Mehr Struktur, mehr Gefühl, weniger Ablenkung: Abseits der Branchen-Effekthascherei überrascht Miley Cyrus auf ihrem neuen Studioalbum "Something Beautiful" mit gradliniger und entschleunigter Pop-Kunst.

Im Kampf um die Pop-Queen-Krone setzen die Großverdienerinnen der Branche die Latte immer höher an. So werden die Harmonien immer zugänglicher, die Effekte immer wilder und die dazugehörige Präsenz immer aufdringlicher. Die ultimative Distanzlosigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Wer die Herzen von Millionen "Charts Pop"-Besessenen erobern will, der muss das große Gesamtpaket so lange falten, bis es unter dem Daumennagel nicht mehr zu sehen ist.

Die vielleicht offenherzigste und unberechenbarste Titelkandidatin tritt nun vehement auf die Höher-schneller-weiter-Bremse und schlägt einen neuen Weg ein. Statt auf der Suche nach der nächsten Über-Melodie noch mehr Kitsch, Glamour und Klischees mit einfließen zu lassen, entspannt Miley Cyrus das komplette Ganze und setzt alles auf die Karten Songwriting und Atmosphäre.

Sicher, "Something Beautiful", das neunte Studioalbum der 32-jährigen Sängerin, ist zweifelsohne ein lupenreines Pop-Album. Aber im Vergleich zur überproduzierten Produktpalette der Konkurrenz überrascht das insgesamt 13 Stücke umfassende Studiowerk mit musikalischem Tiefgang und einer beinahe nicht für möglich gehaltenen Reife.

Gereifte Detailverliebtheit

Nimmt man die teils sehr sphärischen und doch eher überflüssigen drei Instrumental-Bausteine des Albums raus, hat man am Ende immer noch zehn detailverliebt arrangierte Songs, deren Klasse sich erst nach dem zweiten oder dritten Durchlauf in seiner ganzen Pracht offenbart. Die bereits dauerrotierende Vorab-Single "End Of The World" fungiert beinahe schon als Speerspitze, wenn es um die eingängigsten Songs des Albums geht. Ganz vorne weg leuchtet das simpel im Midtempo-Takt tänzelte "Golden Burning Sun". Hier spitzt man schnell die Ohren, und man hat die Füße bereits nach wenigen Sekunden nicht mehr wirklich unter Kontrolle.

Der gängige Hitsuchende hat aber sonst nicht viel zu lachen. Stattdessen setzt der Fan von geschmeidigen Adult-Pop-Klängen ein zufriedenes Lächeln auf. Fernab vom arenaschluckenden Swift-Hype und dem pompös daher stolzierenden Gaga-Bombast setzt Miley Cyrus mit Songs wie der schleppenden Dynamik-Nummer "More To Lose", dem bassgetriebenen Bar-Popper "Easy Lover" und dem flotten "Dead Or Alive"-Gruß "Walk Of Fame" auf musikalische Gradlinigkeit und strukturelles Songwriting.

Miley Cyrus eilt der Konkurrenz davon

Nur ganz selten schießt das einstige Enfant Terrible der Branche übers Ziel hinaus, wenn man beispielsweise zu offensichtlich im Schatten von Billie Eilish Grimassen zieht ("Something Beautiful") oder sich gemeinsam mit Model-Ikone Naomi Campbell in überkandideltem Allerweltspop verliert ("Every Girl You've Ever Loved"). Das große Ganze passt, und zwar ziemlich gut. So ist der Albumtitel Programm - gewollt oder nicht. Miley Cyrus eilt der Konkurrenz davon. Und das im gemäßigten Tempo und mit wenig Gepäck. Manchmal ist less eben more. Das ist im wahren Leben so und auch in der gekünstelten Musikwelt nicht anders.

"Something Beautiful" ist ab sofort überall erhältlich.

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