Vor einem halben Jahr wurde die spanische Region Valencia von einer schweren Flut getroffen. 230 Menschen starben, einige werden immer noch vermisst. Die Schäden belaufen sich auf einen zweistelligen Milliardenbetrag. Bei Buschbränden im Januar in Südkalifornien kamen 30 Menschen ums Leben, 16.000 Gebäude wurden zerstört, die Kosten gehen ins Neunstellige. Das sind nur zwei Katastrophen, die durch besondere Wetterereignisse und Standortbedingungen ausgelöst wurden. Mindestens als Verstärker dieser Phänomene wird der Klimawandel angesehen.

Als diese Katastrophen stattfanden, war Carlo Ratti schon mittendrin in der Planung der Architekturbiennale von Venedig, die der italienische Architekt und am Massachusetts Institute of Technology in Boston lehrende Ingenieur an diesem Samstag eröffnet. Das Ausmaß und die Plötzlichkeit, wie die Naturgewalten über das Leben und die Umwelt der Menschen kamen, hat ihn darin bestätigt, den Klimawandel ins Zentrum seiner Ausstellung gestellt zu haben.

Eine Architekturbiennale zu diesem Thema, das meist unter dem Damoklesschwert des 1,5-Grad-Ziels verhandelt wird, war überfällig. Schließlich versteht sich die Großausstellung in Venedig seit vielen Jahren nicht mehr als Leistungsschau der Baubranche, sondern als politische Veranstaltung, auf der die Herausforderungen unseres Zusammenlebens debattiert werden.

Resignation und Verzicht sind keine Lösung

Auch diese Architekturbiennale ist politisch, Rattis Ansatz aber erfrischend offen und unideologisch. Der Klimawandel wird nicht vorrangig als Sünde des Menschen an seinem Planeten beklagt, der aufgehalten werden muss – was schon auch ein Ziel bleiben sollte. Rattis Mantra ist hingegen: Anpassung. Sie dürfe nicht länger „als Resignation oder, schlimmer noch, als Verzicht angesehen“ werden. „Anpassung erfordert einen grundlegenden Wandel in der architektonischen Praxis.“

Mit dem spanischen Premier Pedro Sanchez hat Ratti unter dem Eindruck der Überschwemmungen von Valencia ein Manifest veröffentlicht. Es will die Entscheider, vor allem die Architekten selbst in die Pflicht nehmen, sich der neuen Maxime zu widmen – mit „Optimismus“. Das bedeute, aus den Veränderungen zu lernen und dynamisch zu reagieren, „Städte, Infrastrukturen und Gebäude zu entwerfen, die sich weiterentwickeln und“, so Ratti, „in der Lage sind, unter Unsicherheit zu gedeihen.“

Noch sind es Phrasen im Stil eines offenen Briefs. Unterzeichnet haben Hunderte Architekten, darunter Größen wie Kengo Kuma, Elizabeth Diller, Jeanne Gang oder Norman Foster. Zu deren kreativer Gestaltungskraft gehört nun allerdings auch, das neue Arbeitsethos ihren Bauherren zu vermitteln. Und die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.

Beim Rundgang durch die Ausstellung im Arsenale ist der 53-jährige Ratti vor Elan kaum zu bremsen. Er springt und turnt geradezu durch die historischen Hallen, in denen einst die Seile für die venezianische Marineflotte gedreht wurden. Er taucht unter Absperrbändern ab und auf Bühnen wieder auf, nur um hinter der nächsten Videoinstallation erneut zu verschwinden.

Am liebsten würde er jedes der 300 Projekte, jeden der 750 Teilnehmer – Ingenieure, Stadtplaner, viele Naturwissenschaftler – vorstellen, gleichzeitig ins Detail gehen und alles unter einen Hut bringen. Doch das ist selbst für den Kurator unmöglich. Die Schau ist übervoll und so dicht gepackt wie eine begehbare, aber kaum konsumierbare Datenwolke.

