In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Essenz der Podcastfolge „Merz‘ Pläne für Gen Z und der erste Männerverlag“.

Julian: Ein britischer Verleger möchte ab kommendem Jahr nur noch Bücher von Männern herausbringen. Er sagt, dass die Geschichten von jungen Männern in der gegenwärtigen Marktsituation übersehen werden. Und während ich das erzähle, sehe ich schon, wie unruhig du auf deinem Stuhl hin und her rutschst und dich aufregst. Sprich dich aus, Imke.

Imke: Ich habe die Debatte über weibliche Überpräsenz im Buchgeschäft mitbekommen. Und ich muss sagen, ich finde sie überzogen. Man muss einfach nur in unsere Literaturgeschichte schauen und in den Kanon von Schulbüchern, die wir immer noch lesen, um festzustellen, dass Frauen strukturell dort weniger vorkommen und benachteiligt waren und es auch noch bis heute sind. Vielleicht nicht in jedem Land auf der Welt, aber auf jeden Fall in der großen Überzahl.

Julian: Das ist für mich nicht der Punkt, aber da sprechen wir gleich noch drüber. Erst einmal zum Hintergrund: Der Mann, um den es geht, heißt Jude Cook. Er ist Literaturrezensent für den „Guardian“ und „The Spectator“ und hat auch selbst zwei Romane verfasst, sein letzter hieß „Jacob's Advice“. Nun möchte Jude Cook in seinem Verlag Conduit Books jährlich drei Bücher von jungen Männern erscheinen lassen. Und gerade sucht er auf der Verlagsseite nach dem ersten Titel, am liebsten ist ihm ein britischer Autor unter 35 Jahren.

Imke: Und warum möchte er das machen?

Julian: Naja, er sagt, er will keine Gegenhaltung einnehmen, sondern, ich zitiere, „die unglaubliche Arbeit all der kleinen Verlage, von denen einige ausschließlich Werke von Frauen veröffentlichen, durch einen Raum für männliche Autoren ergänzen“. Weil es noch nie einen unabhängigen Verlag gegeben habe, der sich für Literatur von Männern einsetzt.

Imke: Okay, aber braucht es den denn auch?

Julian: Tja, ich würde sagen ja. Wir haben ja schon öfter über die Krise der jungen Männlichkeit gesprochen und diskutiert. Und ja, junge Frauen lesen schon seit Längerem Bücher sowieso mehr als Männer, das ist bekannt. Das liegt auch nicht nur daran, dass es jetzt zu wenig literarisches Angebot für junge Männer gibt. Aber es steht außer Frage, dass junge Männer mit dieser Welt irgendwie hadern, sich abgehängt und nicht gesehen fühlen.

Imke: Ja, ich beobachte das auch in der Tendenz in der Popkultur, obwohl wir auch mal über radikale Strömungen unter Frauen sprechen müssen, weil das ein noch sehr unbesprochenes Feld ist. Gerade wird sich in der Debatte hauptsächlich auf Männer gestürzt. Aber in der Tendenz scheint es eine große Gruppe junger Männer zu geben, die sich popkulturell gerade eher bei reaktionären Streamern und Podcastern wie „Hoss und Hopf“ aufgehoben fühlen. Und sich da auf eine Art radikalisieren. Die Frage ist: Warum ist das so?

Julian: Diese Männer geben eine Dominanzantwort auf die Fragilität des heutigen Männerdaseins. Weil die schon verstehen, dass da viele verlorene junge Männer herumlaufen, geben sie als Gegenbewegung Stärke und Macht als Antwort. Und natürlich bräuchte es da mehr Brüchigkeit, die auch die eigenen Schwächen ausstellt, aber auch die Sehnsucht noch stärker adressiert. Nils Schniederjann vom „Deutschlandfunk“ hat das in einem Beitrag so beschrieben. Der sagt auch, dass es mehr Literatur für junge Männer bräuchte und fragt, in welchem Verhältnis etwa Autonomie und Verletzlichkeit stehen. Wann führt männliche Härte nicht zu Erfolg, sondern zu Brutalität? Wie viel Härte ist aber trotzdem notwendig, seine Ziele zu erreichen? Und wie kann es eigentlich sein, dass wir in postheroischen Zeiten leben, also das Ende des Heroismus eingeleitet wurde? Andererseits erleben wir jetzt gerade die ganzen Wehrpflicht- und Kriegsdebatten. Vom Mann fordert man, den Helden zu spielen, zu kämpfen. Das sind alles wichtige und komplexe Fragen, die Literatur gut beantworten könnte.

Imke: Aber ich sehe nicht, dass das ein männerspezifisches Thema ist. Wir Frauen müssen heute auch verschiedene Rollenbilder gleichzeitig sein und mehr als nur eine Facette von uns stärken. Diese Überforderung betrifft dann doch alle Geschlechter gleichermaßen.

Julian: Stimme ich 100 Prozent zu und will ich auch gar nicht verneinen, im Gegenteil. Aber diese weibliche Überforderung ist kulturell präsenter. Also wenn ich so in die Gegenwartsliteratur schaue, wenn ich Social-Media-Kanäle anschaue, dann wird die weibliche Widersprüchlichkeit doch schon sehr verhandelt. Zumindest in den vergangenen Jahren gab es da eine große Präsenz, was ja auch gut ist. Und dann kam immer das Argument, wir müssen mehr darüber sprechen. Wenn man das jetzt bei Männern machen möchte, kommt sofort eine Abwehrreaktion.

