Unter Präsident George W. Bush war Robert G. Joseph eine Schlüsselfigur der amerikanischen Sicherheitspolitik. In seiner Funktion als US-Sondergesandter spielte er eine zentrale Rolle bei den geheimen Verhandlungen mit Libyen, die 2003 zur vollständigen Aufgabe des Programms für Atomwaffen, Chemiewaffen und ballistischen Raketen führten. Joseph gehörte zu den ranghöchsten Diplomaten, die mit dem Regime des Diktators Muammar al-Gaddafi über die internationale Wiedereingliederung des Landes verhandelten. Heute tritt der ehemalige Diplomat als einer der entschiedensten Kritiker der Islamischen Republik auf. Im Interview mit WELT warnt er davor, auf Verhandlungen mit Teheran zu setzen – da diese in der Vergangenheit gescheitert sind und aus seiner Sicht auch in Zukunft keinen Erfolg bringen werden.
WELT: Herr Botschafter, das iranische Atomprogramm hat durch die israelischen und amerikanischen Angriffe im Juni einen Rückschlag erlitten. Wie lange wird die Wirkung dieser Angriffe anhalten?
Robert G. Joseph: Nach Informationen von Akteuren, die ernsthafte Analysen durchgeführt haben, soll das Programm erheblich zurückgeworfen worden sein. Die Angriffe haben beträchtlichen Schaden verursacht. Selbst der iranische Außenminister hat das zugegeben. Ich bin zwar keine Instanz, die das genaue Ausmaß unabhängig überprüfen kann, aber mein Eindruck ist, dass das Programm um sechs Monate bis zu einem Jahr, möglicherweise sogar um zwei Jahre verzögert wurde. Die eigentliche Frage ist: Was machen wir mit dieser Zeit?
WELT: Was sollten wir denn damit machen?
Joseph: Hierzu vertrete ich eine klare Position: Wenn wir nicht daran arbeiten, die Regierung – das Regime in Teheran – zu ändern, wird dieses Regime irgendwann Atomwaffen erwerben. Wir haben jetzt die Chance, das iranische Volk in seinem Bestreben zu unterstützen, die Herrschaft der Mullahs zu beenden. Es ist unsere Pflicht, diese Chance zu nutzen.
WELT: Der Weg nach vorn führt also über einen Regimewechsel in Teheran?
Joseph: Wir müssen uns Folgendes klarmachen: Es geht um einen Wechsel von innen, durch das iranische Volk. Das ist nicht der Irak-Krieg. Es geht nicht darum, das Regime mit amerikanischer Militärmacht zu stürzen. Vielmehr geht es darum, die militärischen Fähigkeiten der USA einzusetzen, um bestimmte nukleare Ziele zu treffen – nicht, um die Regierung zu stürzen, sondern, um Zeit zu gewinnen. Diese Zeit sollten wir dann nutzen, um die organisierte Opposition zu unterstützen, von der wir wissen, dass sie die Meinung vieler Iraner vertritt. Das iranische Volk hat das Recht auf Selbstbestimmung. Es hat das Recht, eine Regierung zu stellen, die die gleichen grundlegenden Menschenrechte garantiert wie westliche Regierungen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, den Iranern und Iranerinnen dabei zu helfen.
WELT: Warum glauben Sie, dass ein Regierungswechsel in Teheran der vielversprechendste Weg ist?
Joseph: Ich glaube nicht, dass es eine andere gangbare Option gibt. Wir haben Verhandlungen versucht. Wir haben versucht, gezielte Maßnahmen speziell gegen die iranische Nuklearinfrastruktur zu ergreifen. Was die Option einer vollständigen militärischen Invasion oder einer größeren Militäraktion gegen den Iran angeht, so gibt es dafür keine Bereitschaft – weder in den USA noch wahrscheinlich anderswo. Noch wichtiger ist, dass die Unterstützung eines demokratischen Irans nicht nur strategisch richtig, sondern auch moralisch geboten ist. Wir sollten unsere Unterstützung für die organisierte Opposition und für das iranische Volk in seinem Streben nach Freiheit deutlich machen. Es geht nicht darum, dem Iran etwas von außen aufzuzwingen. Es geht darum, unserer moralischen Verpflichtung nachzukommen und ein demokratisches Endergebnis herbeizuführen, das es dem iranischen Volk ermöglicht, sich von einem brutalen Regime zu befreien, das Zehntausende seiner eigenen Bürger ermordet hat.
