„Mein Name ist Joseph, ich bin 89 Jahre alt und aus Kansas“. So beginnt ein YouTube-Kommentar unter dem neuen Musikvideo von Miley Cyrus.

„Ich bin zu alt, als dass meine Worte bei irgendjemandem Anklang finden würden, aber ich möchte einfach sagen: Dank der Lieder dieses Mädchens, das ich bewundere, fühle ich mich meiner Frau, die 2020 verstorben ist, wieder näher.“ Seine Frau habe früher zu Cyrus‘ Videos getanzt und gesungen; jetzt verspricht er, Cyrus immer zu unterstützen, weil sie für ihn immer etwas Besonderes sein werde.

Miley Cyrus: Wer ist diese Frau, die mit 32 Jahren ihr neuntes Album veröffentlicht, im vergangenen Jahr ihren ersten Grammy für „Flowers“ gewann – und Fans aller Altersgruppen und politischen Lager vereint? Vom „Hannah Montana“-Disney-Star avancierte die 1992 als Destiny Hope Cyrus in Tennessee Geborene schnell zur Ikone, die in das Musikgeschäft einschlug, wie eine Abrissbirne – dieser setzte sie in ihrem wohl größten Hit „Wrecking Ball“ dann auch ein Denkmal.

Wofür steht Miley Cyrus im Popstar-Universum? Wo Taylor Swift die süße Durchschnittlichkeit und Billie Eilish die lässige Coolness zum Statussymbol erhoben haben, verkörpert Cyrus raue Sexyness: In ihren Musikvideos räkelt sie sich auf dem Boden, wirft den Kopf lasziv nach hinten, sodass ihre vollen Haare ins Gesicht flattern.

Auf im Vorfeld veröffentlichten Promo-Fotos trägt sie ein spinnennetzartiges Thierry-Mugler-Kleid von 1997, ein sogenanntes „Naked Dress“ – jene Mode-Kategorie, die spätestens vor wenigen Wochen ihren Weg ins populäre Bewusstsein gefunden hat, als das Filmfestival von Cannes solche Kleider auf dem roten Teppich verbot. Cyrus selbst nennt ihr psychedelisches Werk „hypnotisch“. Mindestens ebenso sehr wirkt es aber auch klassisch: Schwarz-weißer Diven-Glamour trifft auf punkige Rock-Ästhetik.

Cyrus’ rauchig-tiefe Stimme markiert ein Kontrastprogramm zum allgegenwärtigen Mädchenhaft-Engelhaften. Auf die Outings als nicht-binär und pansexuell – Cyrus fühlt sich selbst keinem Geschlecht zugehörig und begehrt andere Menschen unabhängig von deren Geschlecht – folgte vor wenigen Tagen eine weitere Bekanntgabe: Ihre tiefe Stimme sei die Folge einer chronischen Stimmbanderkrankung, des sogenannten Reinke-Ödems, so Cyrus.

Diese Erklärung passt zum neuen Album, das sich der Idee verschreibt, dass aus Schlimmem auch Schönes erwachsen kann. Aus dem Weltuntergang etwa eine neu entfachte Liebe, da die Krise das Paar nur umso enger zusammenschweißt. „Lass uns so tun, als wäre es nicht das Ende der Welt“, heißt es im Refrain der Apokalypsen-Hymne „End of the World“. Diese Melancholie des Als-Obs, die sich zwischen Destruktion und Hoffnung einen Weg bahnt, hätte auch dem Rest des Albums gut gestanden.

„Zeig mir, wie du mich halten würdest, wenn es ganz sicher ein Morgen gäbe“, fährt der Eskapismus-Song fort. Fungierte die Liebe in Cyrus‘ Hit „Flowers“ noch als Konzept, gegen das es sich zu rebellieren lohnte, dient die Zweisamkeit nun wieder als letztes Refugium in einer Welt, deren Ende naht.

„End of the World“ bleibt das Highlight auf einem sonst eher stressigen Experimental-Album, das zwischen Trennungsballaden („More to lose“), flehenden Liebesversicherungen („Pretend You’re God“) sowie einem gesprochenen Präludium und tranceartigen Zwischenspielen mäandert – auf der Suche nach einem roten Faden, den es nicht finden will.

Das Album „Something Beautiful“ erscheint am 30. Mai.

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