Hinter dem berühmten Museumsquartier erstreckt sich Wiens 7. Bezirk, den man oft den Bezirk der Bobos nennt. Dort sieht man kulturelles und ökonomisches Kapital in schönster Verbundenheit, schicke Boutiquen und aufregende Restaurants wechseln sich mit netten Kneipen und Kaffeehäusern ab. Und mittendrin, am Siebensternplatz, wo die blühenden Zierkirschen den Frühling begrüßen, befindet sich seit 25 Jahren das Kosmos-Theater, das zur wichtigsten feministischen Bühne der Stadt geworden ist.
Kein prächtiges Portal schmückt dieses unscheinbare Theater, nur ein großes K an der Fassade reckt sich über den Platz, darunter sind drei Bänke, auf denen „Kein Platz für Gewalt an Frauen! Nein heißt Nein!“ steht. Von hier geht man ein paar Stufen bis zur Kasse hinab und noch ein paar weiter bis zur Bar, wo man weißen Spritzer und Soda Zitron trinkt. Kunst hängt an den Wänden: Gemälde mit nackten Frauen und der Abdruck einer entblößten Frauenbrust, nur ohne „Male Gaze“ der klassischen Kunstgeschichte.
Halb entblößt geht es an diesem Abend auch auf der Bühne zu, beim Ringkampf im Riesenplanschbecken. Immer wieder klatschen die Leiber ins bunt eingefärbte Wasser, im Gegenlicht effektvoll in Szene gesetzt. Wer bei solcherlei Körpereinsatz an die in Wien geborene Extremperformerin Florentina Holzinger denkt, liegt ganz richtig: Sara Ostertag, die Regisseurin des Abends, arbeitet regelmäßig als Dramaturgin für Holzinger, zuletzt bei der aktuell zum Theatertreffen eingeladenen Opernperformance „Sancta“.
In Wien ist die 1985 geborene Ostertag ein kleiner Theaterstar. Mit ihrer Gruppe makemake hat sie in den vergangenen Jahren unter anderem das „Das große Heft“ nach Ágota Kristóf, „Alte Meisterin“ über die Malerin Maria Lassnig oder das Tarot-Musical „Run Wild In It“ auf die Bühne gebracht. Alle im Kosmos-Theater und von der Kritik bejubelt. Mit den nackten Körpern im Farbbombenhagel oder dem Actionpainting sieht es, wie bei Holzinger, nach einem feministisch gewendeten Wiener Aktionismus aus.
Für „Die Milchfrau“ hat Ostertag den autobiografischen Roman „Milchfrau in Ottakring“ von Alja Rachmanowa als Vorlage genommen. 1933 erschienen wurde das Buch zu einem Sensationserfolg, Ostertag macht daraus gemeinsam mit dem Musiker Paul Plut ein Musical mit Chorälen und Popmusik. Es geht um die Armut kleiner Leute, um Frauen, die sich prostituieren, und um eine brutale Gesellschaft, in der die Geschäfte wie das eingelassene Wasser im Bühnenbassin immer schmutziger und giftiger werden.
Das Publikum, keiner der fast 100 Plätze im Saal ist leer geblieben, ist von „Die Milchfrau“ begeistert und spendet stehend Applaus. Obwohl Ostertag auch an anderen Bühnen inszeniert, hat sie das Kosmos-Theater geprägt. Doch wird man sie mit ihrer Truppe auch demnächst noch hier sehen? Unwahrscheinlich. Die Theatermacherin übernimmt mit dem Theater in der Gumpendorfer Straße ab diesem Herbst ein eigenes, kleines Haus – nur eine der vielen spannenden Neubesetzungen in der Wiener Kultur.
„Die nackte Wut war es, die vor 25 Jahren zur Gründung des feministischen Kosmos Theater führte“, wird eine Podiumsdiskussion zum Jubiläum angekündigt. Es wurde sogar ein leer stehendes Pornokino besetzt, bevor man in die Räume des ehemaligen Kosmos-Kinos ziehen konnte, wo noch „Conan der Barbar“ mit Arnold Schwarzenegger seine Filmpremiere feierte. Dass sich dort nun die Feministinnen einrichten konnten, wirkt wie ein nachträglicher Kontrapunkt zu der geballten Leinwandmännlichkeit.
Am 15. Mai vor 25 Jahren öffnete das Kosmos-Theater seine Türen, damals noch als Kosmos-Frauenraum, die Umbenennung folgte später. Bei der Podiumsdiskussion „Wutentbrannt kaltgestellt? Feministischer Widerstand – heutig oder von gestern?“ ist auch Gründungsintendantin Barbara Klein dabei, die das Theater 18 Jahre leitete. Für ihre Verdienste wurde Klein unter anderem mit dem Goldenen Verdienstzeichen von Wien ausgezeichnet, nach ihr hat Veronika Steinböck die künstlerische Leitung übernommen.
Sind Meloni oder Le Pen ein Erfolg oder Misserfolg für den Feminismus?
Auf der Podiumsdiskussion wird lebhaft darüber diskutiert, was es heißt, feministisch Theater zu machen. Und es geht um all das, was sich in den vergangenen 25 Jahren verändert hat. Wurde der Feminismus – von „Body Positivity“ bis „Boss Girls“ – von der Werbung vereinnahmt? Sind Spitzenpolitikerinnen wie Meloni oder Le Pen ein Erfolg oder Misserfolg für den Feminismus? Was ist die richtige Parole für die heutige Zeit: Frauen an die Macht, Feministinnen an die Macht oder keine Macht für niemand?
Heute ist das Kosmos-Theater ein Anlaufpunkt für die freie Theaterszene in der österreichischen Hauptstadt geworden. Politisches, wie die Nationalratswahl mit dem gescheiterten Griff der FPÖ nach dem Kanzleramt, wird mit Stücken wie „Nach der Wahl sind wir nicht mehr so lustig. Eigentlich hätte es eine Komödie werden sollen“ von Aslı Kışlal und ihrem Ensemble unmittelbar auf der Bühne verhandelt. Ein Abend, der mit groteskem Politklamauk und resignativer Reflexion ein dankbares Publikum findet.
Viele Erst- und Uraufführungen stehen auf dem Programm. Darunter nachdenkliche und feine Abende wie Elisabeth Gabriels „Der junge Mann“ nach Annie Ernaux, in dem die Literaturnobelpreisträgerin ihre Affäre als ältere Frau mit einem jungen Studenten beschreibt. Und konfrontativere Abende wie Mateja Mededs Kunstbetriebsbeschimpfung „Fotzenschleimpower gegen Raubtierkaputtalismus“, in der die Künstlerin ihre Wut über das Juste Milieu herausschreit, während sie im Glitzeranzug übers Laufband rennt.
Als nächste Premiere steht jetzt „14.000 Kilo. Ein Abnehmkampf frei nach ‚Moby Dick‘“ von Maria Sendlhofer an, in dem Captain Ahabs obsessiver Wunsch, das riesige Tier abzuschlachten, mit dem Wunsch junger Frauen überblendet wird, Mehrgewicht zu verlieren. Oder sollte man statt „mehrgewichtig“ besser „dick“ oder gar „fett“ sagen? Auch darum wird es gehen. Das dritte Mal arbeitet die Regisseurin und Autorin Sendlhofer bereits am Kosmos-Theater, wo man eine Vielfalt feministischen Theatermachens sehen kann, die so gut wie nie dogmatisch und dafür meist spielerisch und unterhaltsam ist.
„14.000 Kilo. Ein Abnehmkampf frei nach ‚Moby Dick‘“ läuft ab dem 30. April im Wiener Kosmos-Theater.
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