WELT: Verhandlungen mit Teheran funktionieren also nicht?
Joseph: Ich glaube nicht, dass wir mit dem iranischen Regime zu einer Verhandlungslösung gelangen können. Wir haben es über 20 Jahre lang versucht – und sind gescheitert, unabhängig vom Format oder der Kombination aus Anreizen und Abschreckungsmaßnahmen. Wir haben alles gesehen: von Strategien maximalen Drucks bis hin zu Beschwichtigungsversuchen unter den Präsidenten Obama und Biden. Nichts hat funktioniert. Nichts hat das Regime davon überzeugt, seine nuklearen Ambitionen aufzugeben – und ich glaube auch nicht, dass dies in Zukunft geschehen wird. Der Besitz einer Atomwaffe ist meiner Ansicht nach ein Grundpfeiler für das Überleben des Regimes, zentral für seine Identität und Strategie.
WELT: Wenn Sie sagen, dass eine organisierte Opposition das Regime ablösen sollte: Von wem sprechen wir dann genau?
Joseph: Es ist mir wichtig, den Nationalen Widerstandsrat hervorzuheben. Dabei handelt es sich um eine Koalition von Oppositionsgruppen, die einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt hat. Meiner Meinung nach ist dies ein sehr bedeutendes Dokument, das einen Weg zu einem demokratischen, säkularen und atomwaffenfreien Iran aufzeigt. Eine der zentralen Komponenten des Widerstandsrats sind die Volksmudschaheddin. Selbst das Regime betrachtet sie als seine größte Bedrohung. Seit den 1980er-Jahren versucht Teheran intensiv, sie zu beseitigen – sowohl im Iran als auch im Ausland.
WELT: Wie soll die Opposition den Widerstand denn organisieren, angesichts der Tatsache, dass das Regime laut offiziellen Angaben mehr als eine Million Mann unter Waffen hat?
Joseph: Die Zahl klingt zwar beeindruckend, könnte aber auch irreführend sein. Wie viele Millionen Männer hatte der russische Zar im Jahr 1917? Wie viele waren in den 1940er-Jahren in China im Konflikt mit den Kommunisten als Soldaten aktiv? Ich glaube nicht, dass man die Stärke oder die Fähigkeit eines Regimes, sich an der Macht zu halten, allein an der Größe seiner Streitkräfte messen kann. Diese Art von Macht kann sich schnell in Luft auflösen, wenn der Druck steigt. Das haben wir schon oft gesehen. Man denke nur an den rumänischen Diktator Nicolae Ceaușescu...
WELT: ... oder vielleicht auch an Syrien?
Joseph: Genau, Syrien ist ein aktuelles Beispiel. Wie viele Männer hatte Baschar al-Assad unter Waffen? Und doch sind sie einfach verschwunden. Ich behaupte nicht, dass ich genau weiß, was im Iran bei einem Regimewechsel passieren könnte. Ich bin der Erste, der zugibt, dass bei Revolutionen Dinge passieren, die nicht geplant sind. Wichtig ist jedoch, dass wir nicht bei null anfangen müssen. Es gibt eine organisierte Opposition, die sich auf eine Übergangsrolle vorbereitet hat. Sie ist bereit, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um eine neue Verfassung auszuarbeiten, freie und faire Wahlen zu organisieren und eine demokratische Regierung in Teheran zu etablieren. Das ist eine starke Grundlage, ein guter Anfang.
WELT: Teheran hatte im Juni die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ausgewiesen. Welche Auswirkungen könnte ein solcher Schritt haben?
Joseph: Das Regime spielt von Anfang an Katz und Maus mit den Inspektoren. Sie sehen nur das, was das Regime ihnen zeigen will. Wenn sie versuchen, Zugang zu etwas zu erhalten, den man ihnen vorenthalten will, werden sie daran gehindert. So einfach ist das. Teheran hat sich konsequent geweigert, zu kooperieren, sei es bei der Untersuchung möglicher militärischer Dimensionen seines Programms oder beim Zugang zu verdächtigen Standorten, an denen die IAEA nukleare Aktivitäten vermutet. Das Regime ist in diesen Spielchen sehr versiert. Es macht das schon seit Jahren so. Die Anwesenheit von Inspektoren vor Ort ist nach wie vor wertvoll. Zumindest in den Anlagen, zu denen sie Zugang haben. Von dort erhalten wir zuverlässige Informationen. Was in den Anlagen passiert, die die Inspektoren nicht überwachen durften, haben wir hingegen nie erfahren.
