Und so wie der Komponist den Mönchsreigen im Tatort Kloster durch drei Countertenöre und zwei Frauenstimmen vokal abwechslungsreich hält, gelingt auch der Regie die Unterscheidbarkeit durch Kutten wie Roben in Orange, Rot, Blau, Gold, Grün, Grau, die ein eigenwilliges Farbenspiel ergeben. Dazu kommen nur wenige Requisiten, ein Toter im Bassin, ein riesiges Relief mit der Apokalypse des Johannes, hinter dessen Trümmer sich Seelen wie beim jüngsten Gericht wenden, ein mechanischer Skorpion, der einen andern gefallen Sünder zur Strecke bringt.

Das ist so souverän gelassen, dabei spannungssteigernd inszeniert wie auch die Musik in ihrem mathematischen doch zugleich sinnlichen Duktus voranschreitet, klug gebaut und disponiert, zugänglich, situativ passend, dabei doch unterschwellig komplex und disparat aufgeraut, ja immer wieder überraschend. Ingo Metzmacher hält das abwechslungsreich eingesetzte Orchester, Chöre und Kinderchor spielend und spielerisch in der straffen Dirigentenhand.

Das Warten auf diese Eco-Variante hat sich also gelohnt. „Der Name der Rose“ ist nach Kloster, Bibliothek und Kino nun auch in der Oper angekommen. Das Werk wird vermutlich nicht einen solchen Erfolgsweg gehen wie das weiblich katholische Opernpendant, die hier 1956 uraufgeführten, bis heute auch jeden Nichtgläubigen berührenden „Dialoge der Karmeliterinnen“ von François Poulenc. Aber man wird diesem starken Stück Musiktheater, das vor sieben Jahren eigentlich für ein deutsches Opernhaus angedacht worden war, sicher wiederbegegnen. Denn in „Il nome della rosa“ kann der Katholizismus neuerlich äußerst wirkungsvoll seine ganze Mystik wie Theatralität entfalten.

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