Ein 22-jähriger Kommunalpolitiker sorgt derzeit für großen Wirbel innerhalb der AfD. Tim Schramm, bislang Vize-Chef des Kreisverbands Wuppertal, hat zwischen März und Juni dieses Jahres in einem Freiwilligenverband der ukrainischen Armee gekämpft. Nun will der Vorstand des mächtigen nordrhein-westfälischen Landesverbands Schramm aus der Partei werfen – und hat ihm bereits mit sofortiger Wirkung die Mitgliedsrechte entzogen.

Der Landesvorstand um Martin Vincentz hat am vorvergangenen Samstag die Einleitung eines Ausschlussverfahrens beschlossen. Darüber hatte zuvor bereits die AfD-nahe „Junge Freiheit“ berichtet. Nach WELT-Informationen war Schramm bei der Präsenzsitzung ein Schreiben mit Bitte zur Unterschrift vorgelegt worden.

Darin heißt es: „Ich verpflichte mich, mich für die Dauer meiner AfD-Mitgliedschaft an keinerlei militärischen Handlungen fremder Streitkräfte mehr zu beteiligen; bis zum 31. Oktober 2026 auf Vorträge (auch parteiintern), Interviews und öffentliche Äußerungen zum Russland-Ukraine-Konflikt zu verzichten; von allen Parteiämtern zurückzutreten und für keine neuen Parteiämter bis 30. September 2026 zu kandidieren.“

Aus den Reihen des Vorstands wurden die Fristen damit begründet, dass dann die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern vorbei sind. Schramm verweigerte die Unterschrift. In einem Telefonat mit WELT spricht er von einem „Maulkorberlass“. „Ich habe keine Reue gezeigt, weil ich für das gekämpft habe, wofür ich stehe, und das tut mir auch nicht leid“, sagt er. Er habe als Mörserschütze gekämpft und als Drohnenpilot Aufklärungsmittel geflogen. „Wir haben geschossen, wurden beschossen und von Drohnen attackiert“, sagt er.

In der Sitzung des Landesvorstands waren Schramm etwa Äußerungen in Interviews vorgehalten worden, die er der „Jungen Freiheit“ und „Nius“ gegeben hatte. Neben der Motivation, Russland zu stoppen, habe er auch „den Russen-Boomern innerhalb der AfD ein bisschen den Mittelfinger“ zeigen wollen, sagte er der „JF“. Dies wurde Schramm als parteischädigend ausgelegt.

Maßgeblich vorangebracht wurde das Ausschlussverfahren vom Beisitzer Hans Neuhoff, Abgeordneter im Europäischen Parlament. Nach WELT-Informationen versuchte Neuhoff, Schramm mit einem Vortrag zur Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs zu überzeugen. Schramm hielt ihm wiederum „russische Propaganda“ und die „Relativierung eines Völkermords in Europa“ vor.

Auch Landeschef Vincentz stimmte für die Einleitung des Ausschlussverfahrens gegen Schramm. Vize-Landeschef Sven Tritschler stimmte dagegen. Schramm war bei Tritschler, der außerdem Vize-Chef der Landtagsfraktion ist, als studentischer Mitarbeiter angestellt.

„Als Feind markiert“

Nun erhebt Tritschler in einem WELT vorliegenden Schreiben an die Landtagsfraktion sowie die AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla schwere Vorwürfe. „Herr Schramm wurde in seiner jugendlichen Naivität gegen mich aufgehetzt, ihm wurde jeglicher Kontakt mit mir ausgeredet, ihm wurden eine Reihe von Jobs mit – für einen 22-jährigen Studenten – unverhältnismäßig hohem Gehalt bei verschiedenen Bundestagsabgeordneten und in unserer Fraktion in Aussicht gestellt“, behauptet Tritschler darin. Zwischenzeitlich sei Schramm sogar ein „leistungsloses Einkommen“ angeboten worden.

„Mit der Aussicht auf hoch dotierte Jobs wurde Herr Schramm massiv unter Druck gesetzt, um kompromittierende Informationen gegen mich zu beschaffen“, heißt es in dem Schreiben weiter. Tritschler gehört innerhalb des Landesvorstands zu einer Minderheit, die das Ausschlussverfahren gegen den rechtsextremen Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich mittlerweile nicht mehr unterstützt.

„Ich habe aus mehreren Gesprächen den Eindruck, dass man mir verübelt, dass ich mich nicht dem ‚Dschihad‘ gegen Teile der Partei anschließe, der unseren Landesverband seit Monaten lähmt und zerstört“, heißt es in dem Schreiben. „Offenbar reicht es, als Feind markiert zu werden, wenn man nicht vorbehaltlos der Linie ‚von oben‘ folgt.“

Eine Pressereferentin der nordrhein-westfälischen AfD-Landtagsfraktion teilte hierzu mit: „Es handelt sich um unbelegte Vorwürfe, die wir intern prüfen und zu denen wir momentan keine Auskunft geben können.“

Das siebenseitige Schreiben enthält etwa einen Screenshot eines Telegram-Chats zwischen Landeschef Vincentz und Schramm. „Sehr schöner Artikel“, schreibt Vincentz darin am 24. Juni zu dem „Nius“-Interview. „Jetzt will er mich aus der Partei werfen. Das ist doch heuchlerisch“, sagt Schramm dazu WELT.