Imke: Ich glaube aber nicht, dass sich das ausschließt. Ich glaube, dass die Abwehrreaktion deshalb kommt, weil damit der Raum, den sich die Frau ergriffen hat und in dem sie Sichtbarkeit bekommt, von vielen wieder infrage gestellt wird. Ich glaube, wenn man einfach sagen würde: Okay, wir haben es schwer und ihr habt es auch schwer und wir kriegen das irgendwie gleichberechtigt hin, zu sagen, dass wir es alle schwer haben, dann wäre es kein Problem. Aber es ist immer so ein Gegeneinander-Aufspielen. Es wird immer eine Kausalität hergestellt, gesagt, der Mann hat es heute schwer, weil die Frau jetzt so und so ist. Und ich glaube, das ist der Fehler in der Debatte, weshalb wir da vielleicht gerade auch nicht weiterkommen.

Julian: Aber hast du wirklich das Gefühl, dass der Verleger das infrage stellt? Er sagt ja sogar explizit, dass es kein Gegenentwurf ist. Er lobt die Arbeit der feministischen Verlagshäuser und sagt, er möchte das einfach durch eine männliche Stimme ergänzen. Und dann verstehe ich nicht, warum dieser Abwehrreflex kommt. Wenn umgekehrt ein Verlag sagt, dass er nur noch weibliche Bücher publiziert, wäre es doch auch ein bisschen komisch, wenn ich sagen würde, dass er damit unsere männlichen Autoren infrage stellt. Nein, das kann einfach parallel existieren.

Imke: Ich finde, er kann das machen. Das wird das Gleichgewicht innerhalb des Marktes nicht umkehren. Ich glaube nur, dass es politisch ein schlechtes Signal ist. Denn wenn man sich einen größeren Zeitstrahl anschaut, ist die Veränderung des Gleichgewichts in der Literatur, also dass mal mehr weibliche Stimmen im Markt sind, ein Mini-Zeitabschnitt. Und klar verstehe ich, dass sich das gerade vielleicht nicht ganz fair und irgendwie überproportional anfühlt. Aber es wird sich ein natürliches Gleichgewicht einstellen, wenn wir es nicht direkt wieder überpolitisieren und Seiten gegeneinander aufbringen. So nach dem Motto: Ihr wollt „women only“, dann machen wir jetzt auch wieder „men only“. Das stellt infrage, dass Frauen es wirklich notwendig hatten, diesen Schritt zu gehen. Das ist das, was mich daran stört.

Julian: Verstehe ich. Aber wir sehen ja alle die politischen Probleme des jungen Mannes, oder?

Imke: Auf jeden Fall.

Julian: Und keiner von uns möchte, dass sich junge Männer weiter radikalisieren. Ich bin Pragmatiker und denke: Was hilft, dass das nicht weiter passiert? Glaubst du wirklich, es wird besser, wenn man das immer so paternalistisch abtut nach dem Motto „Ey, get over it, ihr müsst jetzt einfach mal damit klarkommen, dass eure Räume nicht mehr so groß sind“. Ich habe das Gefühl, das macht alles nur noch schlimmer. Ich habe mir auch mal die Leserkommentare angeschaut zu der Meldung mit Jude Cook. Und da gibt es viel Häme über Männer und ihre fragilen Egos. Ich glaube nicht, dass es dadurch besser wird. Und du hast recht, auf lange Sicht sind Männer überpräsent in der Literatur, auch in der Schulliteratur.

Aber es hat sich in den letzten Jahren ja schon etwas gedreht. Das ist nicht so leicht zu belegen durch Zahlen. Wenn es heute Männerliteratur gibt, dann meistens eher von älteren Männern statt dass es um junge Adoleszenz und ihre Herausforderungen geht. Ich habe mal aus Spaß die Bestenlisten bei Amazon angeschaut, also Belletristik, keine Sachbücher. Die ersten fünf, ich glaube sogar, die ersten zehn Plätze sind alles Frauen. Und auch die Literatur-Popstars der vergangenen Jahre waren meistens Frauen: Sally Rooney, Amanda Gorman, Chimamanda Ngozi Adichie. In Deutschland erinnere ich mich letztes Jahr an Caroline Wahl, die so richtig gehypt wurde.

Imke: Das sind jetzt die Menschen, die die Bestsellerlisten anführen. Aber trotzdem ist es so, dass zwei Drittel der rezensierten Werke immer noch von Männern geschrieben werden. Das zeigt doch, dass es eben nicht unfair ist, sondern einfach der Markt, also Angebot und Nachfrage. Vielleicht sind die weiblichen Perspektiven gerade auf dem Markt mehr gefragt, weil wir die anderen alle schon durch haben.

Deswegen besteht die Aufgabe vielleicht wirklich eher darin, dass wir junge Männer wieder motivieren müssen, zu lesen. Obwohl ja in der Schule meistens eher ältere Werke gelesen werden, die eine männliche Perspektive hineinbringen. Also daran kann es vielleicht auch nicht liegen. Ich glaube, es ist komplexer, da steckt viel mehr dahinter. Vielleicht auch im Zusammenspiel mit anderen Dingen, die eher männlich sind, wie zum Beispiel Gaming. Natürlich spielen mittlerweile auch Frauen, aber das ist schon eine riesige Beschäftigung, die neu dazugekommen ist und viel Kapazität wegnimmt.

Julian: Ich habe nur die Sorge, dass die Arbeit der Verlage zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird. Dass, wenn man immer mehr junge Frauenliteratur ausstellt und diese immer mehr gekauft wird, eben mehr junge Frauen lesen, und das dann wiederum die Verlage dazu bringt, nur noch diese Literatur herauszubringen. Und dass es sich aus der Marktlogik heraus dann nicht mehr lohnt, mehr junge männliche Perspektiven zu bringen. Obwohl die Literatur viel komplexere Antworten geben kann auf die Identitätssuche als viele Streamer und Podcaster.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.