Eines vorweg: «Bono: Stories of Surrender» ist kein typischer biografischer Dokumentarfilm. Und schon gar keine klassische Lesetour.

Zwar basiert «Stories of Surrender» auf Bonos Memoiren «Surrender: 40 Songs, One Story», aus denen zuerst ein Gastspiel am New Yorker Broadway wurde – und nun ein Film unter der Leitung von Andrew Dominik («The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford», «Blonde»). Doch wenn einer der grössten Rockstars unserer Zeit Geschichten aus seinem Leben erzählt, dann tut er das nicht im Sitzen hinter einem Lesepult.

Er spielt. Inszeniert. Tigert über die Bühne, spricht mit imaginären Gesprächspartnern auf leeren Stühlen, klettert über Requisiten und webt sein Leben in ein szenisches Erzähltheater.

Zu hören bekommen wir Episoden über den ersten U2-Proberaum, über das Vatersein, oder über Weihnachten 2016, als der U2-Frontmann wegen einer seltenen Herzfehlbildung notfallmässig operiert werden muss. Bono selbst fasst das als «Grosse Geschichten eines kleinen Rockstars» zusammen.

Legende: Hochglanz-Schwarzweiss-Produktion, aber für Gesprächspartner hat das Budget dann nicht mehr gereicht: Bono auf der Bühne seiner Ein-Mann-Show. Apple

U2-Songs – nur anders

Aber natürlich bleibt auch die Musik nicht auf der Strecke. Bonos Ein-Mann-Show wird durch musikalische Neuinterpretationen aus dem U2-Katalog begleitet – von der Debütsingle «Out of Control» bis hin zu Klassikern wie «Beautiful Day» oder «With or Without You». Allerdings erscheinen diese Songs hier in radikal anderen Fassungen. Kein Edge, kein Larry, kein Adam, stattdessen ein Kammerensemble unter der Leitung von Jacknife Lee, begleitet von Cello und Harfe. So werden die U2-Evergreens in ein neues, intimeres, teilweise überdramatisches Gewand gehüllt.

Und doch: So persönlich Bonos Geschichten auch sind, eine gewisse Distanz bleibt stets spürbar. Vielleicht liegt es ja an der überstilisierten Inszenierung in Schwarzweiss, aber: die Wand zwischen Show und Wahrheit wird hier nie vollständig abgebaut.

Wenn Bono über den Tod seiner Mutter spricht – sie bricht beim Begräbnis ihres eigenen Vaters mit einem Aneurysma zusammen und stirbt drei Tage später, anschliessend wird sie am Familientisch praktisch totgeschwiegen – dann könnte das erschütternd sein.

Doch wenn dieser Moment nur Einleitung zur nächsten musikalischen Darbietung ist, fragt man sich unweigerlich: Ist das noch ein ehrliches Bekenntnis oder nur das nächste Puzzlestück einer perfekt durchstrukturierten Inszenierung?

Bono selbst spricht in der Show dieses Spannungsverhältnis von «Truth» und «Untruth» zwar an, damit wird dieses Dilemma aber nicht weniger dringlich.

U2 und Apple – war da nicht mal was?

Gerade erst feierte «Bono: Stories of Surrender» Premiere in Cannes, am renommiertesten Filmfestival der Welt, nun erscheint der Film exklusiv auf dem hauseigenen Streamingdienst von Apple, inklusive einer immersiven Version für die «Apple Vision Pro», Apples VR-Brille.

Legende: Mit der multimedialen Show ging's 2022 und 2023 auf Welttournee. Neben 13 Auftritten im New Yorker «Beacon Theatre» gab's auch Auftritte in Neapel, Berlin oder Paris. Apple

Es ist nicht die erste Zusammenarbeit zwischen Bono und dem Tech-Giganten. Wir erinnern uns: Vor elf Jahren wurde U2s Album «Songs of Innocence» ungefragt auf jedes Apple-Gerät der Welt gespielt – ein PR-Stunt, der für viel Kritik sorgte und heute eher als Eigentor gilt. Gut möglich also, dass «Bono: Stories of Surrender» ein stilles Versöhnungsangebot ist. Auf alle Fälle ist der Effekt dieses Mal spürbar stimmiger.

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