Um Brigitte Bardots Verwandlung vom zügellosen Männertraum zur „zänkischen Alten“ zu verstehen, vom „immer lockenden“ Weib zur radikalen Tierschützerin, die mehrmals wegen rassistischer Äußerungen verurteilt wurde, ist es vielleicht hilfreich, zu akzeptieren, dass es womöglich gar keine Verwandlung gab.
In die Wiege gelegt war ihr der Ruhm als Sexsymbol ja nicht gerade: Mit Zahnspange, Brille und aschblondem Haar war die 1934 in Paris geborene Industriellentochter, kurzsichtig und aufmüpfig, das Gegenteil der hübschen, braven Schwester Mijanou, des Lieblings der Eltern. Die Bevorzugung der Jüngeren bescherte ihr zeitlebens „die Unsicherheit eines Menschen, der auf einer Abendgesellschaft erscheint, zu der er nicht geladen ist“. Außer Komplexen brachte ihr das aber auch Trotz und Beharrungsvermögen. „Zum Glück nützte die Spange nichts“, schrieb sie 1995 in ihren „B.B. Memoiren“, „und ich behielt meine Hasenzähne, denn sonst hätte es den weltberühmten Schmollmund nie gegeben!“ Die Zahnpracht hatte sie übrigens dem vielen Daumenlutschen zu verdanken, schrieb sie in einem flunkernden Ton, als sei diese frühe Leidenschaft schon ein Verweis auf spätere Maßlosigkeiten gewesen.
Als Titelmädchen der „Elle“ fiel das junge Mannequin dem Regisseur Marc Allégret auf, und dessen Assistent hieß: Roger Vadim. Er wurde ihr erster Mann. Bardots Eltern fanden diesen Bohemien ebenso unpassend für ihre Tochter wie eine Karriere als Schauspielerin: Ist das nicht zu nah an der Prostitution? Der Familienrat tagte, Großvater „le Boum“, der „wichtigste Mann“ in Bardots Leben, schlug auf den Tisch und sagte, wenn das Kind unbedingt eine Hure werden wolle, würde es das auch ohne den Film hinbekommen. Sein Machtwort zählte, und so wurde sie blond und zu „B.B.“, zur Ikone, die noch bis weit in die Neunziger hinein nachgeahmt wurde, von Claudia Schiffer bis Pamela Anderson.
Schön fand sie sich nie, was sie nach eigener Aussage immer überaus dankbar sein ließ, wenn ein Mann ihr Komplimente machte. Als sie sich vor den Augen ihres Mannes Roger Vadim in Jean-Louis Trintignant verliebte, ihren Filmpartner in „…und immer lockt das Weib“, fand sie das nur natürlich, sie sollte ja natürlich spielen. „Die Zeitungen stellten mich als männermordende Bestie, als untreues und schamloses Weib hin. Dabei war ich verliebt, sonst nichts!“ Und sie verliebte sich oft, was sollte sie tun?
Die Meinung der anderen war ihr egal
Dieses Pfeifen auf die Meinung Anderer nötigte stets sogar den kritischsten Zeitgenossen Bewunderung, ja Zuneigung ab. Als sie noch jung und sexy war, stellte das eine reizvolle Herausforderung für die Intellektuellen ihrer Zeit dar: Dem Philosophen Roland Barthes zufolge verkörperte sie eine Freiheit, deren erstes Opfer sie selbst geworden sei. Regisseur Louis Malle erhob sie zur „Dreifaltigkeit“ aus Mensch, Schauspielerin und, tja, dem „Mythos“, der eben „alles so kompliziert“ mache. Die Schriftstellerin Marguerite Duras sah in „Königin Bardot“ eine Art Universal-„Wachspuppe“, die für Männer weltweit das Gegenbild zur eigenen Ehefrau repräsentiere. Und Simone de Beauvoir stellte verblüfft fest, Brigitte Bardot „isst, wenn sie Hunger hat, und auf die gleiche natürliche und unkomplizierte Art liebt sie“. Sie tue, was sie wolle, „und genau das ist verwirrend“. Der Vatikan geißelte sie als Verkörperung des Bösen.
