Peter Gelb, Generaldirektor der Metropolitan Opera in New York, ist lange Zeit ein Verfechter des kulturellen Austausches mit Russland und China gewesen, mittlerweile zählt er zu den schärfsten Verfechtern eines Auftrittsverbots für Wladimir Putin nahestehende Künstler im Westen. Dass ausgerechnet Putins Stardirigent Valery Gergiev am 27. Juli im italienischen Schloss von Caserta dirigieren soll – übrigens ein indirekt mit EU-Mitteln geförderter Auftritt – empört ihn.
WELT: Wie kam es, dass Sie früher so sehr für kulturellen Austausch gerade mit Russland eingetreten sind, und heute nicht mehr?
Peter Gelb: Wir leben in ganz unterschiedlichen Zeiten. Meine ganze Karriere lang, seit den Siebzigerjahren, habe ich mich für den kulturellen Austausch mit verschiedenen Ländern engagiert. Damals schien mir das eine sehr sinnvolle Angelegenheit zu sein: Brücken bauen, Grenzen überwinden, das Verständnis füreinander fördern. In den Achtzigern brachte ich Vladimir Horowitz zurück nach Moskau. Das war eigentlich der erste Schritt zur Entspannung zwischen Reagan und Gorbatschow. Damals vereinbarten sie, dass sie vor der Unterzeichnung eines Abkommens zur nuklearen Abrüstung zunächst einen kulturellen Austausch beginnen würden. Und Horowitz‘ Rückkehr war das erste Ergebnis.
WELT: Unmittelbar vor dem Ukraine-Krieg waren Sie noch in Moskau.
Gelb: Ja, ich und Wladimir Urin, der damals Direktor des Bolschoi-Theaters war, hatten uns auf einen Vertrag über drei Koproduktionen geeinigt, bei dem die Met für die Kreativteams verantwortlich sein sollte und das Bolschoi-Theater die Produktionen herausbringen und die Kulissen bauen sollte, die dann nach New York kommen würden. „Salome“ hatte schon Premiere gehabt, die Claus-Guth-Produktion kam mit neuen Kulissen auch nach New York und war ein großer Erfolg. Der folgende „Lohengrin“ aber blieb schon in Moskau. Mit Kriegsbeginn habe ich sofort alle Beziehungen abgebrochen.
WELT: War das aber nicht auch schon ein Spiel mit dem Teufel? Wladimir Urin hat zwar ein paar Wochen später einen Protestbrief gegen die Invasion unterschrieben, was ihn letztendlich sicher seinen Job gekostet hat. Das Bolschoi aber war immer schon Russlands Staatsbühne.
Gelb: Natürlich war mir bewusst, dass Urin als Leiter des Bolschoi-Theaters Wladimir Putin diente, und er versicherte mir damals sogar, dass Putin persönlich dem Vertrag mit der Met zugestimmt habe. Aber damals glaube ich, dass der Kulturaustausch mit Russland einem sehr nützlichen Zweck diente.
WELT: Wie ist Ihr Verhältnis zu Valery Gergiev?
Gelb: Gergiev ist Putin treu ergeben. Er dient ihm künstlerisch, führt seine Befehle aus und feiert seine Siege. Dafür wurde er mit der Leitung des Bolschoi belohnt. Gerade in einer Zeit, in der die Ukraine unsere größte Unterstützung braucht, müssen wir den Menschen dort zeigen, dass wir sehen, was Russland dort anrichtet. Kultur ist für gerade für die Ukraine sehr wichtig, weil man dort versteht, wie Putin die Kultur im Namen Russlands als Waffe einsetzt. Deshalb bedaure ich, dass wir die Ukrainer nicht schon früher unterstützt haben. Aber die ganze Welt hat geschlafen, als der Krieg vor Jahren begann.
WELT: Gergiev hat aber schon seit 2020 nicht mehr an der Met dirigiert.
Gelb: Ich habe bereits vor der Invasion die künstlerische Entscheidung getroffen, ihn nicht mehr zu engagieren, weil er so abgelenkt war von seinem politischen Leben, dass seine Dirigate immer schwächer wurden. Ich halte ihn nach wie vor für ein unglaubliches Talent, einen der größten Dirigenten der Welt. Aber er wurde unzuverlässig, war meist erschöpft, weil er direkt aus dem Flugzeug kam. Es ist kein Verlust für uns, es ist ein Verlust für ihn als Künstler.
WELT: Jetzt soll er am 27. Juli im Königsschloss von Caserta bei Neapel dirigieren.
Gelb: Was mich ziemlich überrascht. Gerade, weil Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni die Ukraine nachdrücklich unterstützt. Es wäre ein fatales Signal, denn Gergiev ist ein Werkzeug Putins. Daran besteht kein Zweifel. Wenn lokale Beamte behaupten dies sei ein kultureller Austausch, noch dazu indirekt mit EU-Geldern finanziert, obwohl das Bündnis gegen Russland steht, kann ich nur wiederholen: Dies ist kulturelle Propaganda im Namen Putins. Und das muss verhindert werden. Im Parlament der EU sieht man das ja wohl ähnlich, wie zu hören ist.
WELT: Wie konnte es denn überhaupt zu so einem Angebot an Gergiev kommen?
Gelb: Es ist ein Beispiel für moralische Korruption, Schwäche und möglicherweise Naivität. Die Menschen sollten es eigentlich besser wissen. Denn Valery Gergiev ist de facto Kulturminister Russlands, auch wenn es da noch einen anderen Apparatschik gibt. Ich finde es einfach schrecklich für die Welt, dass ein westliches Land, das an irgendeine Form von Demokratie glaubt, einen solchen Auftritt in diesem Moment zulässt, in dem Putin ukrainische Städte mit enormer Wucht bombardiert. Meine Frau und ich waren kürzlich in Kiew, wir haben miterlebt, wie es dort Drohnen und Bomben vor unserem Hotelzimmer hagelte. Es war eine der schlimmsten Nächte seit 2022.
WELT: Es ist also eine Frage der Moral, Gergievs Auftritt zu verhindern?
Gelb: Ich weiß einfach, wie wichtig es für die Ukraine ist, zu wissen, dass die westliche Welt sie unterstützt. Und wie verheerend es für sie aus moralischer Sicht ist, wenn so etwas passiert – was natürlich genau das ist, was Putin erreichen will.
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