Es war das, was Medien in der Regel „propalästinensische Demonstration“ nennen. Die vom rheinland-pfälzischen Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtete Organisation „Zaytouna“ trommelte am Samstag knapp 200 Anhänger auf dem Marktplatz von Mannheim zusammen.
Anders als bei zahlreichen ähnlichen Veranstaltungen blieb es diesmal nicht bei Worten. Einer der Demonstranten attackierte den 69 Jahre alten früheren Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Mannheim, Benny Salz, warf ihn zu Boden und verletzte ihn. Und die Polizei, sagen Zeugen WELT, habe Salz nicht etwa beigestanden, sondern ihn festgenommen.
So schildert es Salz auch selbst. Er sei mit sechs Mitgliedern seiner Gemeinde und Mitgliedern der Deutsch-Israelischen Gesellschaft bei der Kundgebung gewesen, um diese zu beobachten. Um den Marktplatzbrunnen seien Bilder vermeintlich von Israel getöteter palästinensischer Kinder ausgelegt gewesen. Die habe sich seine Gruppe angeschaut. Währenddessen habe die Rednerin, die Propagandistin Hebh Jamal, die Versammlung auf die jüdischen Beobachter aufmerksam gemacht und geschimpft, diese würden die „Bilder der Märtyrer entweihen“.
Wenig später seien sie von einer Gruppe umringt gewesen. „Wir waren in dem Pulk von Aktivisten, und das wurde uns zu aggressiv. Darum sind wir gegangen“, sagt Salz. Dann sei ein Mann von vorn auf ihn zugelaufen und habe ihn ohne Vorwarnung gepackt. „Er hat mich mit voller Wucht auf das Kopfsteinpflaster geschleudert.“ Dabei sei sein Hemd zerrissen. Das habe er im ersten Moment gar nicht bemerkt. Er habe am rechten Arm und an der rechten Körperseite mehrere Prellungen und Schwellungen davongetragen sowie eine blutende Wunde am kleinen Finger. Die sei durchaus ernst, weil er als Schlaganfallpatient Blutverdünner einnehme.
Übereinstimmend schildern Salz und Zeugen, dass Polizisten unmittelbar daneben gestanden hätten und gegen den Angreifer dem Augenschein nach nicht eingeschritten seien. Salz sagt, zwei Polizisten seien zu ihm gekommen und hätten ihn hochgezogen. „Den Täter ließ man laufen, unter den Augen des Revierleiters.“ Der habe den Vorfall von Anfang an mitbekommen. Er kenne den Polizisten, auch, weil dieser zehn Tage vorher bei einer Veranstaltung in der Synagoge aufgetreten sei und sich als Ansprechpartner für antisemitische Vorfälle angeboten habe.
„Dann haben die mich festgehalten und nach dem Ausweis gefragt“, sagt Salz. Den habe er nicht dabeigehabt. Die beiden Beamten hätten ihn geschätzt fünf bis zehn Minuten festgehalten. Er habe unter Schock gestanden. „Ich habe darauf bestanden, dass man den Täter festnimmt.“ Er sei dann auch „richtig sauer“ geworden, als die Polizei sich nach seiner Wahrnehmung dafür nicht interessiert habe. Er habe sich losgerissen und sei zum Einsatzleiter gegangen, der nur ein paar Meter entfernt gestanden habe.
Salz sagt, der Vorfall sei für ihn auch deshalb traumatisierend, weil er Augenzeuge der tödlichen Messerattacke in Mannheim vor gut einem Jahr gewesen sei. Da hatte ein damals 25 Jahre alter afghanischer Asylbewerber am selben Ort den islamfeindlichen Aktivisten Michael Stürzenberger mit einem Messer angegriffen und dann den zu Hilfe eilenden Polizisten Rouven Laur erstochen.
Zu Salz’ Gruppe gehörte auch der Mannheimer Stadtrat und Grünen-Landtagskandidat Chris Rihm, der die örtliche Niederlassung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft leitet. Die aggressive Stimmung habe bereits am vergangenen Montag begonnen, sagt er WELT. Auch da habe es eine Kundgebung von Zaytouna in Mannheim gegeben, auch da habe Hebh Jamal gesprochen. Die habe ihn erkannt. „Hebh Jamal hat mich unter voller Namensnennung beleidigt und die Menschen aufgehetzt“, sagt Rihm. Sie habe ihm vorgeworfen, er stehe „für Kindermord und Genozid“ und „dass es mir Spaß macht, wenn Kinder sterben“. Die Menge habe in seine Richtung „Shame on you“ (Schäm dich) gebrüllt.
Am Samstag habe es dann „dieselben Hasstiraden“ gegeben. Den Angriff auf Salz habe er nicht selbst gesehen, weil sich seine Gruppe aufgelöst habe. Jedoch: „Der Typ, der ihn umgehauen hat, den kenne ich aus anderem Kontext.“ Er habe den Angreifer bei einer anderen Veranstaltung schon einmal gefilmt. Auch Salz sagt, er habe den Mann erkannt.
Rihm sagt auch, dass die Polizei die Zaytouna-Aktivisten schon früher in Ruhe gelassen „und das Problem eher in uns gesehen hat“. Polizisten hätten ihn auch schon abgedrängt und Platzverweise gegen ihn ausgesprochen. Bei einer früheren Aktion hätten Beamte ihm erklärt, er möge sich entfernen, denn sie könnten seine Sicherheit nicht garantieren, „oder wollen Sie, dass sich Polizisten für Sie prügeln müssen?“
Weiterer Redner bei der Veranstaltung sei Mahmoud Abu-Odeh gewesen, gegen den die Stadt allerdings Auflagen verhängt hat. Er darf bei Kundgebungen eigentlich nicht reden.
Polizei habe „sehr friedliche“ Situation wahrgenommen
Die Mannheimer Polizei bestätigt den Zwischenfall auf WELT-Nachfrage, beschreibt ihn allerdings zurückhaltend so: „Am Rande einer Versammlung am 26.07.2025 auf dem Mannheimer Marktplatz kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen einem 51-jährigen Versammlungsteilnehmer und einem 66-jährigen Passanten.“
Der „66-Jährige“ sei dabei von dem 51-Jährigen geschubst worden, „zu Boden gefallen“ und habe sich „augenscheinlich an der Hand leicht verletzt“. Die Polizei bestätigt auch, sie habe „einen Verstoß gegen Auflagen festgestellt, nachdem ein Redner während der Versammlung aufgetreten war, dem dies per Auflage durch die Stadt Mannheim zuvor untersagt wurde“.
Der Angreifer, der Salz verletzte, sei „am Rande der Veranstaltung vorläufig festgenommen worden und muss sich wegen Körperverletzung verantworten“. Sämtliche Fragen zu den Details lässt die Polizei unbeantwortet.
Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Mannheim, Deborah Kemper, sagt, sie habe am Tag danach mit dem Einsatzleiter gesprochen. Der habe gesagt, es sei eine „sehr friedliche, entspannte Situation“ gewesen. Er habe sogar entschieden, „einige Leute abzuziehen, weil es so friedlich war“. Es sei allerdings auch in der Vergangenheit schon vorgekommen, „dass die Polizei völlig andere Wahrnehmungen hat als wir“.
Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.
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