Andere Schauspielerinnen galten als geheimnisvoller, vielschichtiger, kunstvoller, klüger. Deren Kurven wurden drapiert, geschnürt, ins rechte Licht gerückt; die athletische Bardot ließ sich vom Wind zerzausen und tanzte ungestüm. „Ich zeigte mit meinem Körper nur eine schöne Hülle, warum nicht? Meine Seele dagegen habe ich nie gezeigt.“ Von Natur aus, schrieb sie, sei sie „schamhaft“. „Sie ist einfach nur sie selbst“, hatte Vadim einmal gesagt. Wem sie vertraute, so schrieb sie, dem zeigte sie sich am liebsten, „wie ich war, wie ich bin und wie ich immer bleiben werde“: ewig unverbesserlich.
Ins Pariser „Maxim’s“ ging Bardot barfuß, im hautengen Kleidchen und mit wehendem Haar. Noch lange vor der Massenadaption der Hippie-Lässigkeit wurde sie so zum Inbegriff eines progressiven Frauenbilds. Dieses Image verdeckte im Grunde ihre Antimodernität, ihre Abneigung gegen Flugzeuge, Plastik, das ganze „entmystifizierende 20. Jahrhundert“. Und das 21., das war ja auch nicht besser. Männer? Verweichlicht! Schauspielerinnen, die unter dem Hashtag „MeToo“ über Belästigung klagen? „Lächerlich“, die wollten doch nur Aufmerksamkeit!
Viele Ausrufezeichen stehen in ihren Autobiografien, oft ist das ein le-Boum-haftes Mit-der-Faust-auf-den-Tisch-Hauen, mit dem sie ein falsches Bild von sich gerade rücken will, pah! Dass sie mit Tieren schon als Kind tieferes Mitleid empfand als mit Menschen, dass sie bei Dreharbeiten oft Panik ergriff „gegenüber allem, was mir fremd erschien“, kann man da lesen. In den 1950er Jahren bekam sie in einem feinen New Yorker Restaurant keinen Einlass, nur weil dort Frauen in Hosen genauso unerwünscht waren wie „Juden und Schwarze“. Daraufhin schwor sie sich, keinen Fuß mehr in dieses Restaurant, diese Stadt, dieses Land zu setzen. Da überrascht es nicht, dass sie auch nicht gerade tolerant gegenüber jenen auftrat, die Frauen in der Öffentlichkeit vollständig verhüllt sehen wollen.
Sie sah stets das Zeitlose, Archaische, Instinktive auf ihrer Seite. Dort ist man kein Opfer, jedenfalls nicht über den Moment hinaus. Wenn man zum Beispiel 16 ist und der eigene Vater einem vor den Augen des Freundes den nackten Hintern versohlt, nur weil man zehn Minuten verspätet nach Hause kommt. Oder wenn der Regisseur Henri-Georges Clouzot einem heimlich starke Schlaftabletten verabreicht, einem absichtlich mit seinen Absätzen auf die nackten Zehen tritt und einen ohrfeigt, damit man für die Rolle in „Die Wahrheit“ (1960) auch wirklich schön verzweifelt ist (immerhin schlug sie zurück und verlangte eine Entschuldigung). Von prügelnden Gatten, Erpressungsversuchen und Bedrängungen lüsterner Politiker, Produzenten und Journalisten ganz abgesehen.
B.B., das „french sex-kitten“, wie manche Zeitungen sie genannt hätten, die „perverse Kindfrau“, die Ehen zerstört und wie der Teufel tanzt, die wollte es doch nicht anders! Ähm, vielleicht doch. Nach mehreren Selbstmordversuchen hörte sie statt mit dem Leben dann doch lieber bloß mit der Schauspielerei auf. Mit 38 Jahren. Sie rettete fortan nur noch Tiere, protestierte gegen das Schächten und beklagte immer wieder, sich „fremd im eigenen Land“ zu fühlen.
1992 lernte sie im Umfeld des Front National ihren letzten Ehemann kennen, Bernard d’Ormale, einen engen Freund Jean-Marie Le Pens, „der sich genau wie ich über gewisse Dinge entrüstet“. Ein politischer Mensch sei sie nie gewesen, „aber ich habe genaue Vorstellungen über gewisse Dinge, die offensichtlich sind, und mein Instinkt täuscht mich selten“. Kein Wunder, dass ihre Gesprächspartnerinnen, wie Katja Nicodemus 2006 für die „Zeit“, oft hin und her gerissen waren zwischen dem Impuls, Bardot für ihr „Stammtischgerede“ zu schütteln und dem Wunsch, sie für Sätze wie „Ich war immer der Mann meines Lebens“ in den Arm zu nehmen.