Man tritt ein durch eine dunkle Installation aus spiegelnden Wasserflächen und Ventilatoren, eine Allegorie des Künstlers Michelangelo Pistoletto auf die Zukunft von Venedig. Die Lagunenstadt ist in Rattis Erzählung aber auch der Ursprung. Sie ist die risikobewusste und mutmachende Behauptung dort Stadt sein zu können, dort, wo es die Natur ihr am schwersten macht. Venedig sei das überwältigende erste Beispiel für „Geo-Engineering“, schwärmt Ratti.

Überwältigung, so muss man ihn im übertragenen Sinne wohl verstehen, ist gleichzeitig Ursache und Lösung. Er selbst beschreibt die Biennale als „Superorganismus“, eine lebendige Struktur aus kreativen, intelligenten Systemen. Ob natürlich, gemeinschaftlich oder künstlich, am besten, die Intelligenzen schalten sich organisch zusammen.

Mit 3D gegen langweilige Fassaden

Der japanische Architekt Kengo Kuma etwa zeigt, wie aus während eines Sturms angeschwemmten Treibholzstämmen, die 3D-gescannt wurden, und aus individuell angepassten, 3D-gedruckten Auflagern ein Tragwerk gebaut werden kann. Die Designerin Diana Scherer untersucht das Wurzelwerk von Grasnarben und versucht, sie als flexible Textilien nutzbar zu machen.

Der Architekt Emilio Ambasz stellt vor, wie sein mit ursprünglich 35.000 Sträuchern und Bäumen bepflanztes Konferenzzentrum in Fukuoka nicht nur die Umgebung herunterkühlt. Mittlerweile ist die durchgrünte Pyramide ein sich selbst aufrechterhaltendes Biotop, in dem sich immer mehr Spezies ansiedeln.

Die Materialschlacht dieser Ausstellung ist höchst anregend, besonders da, wo es um neuartige Materialien geht. Da werden Wandpaneele aus Austernschalen vorgestellt, Leder produzierende Mycele, Stoffe, die von Mikroorganismen gestrickt werden. Man folgt gebannt, wie 3D-Drucker das Ornament zurück in unsere Langweilerfasssaden bringen können und warum Seegrasfelder nicht nur wegen ihrer CO-Speicherkraft schützenswert sind.

Und ganz am Ende, wenn man wieder ins Helle tritt und sieht, wie am Hafenbecken des Arsenales das Brackwasser von einer spektakulären Biofilterungsanlage aufbereitet wird, die sich das amerikanische Architekturbüro Diller Scofidio + Renfro ausgedacht hat, um daraus Kaffeewasser aufzubrühen, dann wird man vertrauensvoll zum Espresso greifen, der dort nun zubereitet wird.

Ratti ist es mit seinem Parcours tatsächlich gelungen, Aufbruchstimmung zu verbreiten. Dafür macht sich auch Norman Foster stark. Der lehnt mit seinen 89 Jahren lässig an einem Steg, den sein Team in Zusammenarbeit mit Porsche aus Aluminium gebaut hat. Das sei das meistrecycelte Material überhaupt.

Hier stellt es elegant gebogen und im Wind flatternd seine funktionalen und ästhetischen Eigenschaften zur Schau. Es empfehle sich als Vaporetto-Station für den venezianischen Wasser-ÖPNV, sagt Foster, zurzeit legen futuristische Wasserfahrräder an und ab.

In Sachen Nachhaltigkeit hat der Hightech-Architekt aus London noch einen weiteren Rat. Ästhetik sei durchaus eine Qualität, bringt er augenzwinkernd in Erinnerung und fügt an, dass Sportwagen etwa selten auf dem Schrottplatz landen, sondern als Sammlerstück so lange wie möglich bewahrt werden. Dass gute, sinnliche Gestaltung Zukunft hat, das ist auf der Biennale aber auch ohne Markenbotschaft deutlich sichtbar.

19. Internationale Architekturausstellung von Venedig, „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“, bis 23. November 2025

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