Zum ersten Mal nutzt ein Pharmakonzern ein neues Gesetz, um mit den Krankenkassen einen geheimen Rabatt für ein neues Medikament zu verhandeln. Dabei handelt es sich laut NDR, WDR und SZ um das Diabetes-Medikament Mounjaro von Eli Lilly.
Eines der letzten Gesetze, das die Ampelregierung unter Olaf Scholz (SPD) gemacht hat, ging auf einen besonderen Wunsch des Pharmakonzerns Eli Lilly zurück: Das Unternehmen hatte sich gewünscht, dass Arzneimittelhersteller künftig den Preis geheim halten dürfen, den sie für ein neues Medikament von den Krankenkassen verlangen. Die Regelung hat es ins Medizinforschungsgesetz geschafft, das vor gerade mal neun Monaten in Kraft getreten ist und wegen des Lobbyeinsatzes von Eli Lilly auch "Lex Lilly" genannt wird.
Jetzt wird offenbar wiederum Eli Lilly als erster Konzern dieses Recht in Anspruch nehmen. Laut einem Schreiben, das der Konzern Anfang Juli an Ärzte in Deutschland verschickt hat und das NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung (SZ) vorliegt, hat Lilly nach eigener Darstellung "als erstes Unternehmen in Deutschland nach dem Medizinforschungsgesetz einen Preis verhandelt, der wirtschaftlich ist und nicht veröffentlicht wird".
Geheimer Preis für Abnehmspritzen
Bei dem Präparat, dessen Preis nun erstmals geheim bleiben soll, handelt es sich um Mounjaro, eine Spritze, die sowohl für Diabetiker als auch zur Behandlung von Fettleibigkeit zugelassen ist. Auf Anfrage bestätigt Eli Lilly, dass man sich mit den Vertretern der gesetzlichen Kassen auf "die Rahmenbedingungen für den Vertrag zum Erstattungsbetrag" geeinigt habe.
Auch ein Vertreter des Interessenverbandes der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen GKV bestätigt die laufenden Verhandlungen. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ könnte der Vertrag schon in den kommenden Wochen unterschrieben werden.
Arzneimittelpreise in Deutschland sind eine komplizierte Sache: Wenn ein Pharmaunternehmen ein neues Präparat auf den Markt bringt, darf es zunächst einen x-beliebigen Preis verlangen. Die Regelung führt dazu, dass in Deutschland so schnell neue Medikamente verfügbar sind wie in keinem anderen Land in Europa.
Sobald das Mittel aber auf dem Markt ist, bewertet das unabhängige Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), wie groß der Zusatznutzen des neuen Präparats im Vergleich zu bisherigen Präparaten ist. Mit diesem Prüfergebnis in der Hand verhandeln die Krankenkassen dann mit dem Konzern über einen Erstattungspreis. Als Faustregel gilt: Je größer der Zusatznutzen des neuen Medikaments ist, desto teurer darf es sein.
Geringer Zusatznutzen
Bei Mounjaro fiel die Bewertung des IQWIG allerdings ernüchternd aus: Nur bei einer von acht Anwendungen erkannten die Prüfer einen geringen Zusatznutzen. Bei sieben anderen Patientengruppen sei der Zusatznutzen nicht belegt.
"Logisch wäre es nun, dass der Preis von Mounjaro deutlich abgesenkt wird in die Nähe eines Vergleichspräparats", sagt der Diabetologe Andreas Klinge vom Vorstand der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft - etwa auf das Preisniveau des Konkurrenzprodukts Ozempic.
In seinem Schreiben an die Ärzte betont Eli Lilly hingegen die angebliche Überlegenheit seiner Abnehmspritze gegenüber dem Konkurrenzprodukt Ozempic. Mounjaro senke das Gewicht und den Blutzuckerspiegel deutlicher, schreibt Lilly.
Allerdings sei damit nicht gesagt, "ob Patienten unter diesem Präparat auch weniger Schlaganfälle oder Herzinfarkte haben, ob sie also länger leben mit diesem Medikament", sagt Andreas Klinge von der Arzneimittelkommission. Doch dazu hat Lilly bislang keine Studien vorgelegt. Im Schreiben an die Ärzte heißt es nur, man erwarte dazu "im Verlauf des Jahres … weitere Langzeitdaten". Auf Anfrage entgegnet Lilly, dass Gewichts- und Blutzuckerreduktion "entscheidende Therapieziele in der Behandlung von Typ-2-Diabetes" seien.
Wie viel Rabatt muss Eli Lilly gewähren?
Laut dem Listenpreis, den jeder Apotheker einsehen kann, kostet die Drei-Monats-Packung Mounjaro in der 10 Milligramm-Dosis 1.126 Euro. Ein Vergleichspräparat in der Anwendungsgruppe für Typ-2-Diabetiker wäre nach Angaben von Diabetologe Klinge Ozempic. Eine Drei-Monats-Packung Ozempic in der vergleichbaren Dosierung kostet allerdings nur 291 Euro.