Auch den eigenen körperlichen Verfall rechnete sie dem Tierhaften zu, das es zu respektieren galt. Ab einem gewissen Alter, so lautete ihr Credo, stehe ein Gesicht ohne Falten im Widerspruch mit dem Inneren eines Menschen. „Wenn ich älter werde, werde ich eben älter,“ sagte sie 2018 im Gespräch mit dem zur „Welt“ gehörenden „Iconist“. In praktischer Radlerhose – wegen der sabbernden Hunde, die ständig um sie herum wuselten – empfing sie damals die Journalistinnen Inga Griese und Céline Lauer auf ihrem Anwesen La Garrigue in den Anhöhen über Saint-Tropez und beeindruckte ihren Besuch durch ihre Natürlichkeit: kein Botox, kein Lifting, keine künstliche Farbe auf der grauen Mähne. Sie zog an ihren Zigaretten, atmete Bonmots aus und schenkte Champagner ein.
Sie selbst sah sich nicht als Schauspielerin
Schauspielerin sei sie nie gewesen, behauptete sie. „Ich bin nie in die Haut einer Person geschlüpft, sondern habe die Filmfiguren immer in mich hineinversetzt. Das ist ein großer, bedeutender Unterschied.“ Nur mit der Mutterrolle kam sie nicht klar, und sie nahm es sich sehr übel, dass ihr die Vorstellung, ein Kind zu haben, wider jeden vermeintlich gesunden Instinkts einfach nur große Angst einjagte. Bei ihrem Sohn Nicolas, der beim Vater Jacques Charrier und den Großeltern in Norwegen aufwuchs, entschuldigte sie sich später dafür. Eine ihrer Enkelinnen lernte Französisch, um sich mit ihr unterhalten zu können, ein Umstand, den sie am Ende ihres Lebens oft und fröhlich erwähnte.
Überhaupt scheinen die dauerhaftesten Beziehungen in Bardots Leben die zu Frauen gewesen zu sein. Zu liebevollen Gouvernanten, alten Damen, die sie bis zuletzt versorgte, zu ihrer Agentin, zu Schauspielkolleginnen. Es gab da ja diese Verdoppelungstendenz mancher Regisseure: Mit Jeanne Moreau spielte sie in Louis Malles „Viva Maria!“ ein doppeltes Mariechen, mit Claudia Cardinale lieferte sie sich in ihrem drittletzten Film, der Western-Persiflage „Petroleummiezen“ von Christian-Jacques, eine endlose Prügelei, bis die Fetzen reizvoll flogen. In ihrem vorletzten Film, Vadims „Don Juan 73“, räkelt sie sich mit Jane Birkin zwischen den Laken, was beiden ziemlich „peinlich“ gewesen sei. Doch statt Fantasien eines prickelnden Zickenkriegs anzuheizen, waren die Begegnungen von Herzlichkeit, Humor und Freundschaft geprägt.
Was bleibt von ihrem filmischen Werk? „Die Verachtung“ von Jean-Luc Godard (1963) gilt bis heute als Meisterwerk, „Privatleben“ (1962) von Louis Malle thematisiert auf noch immer beklemmende Weise die autobiografisch getönten Verfolgungen eines Filmstars durch die Presse. Claude Autant-Laras „Mit den Waffen einer Frau“ an der Seite Jean Gabins, Clouzots „Die Wahrheit“, Malles „Viva Maria!“, Vadims „….und immer lockt das Weib“ sowie Michel Devilles „Der Bär und die Puppe“ (1970) zählte sie selbst zu ihren besten Filmen. Nein, es war nicht alles schlecht in ihrem früheren Leben. Und: „Erst jetzt, da diese Schönheit verschwunden ist, da alle darüber reden, denke ich mir: Mannomann, ich war verdammt noch mal doch gut geraten!“ Am Sonntag, den 28. Dezember ist Brigitte nach Angaben der Bardot Foundation und übereinstimmenden Medienberichten gestorben. Zuletzt hatte sie mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, war mehrere Wochen im Krankenhaus. Sie wurde 91 Jahre alt.
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