WELT: Welchen Druck können die Inspektoren tatsächlich ausüben?
Joseph: Die IAEA hat den Iran bereits zweimal wegen schwerwiegender Verstöße an den UN-Sicherheitsrat verwiesen. Das letzte Mal in diesem Jahr. Derzeit befinden wir uns jedoch in einer Situation, in der die Verstöße des Iran ganz klar sind – insbesondere, was die Lagerbestände an angereichertem Uran angeht. Das Land hat Material auf einen Reinheitsgrad von 60 Prozent angereichert, was der Waffenfähigkeit gefährlich nahekommt. Und diese Bestände werden vermutlich weiter wachsen. Mit diesem Anreicherungsgrad ist die Islamische Republik nur noch einen kleinen technischen Schritt davon entfernt, über Material zu verfügen, das für Atomwaffen verwendet werden könnte.
WELT: Wie könnte das Regime versuchen, Zeit zu gewinnen, nun, da die Verhandlungen ins Stocken geraten und keine Inspektoren mehr vor Ort sind?
Joseph: Ich denke, sie werden erneut die Verhandlungskarte ausspielen. Das Regime besteht darauf, dass es keine Null-Anreicherung akzeptieren wird, doch das ist der einzige Weg, um eine Einigung zu erzielen, die den Mullahs den Weg zu Atomwaffen wirklich versperrt. Solange wir es zulassen, werden die Mullahs weiterhin Katz und Maus spielen – mit der IAEA, mit den E3-Staaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien und sicherlich auch mit den Vereinigten Staaten. Und offen gestanden sind sie in diesen Spielchen viel besser als wir. Die jüngste Militäraktion hat uns Zeit verschafft – und ich halte sie für eine meisterhaft durchgeführte Operation. Aber sie war eher taktisch als strategisch. Das Kernproblem, mit dem wir konfrontiert sind, wurde dadurch nicht gelöst. Jetzt müssen wir unsere Politik grundlegend ändern. Wir müssen das falsche Paradigma ablehnen, dass wir nur die Wahl zwischen Krieg und Verhandlungen haben, und eine dritte Option wählen, die die iranische Opposition einbezieht. Eine militärische Invasion des Iran ist nicht realistisch und Verhandlungen sind seit über 20 Jahren gescheitert.
WELT: Sehen Sie Anzeichen dafür, dass die US-Regierung oder die Europäer diese dritte Option erkennen?
Joseph: Präsident Trump sagt derzeit noch, dass wir verhandeln wollen und er keine Eile hat, dass er bereit ist, darauf zu warten, bis die Iraner ihm entgegenkommen. Ich glaube, dass dies eine grundlegende Fehleinschätzung der Natur des Regimes ist. Dieses Regime kann sich nicht reformieren. Es kann nicht moderater werden. Es überlebt durch die brutale Unterdrückung seines eigenen Volkes, durch den Export einer giftigen Form des Islams, durch die Unterstützung des Terrorismus sowie durch seine Raketen- und Atomprogramme. Dies ist ein Regime, dessen Interessen nicht mit unseren übereinstimmen.
WELT: Während des Zwölf-Tage-Krieges mit dem Iran schien Präsident Trump kurzzeitig die Idee eines Regimewechsels in Betracht zu ziehen. Es schien, als würde er ähnlich über den Iran denken wie Sie. Glauben Sie, das war nur Rhetorik?
Joseph: Ich hoffe, dass dies der Keim für eine neue Politik ist. Ich hoffe, dass dies zu einer grundlegenden Wende in der US-Politik führt – zu einer Politik, die das iranische Volk in seinem Recht auf Selbstbestimmung wirklich unterstützt. Wir könnten die iranische Opposition moralisch stärker unterstützen, ähnlich wie Ronald Reagan es mit der Sowjetunion getan hat. Präsident Reagan musste dafür gegen seine eigenen Bürokratien kämpfen. Genau das brauchen wir jetzt – unsere Bürokratie wird sich irgendwann fügen. Wenn wir die Politik der Vergangenheit in einem anderen Format oder unter einem neuen Namen fortsetzen, wird das zu den gleichen Ergebnissen wie in der Vergangenheit führen. Es mag an der Oberfläche anders aussehen, aber im Kern wird es zwangsläufig zum gleichen Ergebnis führen.
Amin Al Magrebi ist Volontär an der Axel Springer Academy. Für WELT schreibt er unter anderem über Syrien und den Nahost-Konflikt.
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