Da sind schon ein paar seltsame Gestalten auf meinen Bildern“, sagt Rosa Loy. Und wie sie so mit einem sympathisch augenblitzenden Lächeln und wehenden Haaren vor ihren Gemälden auf- und abgeht, mit bunt gemustertem Rock, dem Bernsteinklunker um den Hals und einem Seidentuch um die Schultern, sie könnte selbst eine dieser Gestalten sein. Weibliche Figuren sind es allesamt, die allerlei alltägliche, aber auch eigenartige Dinge tun.
„Verrichten“, würde ihr Mann sagen, aber dazu kommen wir später. An den Wänden der Leipziger Galerie Kleindienst sehen wir Frauen, die sich kümmern, Frauenfiguren, die sich pflegen oder gepflegt werden, man erkennt auch einsame Frauenköpfe ohne zugehörige Körper. Die weiblichen Gestalten wirken mitunter wie Theaterschauspielerinnen in ihren bunten Kostümen, eine hängt die Wäsche auf. So wie es auch die Malerin selbst in ihrem Garten macht, erzählt Rosa Loy, während sie Journalisten durch die Galerie führt.
Überhaupt der Garten. Es habe gar keinen Frost gegeben, also habe sie den ganzen Winter über Pastinaken ernten können. Die kleinen weißen Wurzeln, die überall ausschlugen, hätten sie inspiriert. Auf einem Bild sehen wir eine Pastinake mit Armen und einem Mädchenkopf, eine Frau hat sie in ihren Schoß gebettet. „Der Geborgenheit entwunden“ heißt das Bild und das ist – bezogen auf die geerntete Rübe wie das herangewachsene Kind – durchaus doppeldeutig zu verstehen.
So wie auch die Schlangen, die in vielen Bildern auftauchen. Als reales Tier, als Fabelwesen? Man weiß es nicht. Aber es weckt die Assoziationen. Loy erinnert an das gerade laufende chinesische Jahr der Schlange, sie nennt aber auch „kompositorische Gründe“ dafür, dass es sich auf ihren mit leuchtenden Kaseinfarben gemalten Bildern immer wieder schlängelt. Mädchen reiten auf Sonnenstrahlen. Ein Kind wird vor Flammenwesen gerettet.
Es geht in der Schau „Verweile doch“ um Transformation und Fortpflanzung, um das Physische, das Esoterische und das Vegetative. Und um die Künstlerin selbst, die hier zum Auftakt des Rundgangs auf dem Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei, zu dem die dort ansässigen Galerien eingeladen haben, einmal mehr aus dem Schatten ihres Mannes Neo Rauch heraustritt und den eigenen Auftritt als Künstler-Persona zelebriert.
Ernüchternde Befunde
Bei der Preview ihrer Spinnerei-Ausstellungen hält Rauch erst nach Loy Hof – und auch bei ihm spielt das Auftreten eine – wiederum doppeldeutige – Rolle. „Der Mensch fängt bei der Sohle an und hört beim Scheitel auf. Und wie einer dasteht, das ist doch von entscheidender Bedeutung.“ Er wolle, so Rauch, dass seine „Figuren stabil dastehen und was die Fußbekleidung anbelangt, sehr im Hier und Heute verortet“ sind.
Tatsächlich trägt das eher altmodisch gewandete Bildpersonal mitunter Chucks oder Chelsea Boots – wie es Rauch nun auch bei vielen der Anwesenden beobachtet: „Zeig mir, was du an den Füßen hast und ich sage dir, wer du bist. Ja, wir können da den Blick schweifen lassen und kommen zu ernüchternden Befunden.“ Er selbst kombiniert ein bis tief in die Malerbrust geöffnetes Fred-Perry-Zip-Sweatshirt mit dunkelbraunen Schlangenlederstiefeln.
So erklärt er wie seine Frau jetzt ebenfalls seine Bilder vor den Bildern. Gleich nebenan in der Galerie Eigen + Art, die den Maler der sogenannten „Leipziger Schule“ groß gemacht hat. Rauch stellt neue Gemälde vor, sehr große Leinwände und kleine, die aber wie Studien wirken, weil sie Bilddetails variieren.
