Bei den Olympischen Spielen von Paris gab es viele strahlende Sieger, aber auch ein paar heimliche Stars. Einer davon war das Grand Palais, das mit seinen 72.000 Quadratmetern Fläche größer ist als das Schloss von Versailles. Am Abend der Eröffnungsfeier stand auf dem Dach des Weltausstellungspalastes, in über 40 Metern Höhe, die Sopranistin Axelle Saint-Cirel im weißen Kleid mit rotem Schweif, die Nationalflagge in der Hand, und stimmte die Marseillaise an, Frankreichs Nationalhymne.

Am Tag darauf wurde das eindrucksvolle Gebäude zwischen Seine und Champs-Elysées Austragungsort von Fecht- und Taekwondo-Wettkämpfen. „Das Grand Palais gehörte während der Spiele zu den am häufigsten fotografierten Wahrzeichen von Paris“, versichert Didier Fusillier, Direktor des Verbunds der französischen Staatsmuseen und Schlösser, Réunion des Musées Nationaux (RMN), zu dem auch das Grand Palais gehört, der 2021 den disruptiven Kulturmanager Chris Dercon abgelöst hat.

Mit Fusilliers Amtsantritt begann die Grundsanierung des Hauses, das seit der Weltausstellung 1900 nie vollständig renoviert worden war, und das nach dem Brand des Crystal Palace in London im Jahr 1936 der letzte architektonische Zeuge der Glasarchitektur der Belle Époque ist. Dabei hatten sich 1993 erstmals Schrauben aus dem Metallgerüst des Glasdachs gelöst, die auf die Besucher fielen. Zur Jahrtausendwende begnügte man sich auf Notreparaturen, um den Einsturz zu verhindern. Nach vier Jahren Grundsanierung ist das Grand Palais im Juni 2025 nahezu vollständig wiedereröffnet worden. Ein letzter Teil folgt 2026.

Grand Palais soll Festspielhaus werden

Fusillier, ein großer, schlanker Mann, ist an diesem Sommertag ins Grand Palais geradelt, die Rue de Rivoli hinauf, auf der so viele Radfahrer unterwegs waren, dass es einen Stau gegeben hat. Paris hat sich verändert, und auch er will mit dem Grand Palais zu diesem Wandel der französischen Hauptstadt beitragen. „Ich will das Grand Palais zu einem Festspielhaus machen, es soll populär sein“, verspricht der Hausherr.

Mit „populär“ meint er nicht nur beliebt, sondern auch näher am Volk als bisher. Er will die gute, alte Hochkultur mit Eventkultur vermischen, das Grand Palais wie schon zuvor an Modeschauen und Kunstmessen vermieten, aber auch in einen Ort des Clubbings verwandeln, Seiltänzer, Akrobaten, Rapper einladen, genauso wie Operninszenierungen beherbergen.

Zu diesem Konzept gehört auch, das Haus im Sommer zu öffnen und mit den großen Ausstellungen nicht, wie sonst üblich, erst im September zu beginnen. Es soll ein Magnet für Touristen und Pariser werden. „Grand Palais d’été“ heißt das Sommerprogramm mit Ausstellungen, Theater- und Tanzaufführungen, After-Partys und DJ-Sets, teilweise geöffnet bis in die frühen Morgenstunden.

Fusillier bestreitet, dass er mit seinem bunten Programm das Centre Pompidou beerben wolle, das im September für fünf Jahre ebenfalls für seine Generalüberholung schließt. Die beiden großen Ausstellungen zur „Art Brut“ und über „Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely und Pontus Hultén“ – letzterer war der erste Direktor des Musée National d’Art Moderne im 1977 eröffneten Centre Pompidou – sind allerdings in Kooperation mit dem demnächst geschlossenen Haus entstanden.

Seit der Wiederöffnung begreifen Besucher, dass das Grand Palais nicht nur die riesige, 13.500 Quadratmeter große Halle unter der Glaskuppel ist, die vergangenes Jahr im Eiltempo für die Olympische Spiele fertiggestellt werden musste. Hinter ihm, zugänglich von der Avenue Franklin D. Roosevelt liegt der Westflügel, das Palais d’Antin, das man nur als Palais de la Découverte kennt. Beide Gebäudeteile sind über einen Mittelflügel verbunden, der lange nicht zugänglich war.

