Die Beatles haben es besungen, Jimi Hendrix hat es genommen und einen Gitarristen von Pink Floyd hat es in den Wahnsinn getrieben: LSD. Von den Hippies als Wunderdroge verehrt und in schriller Bubblegum-Ästhetik mit Flowerpower verewigt, sollte LSD nicht nur die berühmten „Pforten der Wahrnehmung“ öffnen, sondern gleich die ganze Welt verändern. Trip für Trip ins Paradies? Am Theater Basel schaut sich die LSD-Komödie „Die Ritter des Mutterkorns“ genau an, was von eskapistischen Träumen und Räuschen blieb – und verbindet virtuos Klamauk mit klugem gesellschaftskritischem Hintersinn.

LSD kann man sogar eine Basler Spezialität nennen. 1943 kommt es auf der Schweizer Seite des Rheins durch Albert Hofmann zum ersten bewusst herbeigeführten und dokumentierten LSD-Trip der Drogengeschichte – mit der legendären Fahrradfahrt des jungen Naturwissenschaftlers auf LSD-25. Im Labor forscht Hofmann an dem giftigen Mutterkornpilz. Einzelne Bestandteile sollen für Medikamente gegen Migräne oder Geburtsschmerzen verwendet werden. Doch nach Hofmanns Selbstversuch wird ein neues Anwendungsgebiet anvisiert, wie Psychosen, Angst- und Zwangsneurosen.

Nach Hofmanns Entdeckung boomt in der Schweiz der Anbau von Mutterkorn. Die Pharmaindustrie wittert Gewinne, auch für die Bauern fällt etwas ab. Den Durchbruch in die Popkultur feiert LSD jedoch im fernen Kalifornien, wo sich eine junge Generation von Bürgerkindern für Bewusstseinsveränderungen aller Art begeistern kann. Der Mythos LSD trägt nicht unwesentlich zur kalifornischen Ideologie bei, deren Siegeszug in der Gegenkultur der Hippies beginnt und bis zu den heutigen Tech-Giganten des Silicon Valleys reicht. Und bei der disruptionsfetischistischen Bewusstseinsindustrie im frühen 21. Jahrhundert kann man sich gelegentlich schon fragen: Ballert’s eigentlich noch?

„Die Ritter des Mutterkorns“ lässt Drogen- und Gesellschaftsgeschichte lustvoll aufeinandertreffen. Der Text stammt von Theatertausendsassa Jörg Pohl, für den es offenbar nichts gibt, was er nicht kann. Eigentlich Schauspieler, zum Beispiel mit seinem gefeierten Solo „Moby Dick“, brillierte Pohl auch im Regiefach („Mann ist Mann“) und jetzt noch als Autor. In „Die Ritter des Mutterkorns“ steht er außerdem auch auf der Bühne. Ach ja, und Ko-Intendant der Basler Schauspielsparte ist Pohl auch noch.

Das Stück beginnt mit Hofmann (Jens Rachut), der sich einen allerletzten Trip einwirft. Wehmütig denkt der Entdecker des LSD noch an die gemeinsamen Drogenexzesse mit „Stahlgewitter“-Autor Ernst Jünger, da rücken bereits seine Jünger (nicht Ernst, sondern Fabius, George und Hans-Ruedi) an, die sich als grotesker Geheimbund mit peinlichen Uniformen und Umgangsformen aufführen (neben Pohl sind das Bärbel Schwarz und Fabian Dämmich). Die elitären Drogenfans suchen eine Schatulle mit LSD-1000. Nur ist die irrtümlich in den Händen von Hofmanns Haushälterin (Marie Löcker) gelandet.

Logischer Endpunkt aller Hippieträume

Wie in jeder guten Screwball-Komödie beginnt nun eine flotte Verfolgungsjagd nach dem begehrten Objekt, in deren Verlauf noch ein verstrahlter Hippie-Guru (Jan Bluthardt) aufgesammelt oder eine zurückgezogene Laborhoheit (Annika Meier) aufgescheucht wird. Höhepunkt des Durcheinanders ist eine überdrehte Tortenschlacht, der eine zum Schreien komische Szene vollendeter Objektverwirrung vorangeht, so präzise geprobt wie ein Schweizer Uhrwerk. Das Ensemble spielt sich in einen Komödienrausch!

Mit zahlreichen Anspielungen auf die wundersame Geschichte des LSD mit ihren nicht weniger wundersamen Protagonisten gespickt, spinnt der Text ein weiteres Ereignis aus Hofmanns Todesjahr in die Handlung ein: die 2008 ausgebrochene Finanz- und Wirtschaftskrise. So tingelt die muntere Jagd- und Tripgesellschaft auch beim World Economic Forum in Davos und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel vorbei, um die sogenannten Spitzen der Gesellschaft mit dem hochpotenten LSD-1000 zu kurieren. Die absurde Fantasie erweist sich als logischer Endpunkt der Hippieträume.

Was mit Hofmann einigermaßen ruhig beginnt, wird unter der Anleitung von Regisseur Rocko Schamoni (Studio Braun) zu einem wilden Bühnenvergnügen. Videokünstler Luis Krawen greift am Ende noch tief in die Effektkiste für Psychedelisches, während die Ausstattung von Dorle Bahlburg sonst auf Flowerpower-Kitsch verzichtet und ein gutes Komödiensetting schafft. 50 Jahre nach Monty Pythons „Die Ritter der Kokosnuss“ steht „Die Ritter des Mutterkorns“ auch für eine vom Aussterben bedrohte Humorgattung, die Albernheiten und Unfug mit Ernsten und Bedenkenswertem zu vermischen weiß.

Zu bedenken wäre zum Beispiel, ob die im Stück überzeichnete quasireligiöse Überhöhung der „Chemischen Intelligenz“ bereits dem Transhumanismus der „Künstlichen Intelligenz“ den Weg bereitet. Wovon wollte die Hippies sich eigentlich mit LSD & Co. erlösen, etwa vom Denken selbst? Steckt hinter der propagierten Erweiterung des Bewusstseins bereits dessen Ablösung von der Realität, letztlich gar die Abschaffung durch eine Traumwelt des Ballaballa? Oder eine Einübung in die Psychose, die zum Normalzustand des dissoziierten Subjekts der Spätmoderne geworden ist? Nach zwei Stunden fühlt man sich ganz ohne Drogen sehr gut unterhalten und klug angeregt.

„Die Ritter des Mutterkorns“ läuft am Theater Basel.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.