Christian Lorenz blickt zurück. Einst hatte der als „Flake“ bekannte Keyboarder in der DDR-Punk-Band Feeling B gespielt, bevor er mit der Neue-Deutsche-Härte-Formation Rammstein internationale Erfolge feiern konnte. Im Rahmen von Gregor Gysis Talk-Format „Missverstehen Sie mich richtig“ äußerte er sich nun über seine Ost-Jugend, die Wendezeit und zu Vorwürfen, sich einer faschistischen Ästhetik zu bedienen.
„Objektiv gesehen lief es nicht so gut“, erinnerte sich Lorenz an seine Kindheit. Er sei nicht hoch angesehen gewesen, da er stark gestottert und Klavierunterricht bekommen habe, zum Psychologen und zur Schwimmnachhilfe gemusst hätte. „Sport ist ein sehr wichtiges Thema bei Kindern und Jugendlichen. Wenn man da schlecht ist, dann zieht man die Gruppe runter“, erzählte er. „Wer mal in der DDR Schwimmunterricht hatte, weiß auch, wie das da ablief. Da ist man ins Wasser geschubst worden, dann hat er die Stange reingehalten und wenn man Glück hatte, ist man drangekommen.“
Auf dem Schulhof habe er sich vor seinen Mitschülern verstecken müssen. „Manchmal kamen sie auf die Idee, mich in die Mülltonne zu stecken. Wir hatten ja im Osten diese schönen Schubcontainer“, berichtete Lorenz. Als Werkzeugmacher habe er später für jene Tonnen den Schriftzug „Bitte keine glühende Asche einwerfen“ ausgesägt, erzählte er hocherfreut. „Manchmal sehe ich noch eine irgendwo. Dann bin ich richtig stolz. Also, ich habe etwas geschafft im Leben.“
Zu seinen Berufswünschen zählten Pilot, Erfinder oder Feuerwehrmann, um eine Mitschülerin aus der ersten Klasse zu retten. Als „richtiges Lebensziel“ schilderte er, Arzt zu werden. „Chirurg ist für mich so was Klares. Da ist eine Entzündung, die schneidet man raus und gut ist“, schilderte er gegenüber Gysi. Seine spätere Profession zählte dagegen nicht zu seinem beruflichen Ansinnen. „Musiker ist für mich kein Beruf“, erklärte er. Eher ähnele es einem natürlichen Bedürfnis wie der Atmung. „Da sage ich auch nicht, ich atme die nächsten zwei Jahre.“
Hinsichtlich der DDR sei er stets hin- und hergerissen gewesen. „Ich fand die Grundidee richtig gut. Ich find‘ den Sozialismus als Idee richtig gut. Ich find‘ gut, dass man zusammen für ein Ziel kämpft und sich nicht jeder individuell durchkämpft“, bewertete er die Staatsideologie Ostdeutschlands.
Als Punk habe er jedoch auch viele Aspekte abgelehnt. „Natürlich fand man diese Beton-Regierung völlig versteinert“, stellte er klar. Er habe es als schlimm empfunden, „dass sie Angst vor der eigenen Jugend hatten, dass sie Punks verhaftet haben, dass sie an der Grenze auf Leute geschossen haben“. Trotzdem habe er auf Reformen und eine funktionierende sozialistische Regierung gehofft.
„Ich wäre nie auf die Idee gekommen, in den Westen zu gehen, weil der Westen war für mich keine Alternative zur DDR“, erteilte Lorenz den Verheißungen West-Deutschlands eine Absage. Lieber habe er in der DDR-Punk-Band Feeling B gespielt, „um die Sache von innen her aufzulockern, um diese Beton-Kruste irgendwie aufzubrechen“.
Ein erhebendes Gefühl sei es auch gewesen, sich an Demonstrationen zu beteiligen. Diese hätten sich abgehoben von den Aufmärschen zum 1. Mai, die er als „träges Gelatsche an Honecker vorbei“ charakterisierte. „Gerade dadurch, dass die Polizei so hart reagiert hat, hat man gemerkt: Irgendwo hat man einen Punkt gefunden.“
Die anfängliche Euphorie des Mauerfalls verflog Flakes Schilderungen zufolge zügig. „Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass wir eine ganz kurze Zeit ein bisschen spielen durften und dann kam wieder der Ernst“, erinnerte er sich. In seinem Bekanntenkreis seien 1990 ausschließlich PDS oder Bündnis 90 gewählt worden. Als sich bei der Wahl eine Mehrheit für die „Allianz für Deutschland“ aussprach, sei er geschockt gewesen.
„Ich habe erst gar nicht geglaubt, dass es Menschen gibt, die im Osten sagen: Jetzt ist die DDR vorbei, jetzt gehen wir schön in die CDU“, berichtete er noch immer perplex. „CDU war für mich das Feindbild. Helmut Kohl? Wer will von Helmut Kohl regiert werden? Ich dachte nicht, dass das jemand freiwillig macht.“ Besagte Kanzlerschaft empfand er als Wendepunkt zum Negativen. „Ab dann ging’s in meinen Augen steil bergab.“
Gysi konfrontierte den Musiker auch mit einem Kommentar des Philosophen Slavoj Žižek, der 2010 gegenüber der „taz“ gesagt hatte: „Rammstein sabotiert auf obszöne Weise die faschistische Utopie.“ Die früher wiederholt erhobenen Vorwürfe, sich einer faschistischen Ästhetik zu bedienen, ordnete Lorenz als Missverständnis ein. „Es ist für Medien schwer, uns einzuordnen“, räumte er ein.
Vor allem das Video zu „Stripped“ hatte für Aufsehen gesorgt, da die Band dafür Aufnahmen aus dem Propagandafilm „Olympia“ von Leni Riefenstahl genutzt hatte. „Es heißt ja: ‘Let me see you stripped down to the bone‘. Also, guck wirklich hin, guck bis auf den Knochen und nicht auf die Oberfläche“, erläuterte er nun. Ziel sei es gewesen, die Leute zu ermahnen sich nicht von den „schönen Bildern“ täuschen zu lassen. „Das haben die Leute wirklich nicht verstanden.“
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