Der Louvre ist sehr viel mehr als die Summe Tausender von Kunstwerken aus Tausenden von Jahren, vom Altertum bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Und er ist eben auch nicht nur die peinvoll umlagerte, ohne jede Aura als Selfie-Beute missbrauchte „Mona Lisa“, kaum erkennbar aus der Schlangenferne hinter fies verspiegeltem Sicherheitsglas. So wie schon die ihr gegenüber hängende „Hochzeit zu Kana“, das monumentale, zehn mal sieben Meter messende Prachtstück Veroneses – das Spitzenwerk der venezianischen Malerei wurde von Napoleon 1797 aus dem Refektorium des Klosters San Giorgio Maggiore geraubt – bei den Event-Touristen kaum Beachtung findet. Aber so geht es im Louvre vielen anderen Artefakten.

Etwa der riesigen Abteilung für europäisches Kunstgewerbe im Richelieu-Flügel und dem Sully-Flügel an der Rue de Rivoli. Der ganze erste, meist nur wenig besuchte erste Stock ist angefüllt mit byzantinischen Kelchen, Meissener Porzellan, Renaissance-Ritterrüstungen, Juwelen, Elfenbein-Schnitzereien, Tapisserien, dem gar nicht lottrigen Bett einer Kurtisane, Rokoko-Möbeln, Kleinbronzen bis hin zu den verschwenderischen, lange vom hier residierenden Finanzministerium genutzten Festräumen Napoleons III. im üppigsten Second-Empire-Stil.

Hier freilich wuselt und rumort es seit einigen Wochen ganz gewaltig, denn die Kuratoren waren so clever, diesen gern verwaisten Abteilungen Leben einzuhauchen, indem sie zusätzlich das ausstellen, was garantiert Menschen ins Museum bringt: Mode. So treten jetzt unter dem Motto „Louvre Couture“ auf dem verwirrenden, kilometerlangen Parcours aus Sälen und Kabinetten 100 Signaturstücke von Modedesignern wie Alaïa bis Yamamoto aus den Jahren von 1961 bis heute in – wie es so vornehm heißt – „den Dialog“ mit den meist kleinformatigen, zum Teil uralten Meisterwerken der Menschheit.

Die Schneider und Modehäuser liehen ihre Archivstücke gern aus, nobilitiert doch der Stempel Louvre selbst noch Luxusmarken wie Balenciaga, Dior, Moschino oder Prada. Also schnattert eine Gruppe Touristinnen wild fotografierend zwischen den roten Samtportieren einer napoleonischen Rotunde, wo sehr effektvoll ein kleines Kleidchen aus ebenfalls roter Seide mit üppigen Goldtressen in Szene gesetzt ist: Karl Lagerfeld entwarf es 2004 für Chanel. Da stehen schräge Alexander-McQueen-Schuhe zwischen Majolika-Platten mit Meeresgetier, von antiken Bronzebeschlägen nimmt eine Dolce-&-Gabbana-Kreation von 2014 deren mäandernde Muster wieder auf, und ein Versace-Ensemble ähnelt verblüffend Bettportieren im Neorenaissance-Stil

Manches ist witzig miteinander verbunden, anderes eher krampfig zwanghaft. Und weil die luftig-duftig-puffigen Stoffteilchen zwischen der Fülle an Schnitzereien und Taufkrügen, Leuchtern und Prunkwaffen, venezianischen Gläsern und böhmischen Humpen eher dezent verteilt sind, irren viele verzweifelt nach Designer-Namen Ausschau haltend durch die Sammlungen oft anonymer Schöpfer: Denn Infoblätter mit den genauen Kleiderpositionen sind Mangelware.

Zum ersten Mal hat der Louvre solches versucht, und auch hier ist jetzt also diese Barriere gefallen. Bisher waren solcher übervölkerten Schauen dem im gleichen Gebäude residierenden Musée des Arts Décoratifs vorbehalten. Meist nur im Keller, im kommerziell genutzten Caroussel de Louvre, wurde bisher Modenschauen gezeigt. Jetzt aber drängeln sich huchzend und hachzend, in jedem Falle wohlig seufzend vor allem Frauen vor den hochpreisigen Träumen in Tüll und Leder, Samt und Plissee, Seide, Samt und Chiffon von Versace und Saint Laurent, Dries van Noten, Gautier, Schiaparelli, Givenchy und Viktor & Rolf. Waffenähnliche Loubutin-Pumps stehen neben Schaftstiefeln, LV-Koffer bauen sich hinter Biedermeier-Balltäschchen auf. Paco Rabannes Metallkleid prangt neben Kettenhemden. Eine andere, von Marabufedern umflatterte Lagerfeld-Kreation nimmt eine geschwungene, zart verzierte Kommode als Designerjacken-Vorbild.

Doch man sieht auch: Vieles ist von den Modemachern nicht nur als Inspiration variiert, verfremdet und weitergedacht worden. Manches wurde einfach auch mangels Copyright-Schutz einfach geklaut und wiederverwendet. Die Mode, schnelllebig und hektisch, zum Teil mit mehreren Kollektionen pro Jahr, sie ist eben doch nur Kunstgewerbe, obwohl sich ihre stolzen Schöpfer gern als Künstler teuer bezahlen lassen. Etwa wenn sich Maria Grazia Chiuri für ihre Dior-Sommerkollektion 2023 von Caterina de’ Medici und der Renaissance nur mäßig inspiriert zu eigenen Kreationen verleiten lässt. Hier wird an mancher engen Ecke das edel abweisende, ein imaginär erhöhendes Podest zwischen dem Normalem und dem Besonderen aufrechterhaltendes Museum dann doch zum billigen Jahrmarkt aus der besten Handyposition abzubildender Eitelkeiten. Die freilich, auch in der Form von Spendengalas, viele zusätzliche Einnahmen verheißen.