Doch Studien, darauf weist der Maler hin, mache er nicht. „Unter meinem Pinsel kommen Bilder auf die Welt.“ Auch auf diesen Bildern sind, wie gewohnt, allerlei seltsame Gestalten dargestellt. „Natürlich sind es immer Stellvertreter meiner selbst“, erklärt Rauch. „Also jede Figur, die ich ins Werk setze, ist ein Exemplar für meine Existenzform.“
Gärender Haufen
Ob er das auch für die kleine, schwärzlich-bräunliche Figur gilt, die auf dem Großformat „Stille Reserve“ ganz unten rechts in der Bildecke steht und eine Signalkelle hochhält? „Das ist ein aus einer gärenden Masse geformter Koprolith mit einem kleinen Schildchen wie es an der Bahnsteigkante verwendet wird“, erläutert Rauch. Bei der „gärenden Masse“ muss man unwillkürlich an den „gärigen Haufen“ denken, als den der damalige AfD-Vorsitzende Gauland seine Partei bezeichnete, die gerade bundesweit als rechtsextremistisch eingestuft wurde.
Ein Koprolith ist versteinertes Exkrement. Da denkt man natürlich auch an den „Anbräuner“. Wir erinnern uns: In einem vor sechs Jahren veröffentlichten Zeitungsartikel hatte der Kunstkritiker Wolfgang Ullrich den Künstler Neo Rauch in die neorechte Ecke gestellt. Der konterte mit jenem „Anbräuner“ betitelten Bild, das einen Maler darstellt, der mit heruntergelassener Hose auf einem Nachttopf sitzt und mit den Fäkalien daraus etwas auf eine Leinwand malt, das den Arm zum Hitlergruß zu heben scheint.
Eine schmähende Darstellung des Rauch-Kritikers? Die im Gemälde auftauchenden Initialen „U.W.“ wurden jedenfalls als Indiz dafür gedeutet. Die Posse löste damals einen kleinen Kunstskandal aus. Rückblickend hat er wohl keinem der Beteiligten geschadet, sondern nur zu mehr Aufmerksamkeit verholfen.
Neo Rauch ist ein Meister darin, in seinen Bildern Spuren zu legen, auf sich verzweigende Fährten zu führen, auch in symbolisch-metaphorische Sackgassen. Er gefällt sich in der Rolle des Betrachters des eigenen Werks. Von Bild zu Bild führt er die kleine Gruppe und macht ikonografische Analysen, deutet nur an, raunt oder bedeutungshubert genüsslich. In seiner Performance werden die prätentiöse Sprache und die rätselhaft aufgeladenen Bilder eins. Und er gesteht: „Es ließe sich zu jedem Bild natürlich noch unendlich viel mehr sagen.“
„Stille Reserve“ heißt auch die Ausstellung. „Das ist das Guthaben, das nicht zu Buche schlägt“, doziert der Maler. „Das vielleicht auch nicht von der Steuer abgegriffen wird. Das irgendwann in die Erscheinung tritt, wenn Not am Manne ist. Ob es sich dabei um meine persönliche Lebenssituation handelt, meine Kraft- und Inspirationsreserve, das wage ich nicht zu behaupten.“
Seinem Galeristen Gerd Harry Lybke hat er jedenfalls schon im Kataloginterview erklärt, die „Stille Reserve“ bezeichne „den Zustand eines Potenzials im Hintergrund, das noch nicht ausgeschöpft wurde.“ Von Neo Rauch wird also noch einiges kommen. Schließlich muss auch die treue Sammlerschaft bedient werden, die hohe Summen in die traumartige Visionskraft des Malers investiert.
Als Nächstes kommt aber eine Ausstellung, die Rauch in der eigenen Grafikstiftung in Aschersleben „zur Geltung bringen wird“. Es handele sich um Kinderzeichnungen der Jahre 1965 bis 1968, da war der Maler zwischen fünf und acht. Er habe den „Stand gesichtet, die Sedimente erschlossen. Es sind Hunderte von Blättern.“ Und vielleicht ist das wirklich seine stille Reserve, denn so bekennt der 65-Jährige auch mit einem Anflug von Melancholie, er „träume ja kaum mehr“.
Die Galerien in der Leipziger Baumwollspinnerei laden am 3. und 4. Mai 2025 zum Rundgang, die Ausstellungen laufen noch länger.
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