Seine an Comic-Charaktere erinnernden „Companions“ sind einem breiten Publikum innerhalb der Popkultur längst vertraut: Sie begegnen uns im Alltag, in der Werbung und in den Medien – oft durch Kooperationen mit weltweit bekannten Marken wie dem Sportartikelhersteller Nike oder dem Bekleidungskonzern Uniqlo. Kaum einem anderen zeitgenössischen Künstler gelingt es dabei so überzeugend wie dem Amerikaner KAWS, der seine Karriere in den 1990er-Jahren als Street-Art-Künstler begann, eine Brücke zwischen High Art und Low Art zu schlagen. Die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz verschwimmen in seinem Werk – ein Spiel mit Ambivalenzen, das der Künstler bewusst inszeniert.
Die Albertina Modern widmet KAWS im Jahr 2026 die erste umfassende Museumspräsentation in Österreich. Der Fokus liegt dabei auf einem Thema, das seit jeher an der Schnittstelle zwischen Hoch- und Populärkultur angesiedelt ist: der Bezug zum Comic. Dieser findet in KAWS’ Œuvre vielfältigen Ausdruck – sei es in der reduzierten, grafisch klar strukturierten Formensprache oder in der expliziten Verarbeitung ikonischer Comicfiguren wie Walt Disneys Mickey Maus oder Snoopy aus der Cartoonserie Peanuts.
Unter dem Titel „KAWS. Art and Comic“ widmet sich die Schau in der Albertina Modern dem spannungsvollen Zusammenspiel von Comics, Bildergeschichten, Cartoons und bildender Kunst. Es zeigt sich, wie sehr KAWS’ Schaffen im Kontext des Umgangs mit einer – für Comics typischen – universellen, einfachen und gut verständlichen Bildsprache kunsthistorisch fest verankert ist.
In unterschiedlichen kunsthistorischen Strömungen ließen sich Künstler und Künstlerinnen immer wieder von Alltag und Alltagskultur inspirieren, die sie in ihren Werken aufgriffen und reflektierten. Spätestens ab den 1960er-Jahren begannen sie, die Trennung zwischen Hochkultur und Populärkultur grundlegend zu hinterfragen. Die Ausstellung zeigt die Arbeiten von KAWS – selbst leidenschaftlicher Kunstsammler – in einer dialogischen Gegenüberstellung mit Werken von namhaften Größen der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wie Jean-Michel Basquiat und Keith Haring sowie aktuellen internationalen Positionen der Gegenwartskunst wie Katherine Bernhardt oder Joyce Pensato.
Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage, inwiefern der Comic als gestalterisches und inhaltliches Leitmotiv in der gegenwärtigen Kunstproduktion fungiert. Dabei tritt die künstlerische Eigenständigkeit KAWS’ markanter Figuren hervor, die Elemente aus Street-Art, Popkultur, Werbung und öffentlicher Kunst vereinen und inhaltlich wie ästhetisch mit Konventionen brechen.
Kunst und Konsum
Comics erzählen in eingängiger und leicht verständlicher Bildsprache eine Geschichte. Über nationale Grenzen hinweg begeistern sie Menschen aller Altersgruppen und sozialer Schichten gleichermaßen. Als Bildergeschichten fungieren sie spätestens seit der Moderne als verbindendes Glied in der Gesellschaft und haben ihre Faszination bis weit ins 21. Jahrhundert hinein bewahrt.
Das allgemeine Interesse an Comics und seiner visuellen Ausdrucksformen auch Künstler und Künstlerinnen nicht unberührt. Genau diese Kriterien nutzt auch KAWS, um ganz unmittelbar und auf einer niederschwelligen Ebene mit seinem Publikum zu kommunizieren. Sein Spiel mit dem Pendeln zwischen Kunst und Kommerz spiegelt dabei gewissermaßen eine Demokratisierung von Kunst wider: Kunst und deren Konsum werden damit zu einem bestimmenden Element des Alltags.
KAWS stellt auch mit seinem Label OriginalFake die Frage nach der Grenze zwischen Spielzeug und Kunst – und unterläuft dabei bewusst den Anspruch auf Einzigartigkeit und Exklusivität von Kunstwerken. In einer zunehmend bildgesteuerten wie -gefluteten Welt steht KAWS für die visuelle Kultur unserer Gegenwart – eingängig, wiedererkennbar und global vermarktbar. Aber genau hier liegt vielleicht auch seine Relevanz, denn KAWS gelingt es, über diesen Zugang Publikumsschichten zu erreichen, die sich fernab des traditionell interessierten Museumspublikums bewegen.
Doch seine Arbeiten berühren die Menschen auch auf einer tiefergehenden Ebene: Trotz ihrer popkulturellen und cartoonhaften Ästhetik, die gemeinhin mit Leichtigkeit und Fröhlichkeit assoziiert wird, durchzieht seine Figuren ein melancholischer Grundton. Der Künstler nennt sie „Companions“ – also Begleiter. Oftmals zeigt er sie isoliert, mit gesenktem Kopf oder ihr Gesicht mit ihren Händen bedeckend. Sie wirken einsam, verloren und verkörpern ein Gefühl innerer Zerrissenheit, das besonders im Kontext einer zunehmend entfremdeten und aus dem Gleichgewicht geratenen Welt spürbar wird.
KAWS’ Schaffen bietet somit nicht nur eine visuelle Auseinandersetzung mit Emotionen, sondern auch einen Kommentar zu den psychischen Belastungen des modernen Individuums. Wie das aus der Graffiti-Szene bekannte Tag, versieht KAWS die Augen seiner Figuren mit einem X – ein stilistisches Markenzeichen, das sich durch sein gesamtes Werk zieht und seinen Figuren einen unverkennbaren Wiedererkennungswert verleiht.
Diese Praxis rührt aus KAWS’ künstlerischen Anfängen als Street-Artist, als er Gesichter auf Plakatwänden und Werbungen mit einem X-Symbol übersprayt; ein Akt der Aneignung, der Verfremdung und zugleich Entindividualisierung. Das Gesicht, Träger und Ausdruck von Identität, wird aufgelöst. Der Einzelne verliert sich in der anonymisierten Masse, was als subtiler Kommentar auf eine von Konsum, Reizüberflutung und medialer Gleichförmigkeit geprägten Gegenwart gelesen werden kann.
Es ist jene Spannung zwischen Oberfläche und Tiefe, zwischen Ironie und Ernst, zwischen Kommerzialisierung und Subversion, die KAWS’ Werk die ihm zugrunde liegende Komplexität verleiht – und zugleich einen Spiegel unserer ambivalenten Gegenwart und einer dystopischen Stimmung einer sich immer schneller drehenden und im Wandel befindlichen Welt bietet. KAWS trifft mit seiner Ästhetik, mit seiner Kunst einen Nerv unserer Zeit und spricht die Massen auf unmittelbare Weise an.
Eine ganze Generation, die im Kontext von Markenidentitäten, sozialen Netzwerken sowie der Selbstverständlichkeit digitaler Reproduzierbarkeit sozialisiert wird – mit einem fortschreitenden Verlust individueller Einzigartigkeit einhergehend –, findet in der künstlerischen Praxis von KAWS einen entsprechenden Resonanzraum für die Reflexion und Artikulation ihrer kollektiven Erfahrungen.
Der Autor ist Generaldirektor der Albertina in Wien und bereitet die Ausstellung „KAWS.Art and Comic“ in der Albertina Modern vor (3. April bis 27. September 2026). Die Galerie Hetzler in Berlin zeigt die Ausstellung „KAWS. Therapy“ bis zum 9. August 2025.
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