Goldgrund hat wieder Konjunktur

Wie viel ruhiger, vornehmer, konzentrierter, versunkener und doch innerlich ähnlich, ob so viel – einzigartig! – jauchzender Betrachterfreude, geht es in einem anderen Louvre-Flügel zu, dem nach Denon benannten an der Seine, am Ende der berühmten italienischen Galerie. Da zeigt man, quasi als Kerngeschäft, in nur einem Raum eine außerordentliche europäische, eben generalüberholte Kostbarkeit: die grandiose, drei Meter hohe „Maestà“, die Madonna mit Kind, welche Cimabue für die Kirche San Francesco in Pisa geschaffen hatte. Es war wiederum Napoleon, der sie 1813 in den Louvre holte. Später wollten die Italiener die alte, fragile, kaum transportfähige Tafelmalerei nicht wieder zurück. Frühe Bilder auf Goldgrund hatten damals gerade so gar keine Konjunktur.

Dabei gilt Cimabue, der eigentlich Cenni di Pepo hieß und von dem nur das vermutliche Sterbejahr 1302 kennt, als der Begründer der abendländischen Malerei. Obwohl aus dem Dunkel der Geschichte von dem „Ochsenkopf“ Genannten nur zehn Tafelbilder gesichert sind; eine Freskengruppe in Assisi und Mosaike in Florenz wie in Pisa werden ihm zudem zugeschrieben. Rund 40 Bilder und Artefakte sind nun um die zwei Cimabues des Louvre versammelt: Es herrscht die Stille andächtiger Kennerschaft. Kaum wagen es die wenigen Anwesenden, zu fotografieren, während draußen, in der Italienergalerie, das Besucherleben brodelt.

Den einen der beiden herrlich restaurierten, wieder zum inneren Strahlen gebrachten Cimabues sah man übrigens noch nie: ein kleines Tafelbild über die Verspottung Christi, einst Teil eines Diptychons, dessen beiden anderen erhaltenen Tafeln (von einst acht) aus London und New York angereist sind. 2019 wurde es in einem Auktionsinventar erkannt, und – als nationales Kulturgut nicht ausführbar – vom Louvre für 24 Millionen Euro gekauft. Jetzt leuchten beide Bilder kostbar in Gold und Blau. Wir stehen hier an den Quellen der heutigen Kunst, die eine naturalistische werden wollte. Was dann der jüngere Giotto durchführte, der die starre Ikonografie des Mittelalters endgültig hinter sich ließ.

Doch der Beginn der Perspektive, das Ringen um faltige Bekleidung als Stoff nicht als steife Rüstung, die Auflösung des Goldgrunds in der weltlichen Landschaft, das lebensechte Arrangement von Figuren, insbesondere im liebevollen Miteinander von Gottesmutter und Sohn, aber auch die individuelle Darstellung der sie umziehenden Engel, das erlebt man alles bereits bei Cimabue. Doch sieht man hier nicht Primitivismus, sondern bereits höchstes Raffinement, sogar in der Gestaltung des „Maestà“-Rahmens mit pseudoarabischen Schriftzeichen. Und vier weitere Cimabue-Bilder zeigen seine Kunst in so nie gesehene Vollständigkeit. Plus Giottos ähnlich großer, einst neben der „Maestà“ hängenden Stigmatisierung des Heiligen Franziskus, ebenfalls von den Italienern in Unkenntnis dem Louvre auf immer überlassen.

Hier geht es ebenfalls um Mode, um Kleidung, Manier, Farbe und Faltung, doch auf weniger populäre Art. Die allerdings nicht mehr aufzuhalten ist, gerade nicht in Paris, wo vor den meisten Ausstellungen lange Schlange stehen, obwohl doch beständig vor Ort so unermesslich viel Kunst zu erleben ist. Erst vor Kurzem gab es diese Divergenz auch zwischen Grand und Petit Palais. Im einen gastierte in viel zu engen Räumen eine prollig vollgestopfte Dolce-&-Gabbana-Schau. Die zeigte schlagend, wie primitiv die beiden Schneider vor allem die reiche Kunst- und Kulturgeschichte ihrer italienischen Heimat ausschlachten, bis hin zu den Trachten der Bäuerinnen bei Beerdigungen. Alles ist hier nur Requisit für kreischige Inszenierungen, Dekor auf simplen Kleidern, die von unbekannten Arbeiterinnen mit Perlennachstickereien von Raphael- und Caravaggio-Gemälden aufgepimpt wurden. Weißes Barock wird zum Hochzeitsalbtraum, spanischer Katholizismus zur bigotten Handtaschen-Anbeterei.

Eigentlich abstoßend, hätte sie nicht wutsensibilisiert – für ausgerechnet die erste französische Jusepe-de-Ribera-Retrospektive im städtischen Museum gegenüber, mit 100 Bildern des römischen „Spagnoletto“ von Bettlern und Heiligen aus der ganzen Welt. So superb und subtil kann katholische Glaubensinszenierung eben auch sein. Dezent ist dagegen sogar die Kleiderstrecke im Louvre. Doch eine Erfüllung ist einzig Cimabue.

„Couture. Kunstobjekte, Modeobjekte“, bis 21. Juni 2025; „Cimabue neu sehen. Zu den Ursprüngen der italienischen Malerei“, bis 12. Mai 2025, Musée du Louvre, Paris

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.