Comebacks gehen meist schief. Wieder Geld verdienen und öffentlich stattfinden zu wollen, sind künstlerisch valide Positionen, so verständlich sie auch menschlich sind. Popstars haben immer noch ihre Songs. Die sind zeitlos. Egal, wie peinlich und gestrig Dieter Bohlen oder Madonna heute sind, ihre Songs haben einen unveränderbaren, zeitlosen Wert. Ein Popsong existiert auch in der Zukunft im Rahmen seiner Ursprungszeit. Wie ein Foto ist er eine Momentaufnahme für die Ewigkeit – eine quasi-magische Zeitkapsel. Egal, wie kaputt und alt ein Popstar ist, wenn man die Songs, die man liebt, mitsingt oder spürt, ist das egal.

Stefan Raab schrieb auch Songs. Die waren lustig, oft auch gut, aber sie waren Notizen zum Zeitgeist. Sie waren nicht sein Werk. Raabs Werk war sein Anarcho-Pimmel-Humor. Im heutigen Zeitgeist würde man vieles davon mit Wörtern wie Mikroaggressionen, rassistisch, klassistisch oder welchem Pseudo-Soziologen-Slang auch immer beschreiben. Raab machte Witze über eine 16-jährige Schülerin, weil sie Lisa Loch hieß. Er reimte „Geschwader“ auf „Hinterlader“ in einem Lied über die schwule Fernsehfigur Brisko Schneider. Es waren Witze, die in der Bundesrepublik Ende der Neunziger-, Anfang der Zweitausender-Jahre gerne gemacht und gehört wurden. Von Angehörigen aller intellektuellen Schichten, wenn auch mit unterschiedlichen Fallhöhen. Raab kalauerte für Einschaltquoten auf Kosten anderer. Harald Schmidt und Christoph Schlingensief ließen ihre Bühnenfiguren Ähnliches sagen, mutmaßlich aber mit anderen Intentionen. In guten Momenten entblößten Schmidt und Schlingensief die Mehrheitsgesellschaft. Raab verkörperte sie.

Als Entertainer hatte Raab den richtigen Riecher zur richtigen Zeit. An seinem Nippelpult sampelte er Versatzstücke aus Zeitungen und Fernsehen und mixte sie ins Fernsehen. Das war zu seiner Zeit einmalig. Heute ist das Internet voll von Millionen von Menschen, die das Gleiche machen. Auf YouTube, Twitch, Instagram und TikTok veröffentlichen sie Reaktions-, Lipsynch- oder was-auch-immer-für-Videos. Die Produktionskosten dafür sind knapp über null. Im Zusammenhang mit Raabs Comeback liest man von einem „90-Millionen-Euro-Deal“ mit RTL. Erfolgreiche Internettypen haben Millionen-Views. Aktuelle Clips von Raab auf YouTube, wie zum Beispiel „Raab basht die CDU“ haben zwei Tage, nachdem sie online gingen, nur 3311 Aufrufe. Raabs letzte Show schauten immerhin 820.000 Menschen im Fernsehen, Marktanteil in der relevanten Zielgruppe: einstellig. RTL hat nun bekannt gegeben, Raabs Show „Du gewinnst hier nicht die Millionen“ aus dem Programm zu nehmen. Gleichzeitig kündigte der Sender eine Show für den Herbst an. „Der Austausch macht uns weiterhin viel Spaß, weil Stefan vor Energie und Ehrgeiz strotzt“, wird RTL-Programmdirektorin Inga Leschek in einer Pressemitteilung zitiert.

Dass Raab vor Ehrgeiz strotzt, ist die große Konstante seiner Karriere. Er wollte immer und überall der Beste sein. Das machte ihn vor allem beim Comeback-Boxkampf mit Regina Halmich so unsympathisch wie nie zuvor. Raabs Überheblichkeit tat mehr weh, als die Schläge, die er von Halmich einstecken musste.

Als Neil Young noch kein 79-jähriger Grantler war, sondern ein 33-jähriges Großmaul, schrieb er den Song „Hey Hey, My My (Out of the Blue)“. Young war zu diesem Zeitpunkt einer der erfolgreichsten Folk-Musiker der Welt. Sein größter Hit „Heart of Gold“ war sechs Jahre her. Punk eroberte die Musik. Und Young fragte sich, wo sein Platz in der neuen Welt mit dieser neuen Musik sei. Young sang zu traurigen Moll-Akkorden: „My my, hey hey/ Rock and roll is here to stay/ It's better to burn out than to fade away/ My my, hey hey“.

Stefan Raab wählte einen anderen Weg. Und so verbrannte er nicht wie ein Stern am Himmel, sondern ist nun auf dem besten Weg auf den Wühltisch der Geschichte.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.