Hadi Matar, der junge Amerikaner libanesischer Abkunft, der bei einer Podiumsdiskussion mit einem Messer auf den Romancier Salman Rushdie einstach, wieder und wieder, bis Matar überwältigt wurde, sodass der Schriftsteller das Augenlicht verlor und beinahe das Leben – Hadi Matar sprach heute bei der Urteilsverkündung. Und es lohnt sich, genauer hinzuhören, denn in seinen Sätzen steckt eine irre Weltsicht, die uns wahrscheinlich noch lange beschäftigen wird.

Hadi Matar nannte Rushdie einen Heuchler und einen „bully“; für dieses letzte Wort gibt es leider keine gute Übersetzung, obwohl sie dringend benötigt wurde. Ein „bully“ ist ein Junge, der jüngere Kinder zusammenschlägt: der Angeber auf dem Schulhof, vor dem alle anderen Angst haben. Er ist der im Inneren zutiefst unsichere Typ, der nur dann Selbstachtung empfindet, wenn Schwächere vor ihm kuschen. „Salman Rushdie will andere Menschen nicht respektieren“, sagte Matar. „Er will ein bully sein, er will andere Leute einschüchtern. Damit bin ich nicht einverstanden.“

Dazu ist erst einmal anzumerken, dass Hadi Matar offenbar kein Gran Reue empfindet. Er distanziert sich kein bisschen von seiner Tat; er bedauert nicht, dass er versucht hat, einen anderen Menschen in einen Klumpen blutendes, lebloses Fleisch zu verwandeln. Interessant ist, warum der Möchtegernmörder nichts bereut: Er sieht sich nämlich als Opfer. In seinen Augen wurde er, Matar, angegriffen, nicht Salman Rushdie. Er hat sich lediglich gewehrt. Rushdie ist der eigentliche Täter, denn er „empfindet keinen Respekt“. Und was hat Rushdie getan, um sein Schicksal zu verdienen?

Ein saukomischer Roman

Er hat einen Roman geschrieben. Das war es schon; das ist alles. Wenn Herr Matar sich von dem, was in diesem Roman steht, beleidigt fühlt, so hat er die Möglichkeit, diesen Roman einfach nicht zu lesen. Ja, es steht ihm sogar frei, ein Pamphlet zu verfassen, in dem er darlegt, warum es sich bei Rushdies Roman um eine Ungeheuerlichkeit handelt, die nie hätte gedruckt werden dürfen; und sollte Hadi Matar für sein Pamphlet keinen Verleger finden, so könnte er es ins Internet stellen und hoffen, dass möglichst viele Leute es anklicken.

Aber das genügte nicht. Rushdie musste bluten, Rushdie musste sterben. Und das ist das Irrsinnige an Hadi Matars Weltsicht: Rushdies Roman – wir sollten an dieser Stelle einflechten, dass „Die satanischen Verse“ ein saukomisches Buch ist, das sich überraschend gut gehalten hat; dass es in diesem Roman nur am Rande um den Islam geht; dass die strittigen Passagen von einer Romanfigur geträumt werden, es also um einen Traum in einer Fiktion geht –, Rushdies Roman ist für Hadi Matar kein mit Buchstaben bedrucktes Papierbündel. Er ist eine Massenvernichtungswaffe, eine Atombombe. Letztlich ist sogar egal, was drinsteht; wenn genug Muslime sich von dem Bündel bedruckten Papiers beleidigt fühlen, so rechtfertigt das jegliche Gewalttat.

Und Rushdie ist kein Spinner, der in seinem Kämmerchen Geschichten ausdenkt und es schafft, mit dieser leicht absurden Tätigkeit viel Geld zu verdienen. Nein, er ist ein „Heuchler“ – weil er nicht zugeben will, dass es ihm darum ging, eine Atombombe explodieren zu lassen – und ein „bully“, ein Mistkerl, der Schwächere einschüchtert. Ideologisch ist Hadi Matar Lichtjahre weit von dem rechtsradikalen Mob entfernt, der gegen die „Eliten“ wütet und damit Leute meint, die lesen und schreiben können und vielleicht sogar an einer Universität studiert haben. Mentalitätsmäßig ist der radikale Muslim jedoch eng mit ihnen verwandt. Und natürlich lässt sich mit Leuten, die eine solche Mentalität haben, nicht verhandeln. Sie müssen gestoppt werden.

Hadi Matar wurde jetzt im Bundesstaat New York zu 25 Jahren Haft verurteilt; sein Anwalt hatte zwölf Jahre gefordert und sich dabei darauf berufen, dass Matar sich noch nie etwas hatte zuschulden kommen lassen. Als ungerecht wird diese Strafe nur empfinden, wer nicht bedenkt, dass Salman Rushdie bei dem Angriff beinahe sein Leben verloren hatte und auch Ralph Henry Reese, der als Moderator mit auf der Bühne saß, schwer verletzt wurde. Salman Rushdie war bei der Verkündung des Strafmaßes nicht anwesend, und er hat recht damit: Ihn geht diese Sache nun nichts mehr an.

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