Das sind meine Freunde: Da steht Vuillard, daneben Valloton, der Dicke ist Signac“, erfährt die junge Marthe. „Wir sind die ‚Nabis‘, das bedeutet: Propheten.“ Marthe de Méligny, wie sie sich nennt, ist hier eher zufällig reingeraten, und fühlt sich nicht so wohl wie Pierre Bonnard, der sie als seine Begleitung mitgebracht hat. Das großbürgerliche Haus im Paris des Fin de Siècle ist voller Maler, Komponisten, Dichter, Intellektueller. Gerade hat Misia, die mondäne Gastgeberin, die Bohemiens am Klavier verzaubert. Marthe will lieber schnell wieder weg.

Mit Bonnard hat sie gerade eine Amour fou angefangen, wie man sie sich in Künstlerkreisen nicht schöner vorstellen kann. Sie, eine schöne junge Frau aus gar nicht aristokratischen, sondern ärmlichen Verhältnissen, verdingt sich als Näherin von Seidenblumen und möchte raus aus dem Prekariat. Er, der reiche Gönner hat, will Rebell sein und mit seinen Propheten-Freunden die Malerei revolutionieren, ein Spießerleben mit Ehe, Familie und Kindern verachtet er.

Pierre (gespielt von Vincent Macaigne) hat Marthe (Cécile de France) auf der Straße aufgegabelt, und sie in sein Atelier mitgenommen, er will sie malen, unter ihrem großen Hut. Die geschnürte Corsage soll sie aber ruhig aufmachen. Er will ihre Brüste sehen. Sie ziert sich. Aber nur ein bisschen. Man landet im Bett. Nach dem Höhepunkt hyperventiliert sie in seine Armen. Es ist die große Liebe, aber auch Asthma.

Die Liebe sollte (erst ab 1925 als Ehepaar) ein Leben lang halten, bis Marthe 1942 starb. Trotz der Affären, die Pierre hatte. Auch trotz der Ménage-à-trois mit der jungen Renée (Stacy Martin), die für die Kunststudentin tragisch enden sollte, und trotz der psychischen Probleme, mit denen Marthe zeitlebens zu kämpfen hatte. Aber war sie wirklich die lethargisch Manipulative, die den erotisch verblendeten Pierre um den Finger wickelte, ihn zu einem Leben auf dem Lande zwang, statt bei seinen Freunden in Paris zu sein?

Der französische Regisseur Martin Provost ließ sich für sein Biopic „Die Bonnards – malen und lieben“ von der Psychoanalytikerin Françoise Cloarec historisch beraten. Sie hatte 2016 die Biografie „L’indolente“ geschrieben, benannt nach einem berühmten Bildnis einer nackten, mit gespreizten Beinen im Bett liegenden Frau, das heute dem Musée d’Orsay gehört, und das maßgeblich das Image von Marthe als mysteriöse Mätresse geprägt hatte, die öffentlich nicht in Erscheinung treten mochte, aber mehr Einfluss auf Pierre hatte, als ihm guttat.

Auch das Museum bemüht sich in der Deutung des Gemäldes aus dem Jahr 1900 um Differenzierung: Es sei eine „wahre Hymne an die Lust“, der dargestellte Körper mit den angespannten Muskeln und dem in den rechten Oberschenkel gepressten linken Fuß widerlege „jede Vorstellung von Ruhe oder Trägheit“. Diese Frau, „die nach der Liebe dem Blick dargeboten wird“ sei „Ausdruck einer enthüllten Intimität – gewalttätig, leidenschaftlich, düster“.

Es ist das Schlüsselbild, das dem Modell fürs Leben den Stempel aufdrückte. Immer wieder tauchte Marthe nur als impressionistisch verschwommenes Motiv in den Gemälden auf. Als Frau igelte sie sich ein in der Musenrolle und versuchte, ihr zu entfliehen. In ihr keimte ein frühmoderner Feminismus, den sie nicht auszuleben wusste. Die Freiheit hätten ihr weder sie selbst noch ihre Zeit gestattet. Also bleibt sie die Gemalte, auch als sie selbst beginnt zu malen, nur um endgültig in die Depression zu schlittern

In der Symbiose gelang es nur Pierre Bonnard, den Ruhm als Künstler zu mehren. Trotz oder wegen Marthe? Das lässt Martin Provost in seinem Film offen. Er scheint verzaubert von den Glücksmomenten einer toxischen Beziehung.

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