Zehn Jahre, 26 Premieren, diverse Uraufführungen, sehr viele, bisweilen auch den normalen Rahmen sprengende Konzerte in der Elbphilharmonie. Das kann man eine Ära nennen. Nicht nur an der Alster. Doch auch wenn jetzt, zu den letzten beiden Premieren von Kent Nagano an der Hamburgischen Staatsoper, viele nun freundliche Worte finden: Es ist eine seltsam schwebende, zwischen Erfüllung und Überforderung, Leidenschaft und Gleichmut balancierende Operndirektionsdekade gewesen. Eine, die öfter stärkere musiktheatralische Überwältigungen, auch eine weit bessere Auslastung hätte bieten müssen.
Doch es scheint, so distinguiert das Auftreten und die Stellung des inzwischen 73-jährigen Amerikaners japanischer Abstammung ist: An seiner vorerst letzten Position in Deutschland ist er nicht so richtig heimisch und warm geworden. Das war für ihn (der seit 25 Jahren weder hier permanent wohnt, noch wirklich gut Deutsch gelernt hat) an seinen vorigen Positionen in Berlin und München anders.
Der im kalifornischen Berkeley geborene, in Morro Bay aufgewachsene Nagano machte bereits auf seinem ersten Posten in Europa, als Musikchef der Opéra de Lyon von 1989 bis 1998, von sich reden. 1991 bis 2000 amtierte er zudem als Chef des Hallé Orchesters im englischen Manchester, dirigierte an der Metropolitan Opera und bei den Salzburger Festspielen.
Obwohl Nagano das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin nur sechs Jahre, von 2000 bis 2006 leitete, wurde er dort Ehrendirigent und ist dem Klangkörper noch heute eng verbunden; auch wegen der inhaltlich überraschenden Konzertprogramme, für die vornehmlich sein 2024 gestorbener Dramaturg Dieter Rexroth verantwortlich war. 2006 wurde Nagano dann für 14 erfolgreiche Jahre Chefdirigent des kanadischen Orchestre symphonique de Montréal. Hier konnte der Bernstein- wie Messiaen-Schüler sowohl seine amerikano- wie frankophilen Neigungen ausleben.
Gleichzeitig war Nagano zwischen 2006 und 2013 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, bevor er dann in gleicher Position 2015 nach Hamburg wechselte. Jetzt, zehn Jahre später, weist die Karrierelinie des Kent Nagano steil nach unten: Seine nächsten Posten nach Hamburg sind das periphere Orquesta y Coro Nacionales de España in Madrid, wo er ab Herbst 2026 für zunächst fünf Jahre als Chef angeheuert hat, und ein Job als Erster Künstlerischer Partner der noch weniger wichtigen Filarmonica Toscanini in Parma.
Ansonsten geht es voran mit seinem seltsamen, vom Bundeshaushaltsausschuss mit über einer Million Euro pro Ausgabe finanzierten Projekt einer historischen Musiklesart von Wagners „Ring des Nibelungen“ mit Concerto Köln und dem Orchester der Dresdner Musikfestspiele; für das ihm freilich das historisch informierte Wissen wie Wagner-Können fehlt.
Was auch in Hamburg schmerzlich zu spüren war. Schon die Auftakt-Premiere mit den brutal zusammengekürzten Berlioz-„Trojanern“ misslang spektakulär. Viermal Strauss (immerhin dreimal im Verein mit dem Regiestar Dmitri Tcherniakov), „Holländer“, „Tannhäuser“, „Parsifal“, das waren alles keine Nagano-Sternstunden; ja schlimmer: Oftmals und anhaltend wurde er in Hamburg ausgebuht.
Ästhetischer Zickzackkurs
Im ästhetischen Zickzackkurs der dortigen Jahre, der auch auf die Ambitionslosigkeit des Schweizer Intendanten Georges Delnon zurückzuführen ist, blieben weder ein Kriegenburg-„Freischütz“ noch eine Marthaler-„Lulu“, ein Castorf-„Boris Godunow“ oder Schumanns „Faustszenen“ mit Achim Freyer unter Naganos Leitung wirklich haften. Gut gelungen waren hingegen zwei Schostakowitsch-Opern oder zuletzt die „Trionfi“ von Carl Orff. Und auch die drei Zusammenarbeiten mit John Neumeiers Hamburg Ballett (zweimal Beethoven und Messiaens Turangalîla-Sinfonie) stehen strahlend auf der Nagano-Habenseite.
Weit besser ist es um die Ur- und Erstaufführungen bestellt, die hier natürlich mindestens seit der legendären Rolf-Liebermann-Ära Tradition haben, und die auch zu Naganos Stärken in der Moderne wie im französisch-englisch-amerikanischen Repertoire zählen. Bevor er jetzt noch am 18. Mai „Die dunkle Seite des Mondes“, die zweite Oper der koreanischen Siemenspreisträgerin Unsuk Chin, sowie eine Woche später Rodolphe Bruneau-Boulmiers „Die Illusionen des William Mallory“ aus der Taufe hebt, war unter ihm in Hamburg zu erleben: „Senza Sangue“ ein Zweier-Drama von Péter Eötvös als Ergänzung für Bartóks einaktigen „Blaubart“, Toshio Hosokawas allzu still-stilisiertes Fukushima-Musiktheater „Stilles Meer“ und die missratene Salvatore-Sciarrino-Mythologie „Venere e Adone“.
Licht auf der Zeitgenossenschaft, Schatten auf der Tradition, so sähe ein Resümee der zehn Hamburger Nagano-Jahre aus. Es bleibt für die Hansestadt zu hoffen, dass das ambitionierte Folgeduo Tobias Kratzer (Intendant) und Omer Meir Wellber (Generalmusikdirektor) diese Bilanz ab 1. September zu steigern weiß.
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