Dem Schreiben beigefügt ist außerdem eine Chatnachricht von Vincentz’ Büroleiterin an Schramm vom 20. Juli. Landesvorstandsmitglied Neuhoff würde die Antragsschrift für das Parteiordnungsverfahren so formulieren, „dass es auf einen Vergleich hinausläuft und der Parteiausschluss vom Tisch ist“, heißt es darin. Dazu habe ein Mitarbeiter der Fraktion den „3000€ Job und einen Minijob im Landtag. Sie erwarten aber bis heute Abend 23h irgendwas verwertbares von dir – mehr konnte ich da jetzt auch nicht mehr rausschlagen“ (Schreibweisen wie im Original).

Vize-Fraktionschef Tritschler behauptet in dem Schreiben weiter, Schramm sei aufgefordert worden, „Kopien und Fotografien aus meinem Büro zu liefern“. „Ich muss nach einiger Ermittlungsarbeit feststellen, dass aus dem Vorzimmer unseres Vorsitzenden heraus gegen mich in hinterhältigster Weise intrigiert wurde.“ Die Pressereferentin der Fraktion sagte hierzu: „Private Chats kommentieren wir nicht.“

Neuhoff bestreitet, dass es einen „Kompromiss“ geben werde, und arbeitet derzeit die Antragsschrift für das Ausschlussverfahren sowie die Begründung des Mitgliedsrechte-Entzugs aus.

„Ich lag nicht buchstäblich im Schützengraben, um zu Hause vor geopolitischen Analphabeten wie Hans Neuhoff zu kapitulieren“, sagt Tim Schramm WELT. Unterstützung bekommt er vom verteidigungspolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Lucassen. Der 73-Jährige nennt den Beschluss des Landesvorstands „völlig unverständlich, politisch völlig instinktlos und rechtlich willkürlich“.

Über Neuhoff sagt Lucassen WELT: „Mir ist kaum jemand bekannt, der sich so leidenschaftlich für den Sieg der Russischen Föderation einsetzt und so offen fordert, dass die Ukraine die weiße Fahne hissen soll. Tim Schramms Weg, im Kombattantenstatus den Freiheitskampf der Ukrainer zu unterstützen, steht diesem Ansinnen natürlich diametral entgegen.“

Neuhoff nennt Lucassens Äußerungen „unqualifiziert“. Seine eigene Position zum Ukraine-Krieg sei „nicht prorussisch, sondern analytisch und realpolitisch fundiert“. Tatsächlich fällt Neuhoff seit seiner Wahl ins Europäische Parlament im vergangenen Jahr immer wieder mit russlandfreundlichen Reden und Stellungnahmen auf, insbesondere in den vergangenen Monaten.

„Russlands Krieg mit der Ukraine ist ein Defensivakt gegen die Nato, die sich bis an seine östliche Grenze herangepirscht hat“, postete er etwa Ende Juni. Ende Mai behauptete er: „Russland ist nicht Europas Feind, sondern ein defensives Imperium, das seine Sicherheitsinteressen schützt.“ Mitte Mai sagte Neuhoff im Europaparlament, es sei eine „Illusion“, dass die Ukraine „die von Russland gehaltenen Gebiete zurückerobern“ könne. Die Ukraine nennt er immer wieder „Selenskyj-Regime“.

Gegenüber WELT spricht Neuhoff in Bezug auf Schramm von einem „schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundsätze der Partei“. „Das Handeln von Schramm entspricht dem von Mitgliedern der Neonazi-Kleinpartei Der Dritte Weg“, sagt er. Tatsächlich gibt es auf beiden Seiten vereinzelte Fälle von deutschen Neonazis, die sich am Russland-Ukraine-Krieg als Kämpfer beteiligt haben. „Die freie Welt an der Seite eines europäischen Volkes zu verteidigen, ist für Hans Neuhoff offenbar schon Nationalsozialismus“, sagt Schramm dazu. „Das Handeln von Neuhoff entspricht dem von Mitgliedern der Putin-Partei Einiges Russland.“

Der Ukraine-Kämpfer, seit 2022 AfD-Mitglied, war nach WELT-Informationen bereits Anfang Juli Thema in einer Telefonschalte zwischen dem Bundesvorstand und den AfD-Landesvorsitzenden. Demnach meldeten sich damals nahezu ausschließlich Kritiker zu Wort. Sachsen-Anhalts Vize-Landeschef Hans-Thomas Tillschneider bezeichnete Schramm öffentlich als „Irren“, der „nichts in der AfD verloren“ habe. Der Bundestagsabgeordnete Rainer Kraft schrieb hingegen, es sei ein „Akt der Feigheit“, Schramm aus der Partei ausschließen zu wollen. Sein Fraktionskollege Torben Braga bezeichnete die Entscheidung schlicht als „falsch“.

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Im September erscheint im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“.

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