Die Preisverhandlungen zwischen Lilly und den Krankenkassen sind laut dem internen Schreiben des Pharmakonzerns abgeschlossen. Aber wie viel Rabatt musste Eli Lilly auf sein Mounjaro gewähren? 50 Prozent? 60 Prozent? 70 Prozent? Genau das soll künftig geheim bleiben.
In der Liste für die Apotheker ist weiterhin nur der Preis von 1.126 Euro sichtbar und auch Ärzte kennen den für die Kassen rabattierten Preis nicht. "Ich weiß nicht, ob Mounjaro für die Krankenkassen teurer oder billiger als zum Beispiel Ozempic ist", sagt Andreas Klinge von der Arzneimittelkommission, "wie soll ich da wirtschaftlich verordnen?" Dazu ist er aber nach dem Sozialgesetzbuch verpflichtet. Dieses schreibt vor, dass eine Therapie "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" sein muss.
"Vertrauliche Erstattungsbeträge"
Die Antwort auf die Frage, warum Eli Lilly sich einen Geheimpreis wünscht, findet sich, etwas verklausuliert, ebenfalls in dem Schreiben des Unternehmens an die Ärzte. Dort heißt es, dass die Möglichkeit "vertrauliche Erstattungsbeiträge" zu vereinbaren, einen "Verhandlungsspielraum" schaffe, "ohne damit die Preisstellung in anderen Ländern zu beeinflussen".
Hintergrund ist, dass Deutschland für viele andere Länder ein so genanntes Referenzpreisland ist. Wenn zum Beispiel die Griechen, Spanier oder Polen sehen, dass in Deutschland die gesetzlichen Krankenkassen für ein neues Präparat 50 Prozent Rabatt erhalten, dann wollen sie auch einen mindestens so hohen Rabatt bekommen. Denn jedes Land in Europa muss seine Preise mit einem Pharmakonzern einzeln verhandeln.
Abnehmwillige müssen vollen Preis zahlen
Künftig könnten die anderen EU-Länder deshalb nicht mehr erfahren, wie hoch der Rabatt ist, den in Deutschland die gesetzlichen Krankenkassen auf den Listenpreis bekommen. Im Fall Mounjaro sehen sie also nur noch den Listenpreis von 1.126 Euro. Ob die Kassen tatsächlich 500, 400 oder 300 Euro zahlen, bleibt geheim.
Geheim bleibt der Rabatt der Kassen somit auch für die Menschen, die das Präparat zum Abnehmen nutzen wollen. Denn sie müssen die Abnehmspritze aus eigener Tasche finanzieren - zum offiziellen Listenpreis. Das Sozialgesetzbuch verbietet es den Krankenkassen grundsätzlich, Medikamente zur Gewichtsreduktion zu bezahlen.
Für Menschen mit Adipositas gilt also der deutlich höhere Listenpreis. Auch beim Hersteller des Konkurrenten Ozempic müssen Selbstzahler deutlich mehr für die Abnehmspritze bezahlen, die unter dem Namen Wegovy vermarktet wird: Nämlich etwa das Doppelte. Gleichwohl ist Wegovy für abnehmwillge Selbstzahler damit immer noch halb so teuer wie das Eli-Lilly-Präparat.
Höhere Gewinne für Pharmaindustrie
Mehrere Fragen zum Geheimpreis und zu den Zweifeln am Zusatznutzen des neuen Präparates beantwortet Eli Lilly NDR, WDR und SZ nicht konkret. Nur allgemein teilt der Pharmakonzern mit, dass Eli Lilly von der im Medizinforschungsgesetz geschaffenen Möglichkeit, "Erstattungsbeträge vertraulich zu gestalten … Gebrauch machen" werde. Das habe man "frühzeitig den relevanten Gremien der Selbstverwaltung mitgeteilt".
Der Spitzenverband der Krankenkassen lehnt die Geheimpreise ab. Sie "verteuern die Versorgung zugunsten höherer Gewinne der Pharmaindustrie und ohne die Versorgung zu verbessern", sagt Kassen-Sprecher Jens Ofiera. Der Pharmaindustrie sei mit der Möglichkeit zu Geheimpreisen ein Geschenk für Gewinnsteigerungen gemacht worden. "Die Beitragszahler werden dafür voraussichtlich jedes Jahr Mehrkosten in Milliardenhöhe bezahlen, ohne dass sich dadurch auch nur im Geringsten ihre Versorgung verbessert."
Das Bundesgesundheitsministerium hat die Regelung in der Vergangenheit verteidigt. Auf eine aktuelle Anfrage schreibt das Ministerium, es sei "an den Preisverhandlungen zwischen einzelnen pharmazeutischen Unternehmern und dem GKV-Spitzenverband nicht beteiligt." Eine Meldung der Wahl eines vertraulichen Erstattungsbetrags sei bislang nicht erfolgt.
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