Wer die 6000 Quadratmeter großen Räume vom Square Jean-Perrin betritt, braucht kein Ticket und kann die atemberaubende Restaurierung der Kuppel des Westflügels, der Freitreppen, der Mosaikböden und Fresken bewundern und das Denkmalschutz-Verbrechen der letzten Jahrzehnte erahnen. Unterschiedliche Institutionen waren über die Jahre und Jahrzehnte Mieter und haben die historische Architektur nach und nach zugebaut. Selbst unter der ovalen Glaskuppel wurde eine Decke eingezogen.

Das Team aus Architekten und Restauratoren hat Schicht für Schicht freigelegt, die zum Teil zerstörten oder fehlende Mosaike ersetzt, Treppenstufen aus dem Stein desselben Steinbruchs im Burgund gefertigt, der schon 1900 das Material lieferte. Die Zahl der 20.000 Goldblätter, die für die Vergoldung der sogenannten Trophäen nötig waren, geben eine Vorstellung von der alten Pracht, die im neuen Glanz erstrahlt.

Ist Fusilliers Vorhaben dreist?

Vom Palais d’Antin ist bislang ist nur die Rotunde unter der Kuppel zugänglich, der Rest folgt im Jahr 2026. Offen ist, ob das Wissenschaftsmuseum des Palais de la Découverte dort wieder seinen Platz finden wird. Aber die Pariser Kulturkämpfe interessieren derzeit nur den Betrieb.

486 Millionen Euro hat die Restaurierung gekostet, größtenteils vom Staat finanziert. 30 Millionen kamen von Mäzenen. 200 weitere Millionen hat das Grand Palais als Kredit aufgenommen, die es jetzt einspielen muss. Auch der Jahresetat von 100 Millionen Euro wird nur zu 14 Prozent vom Staat getragen. Der Rest muss durch Kartenverkauf und Großevents finanziert werden. Das erklärt das eklektische Programm des Hausherrn, der einerseits auf Mega-Events setzt, die viel Geld in die Kasse bringen, andererseits große Teile des Grand Palais umsonst zugänglich macht, um Familien anzulocken.

In diesem Sommer kann man das Werk des Brasilianers Ernesto Neto kostenlos sehen, eine begehbare Skulptur mit dem Titel „Nosso Barco Tambor Terra“. Für die Ballon-Ausstellung „Euphoria: Art Is in the Air“ muss man indes 27 Euro bezahlen, ein Konzept der „aufblasbaren Kunst“, das den Veranstaltern in Rom und Mailand viel Geld in die Kassen spülte und das Fusillier schon als Direktor der Grande Halle de la Villette in anderer Form getestet hat.

Der Pariser Kulturbetrieb mokiert sich bereits. „C’est gonflé!“, das sei dreist, titelte „Le Quotidien de l’Art“. Das Magazin „Marianne“ sprach von „Betrug“, wenn Familienunterhaltung als Kunstausstellung betitelt wird. Am Ende geht es ins Bällebad, als wäre man beim Einkauf bei Ikea.

Wenn man Fusillier nach seinem Kunstbegriff fragt, bezieht er sich auf André Malraux und Jacques Lang, die Minister der kulturpolitischen Blütezeit Frankreichs. „Den ärmsten Leuten und vor allem Familien Zugang zur Kultur und zur Schönheit zu verschaffen, hatte für mich immer absolute Priorität“, sagt er und zitiert den französischen Soziologen Pierre Bourdieu, der schrieb, dass das Problem des Theaters nicht das Theater sei, sondern die Tür.

Didier Fusillier hat die Schwelle winzig gemacht und alle wirklichen und eingebildeten Hürden beseitigt. Seine Institution besitzt kein einziges Gemälde, kein eigenes Werk, aber er lädt seine Nachbarn wie den Louvre und das Musée d’Orsay ein, ihren Reichtum auszustellen, und will wie ein perfekter Gastgeber jedem Besucher das Gefühl geben, im Grand Palais zu Hause zu sein.

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