Nach der gewöhnlichen Logik der deutschen Verlagswelt hat Maxim Biller ein hoffnungslos gestriges Buch geschrieben: kein Familienroman, bei dem Frauen im Vordergrund stehen, keine literarische Abrechnung mit der Gegenwart. Es gibt auch kein instagrammables Buchcover.

Maxim Biller hat ein Buch über den Schriftsteller Jiří Weil geschrieben, noch dazu eine Novelle, deren Auflage auf knappe 3000 Stück limitiert ist, nicht online zu bestellen, sondern nur in ausgewählten Buchhandlungen zu kaufen. Geht es abseitiger? Zum Glück nicht.

Jiří Weil (1900–1959) war ein tschechisch-jüdischer Schriftsteller, der 1933 bis 1935 in der Sowjetunion lebte und unter anderem Boris Pasternak und Maxim Gorki übersetzte, ein überzeugter Kommunist, der wegen seines Buches „Moskau. Die Grenze“ aus der Partei ausgeschlossen wurde und lange das Kaffeehaus-Leben eines Prager Linksintellektuellen führte, bis er untertauchte, indem er einen Selbstmord vortäuschte. Weil schrieb zeit seines Lebens autobiografisch gefärbte Romane, wie etwa „Leben mit dem Stern“, 1949 veröffentlicht und später von Philip Roth hochgelobt, in dem mehrere Jahre der Besatzung aus der Perspektive des Prager Juden Josef Roubíček geschildert werden.

Nun sind Leser Maxim Billers oft geneigt, seine Werke autobiografisch zu lesen oder wenigstens als autobiografische Takes auf historische Situationen. So war es beim 2013 erschienenen Buch „Im Kopf von Bruno Schulz“, Billers Novelle über den Schriftsteller Bruno Schulz (1892–1942) und die Welt des osteuropäischen Judentums. Und auch beim aktuellen Buch mit dem Titel „Der unsterbliche Weil“ liegt es nahe, in Billers Schilderung von Weils Welt vielleicht nicht den Autor selbst zu erkennen, aber seinen Sensibilitäten für die historische Figur Weil zu folgen – etwa dem unabdingbaren, vielleicht verzweifelten Drang nach dem Schreiben und der Frage, warum das überhaupt so ist.

Insofern passt die Novelle ins Billersche Werk: als eine von vielen Erzählungen, die von Schriftstellern aus der alten, vergangenen Prager Welt des frühen 20. Jahrhunderts berichten – und in ihrer literarischen Form als Novelle.

Literarisch ist „Der unsterbliche Weil“ interessant – nicht einfach als Annäherung an einen zu Unrecht vergessenen Schriftsteller dieser besonderen Prager Welt des frühen 20. Jahrhunderts, die ihren jähen Untergang fand. Konstitutiv für „Der unsterbliche Weil“ ist, dass es eine Novelle ist – eine Form also, die, wenn sie von der „unerhörten Begebenheit“ berichtet, vom Schriftsteller, der sie schreibt, besonderes abverlangt: Dichte, Schnelligkeit, sofort eingängige Bilder; Netflixliteratur.

Biller zeigt sich hier als Künstler der Charakterskizze: Wir lesen vom „Mann mit dem hängenden Igelgesicht“, der – als er sich „seinen ersten Stern“ abholt – fühlt, dass die „Leute ohne Stern ihn endlich wie den Fremden ansahen, der er schon immer gewesen war“. Es sind solche scheinbar beiläufig lakonischen Beschreibungen, die der Geschichte, in Billers Worten, ihre Eindringlichkeit geben, vielleicht auch ihre existenzielle Traurigkeit; der erste Stern ist nicht der letzte.

Biller gelingt in seiner scheinbar nebensächlichen Novelle, was nur selten gelingt: Die historische Figur Weil wird nicht, wie es immer heißt, „lebendig“, sie wird in Billers Text eigenständig; die Frage, die der Text eingangs stellt, „Und warum wurde jeder, der ihn sah, sofort traurig?“, verfolgt einen noch am Ende der knapp 60 Seiten, die durch Fotografien des Autors und ein Nachwort von Marlene Knobloch ergänzt werden.

Maxim Biller: Der unsterbliche Weil. Edition 5plus. 80 Seiten, 18,80 Euro

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