An seiner Ambition lässt Steffen Krach keinen Zweifel aufkommen an diesem sonnigen Montagmorgen im Berliner Gleisdreieckpark im Ortsteil Schöneberg. „Ich bin gekommen, um Platz eins zu gewinnen. Ich will die Hauptstadt für die SPD zurückholen. Und es ist für mich eine sehr große Ehre, Spitzenkandidat für die SPD zu sein“, sagt er unter dem Applaus der kompletten Führungsriege der Partei.

Sogar der Slogan, mit dem der neue Frontmann der Sozialdemokraten die Berliner bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus im September 2026 überzeugen soll, steht schon fest: „Berlin macht Krach.“ Auf den Plakaten sieht Krach ein bisschen aus wie der junge Klaus Wowereit.

Ordentlich Lärm machen müssen die Sozialdemokraten in der Tat, wenn sie aus ihrem historischen Tief herauskommen wollen. Gerade einmal 18,4 Prozent erzielte die SPD bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus 2023 – noch einmal drei Prozentpunkte weniger als bei der regulären Wahl 2021, die der damaligen Spitzenkandidatin Franziska Giffey knapp eine Kurzzeit-Regentschaft sicherte. Inzwischen liegen die Sozialdemokraten in Umfragen nur noch bei 14 Prozent – hinter CDU, Linkspartei und Grünen.

Um aus diesem tiefen Tal wieder herauszukommen, würde es einen neuen Kandidaten brauchen, smart, charismatisch und anschlussfähig in alle Richtungen – vor allem aber jemanden, hinter dem sich die ganze Partei versammeln kann, das war den Landesvorsitzenden Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel klar. Die bei der jüngsten Berlin-Wahl glücklose Wirtschaftssenatorin Giffey oder der langjährige Fraktionschef Raed Saleh fielen bei diesem Casting trotz deutlich erkennbarer Ambitionen durch.

Schließlich fiel die Wahl auf Krach. Ein „echter Gewinnertyp“, wie Parteichef Hikel sagt. Der 46-jährige Krach war viele Jahre in der Bildungsverwaltung und sieben Jahre lang Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung in Berlin, bevor er 2021 als Regionspräsident – eine Art Landrat – in seine Geburtsstadt Hannover wechselte. Dennoch sei die Bundeshauptstadt seine zweite Heimat geblieben, sagt Krach. „Ich habe meine Frau hier kennengelernt, unsere Söhne sind hier geboren, ich habe mein Berufsleben hier in Berlin begonnen. Und deswegen ist das hier auch ein Stück weit nach Hause kommen.“

Bei den Berlinern will er sich nach eigener Aussage ab sofort bekannt machen: „Ich habe richtig Bock auf Wahlkampf.“ Schon der Termin seiner Vorstellung war so gewählt, dass er mit der Sommer-Pressekonferenz des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner vom Koalitionspartner CDU kollidierte. Und auch verbal langt Krach zu. „Ich bin der festen Überzeugung, dass Berlin aus dem Roten Rathaus unter Wert regiert wird: träge, ambitionslos und halbherzig. Unser Anspruch muss ein anderer sein.“ „Vorbild“ und „Motor für Innovation“ müsse die Stadt sein, „auch international auf Augenhöhe“.

Wie er mit dem Reizthema Vergesellschaftung von Wohnraum umgehen wolle, umreißt Krach nur kurz. Es gehe nicht darum, allgemeine Unternehmen zu enteignen. „Davor muss niemand Angst haben“, sagt Krach. „Es gibt aber Bereiche, bei denen es Unwuchten gegeben hat in den letzten Jahren, und dazu gehört der Bereich Wohnraum.“ Deshalb sei es wichtig, dass der schwarz-rote Koalitionsvertrag ein Vergesellschaftungsrahmengesetz vorsehe, für das jetzt ein Entwurf vorgelegt wurde. „Hier wird man sicher auf Basis des Koalitionsvertrages zu einer Lösung kommen.“

Wie diese aussehen könnte, ist offen: Die Fraktionsvorstände von CDU und SPD hatten sich Ende Juni auf Eckpunkte für das Gesetz geeinigt. Der Entwurf der Sozialdemokraten im Abgeordnetenhaus stieß gleichwohl beim Koalitionspartner auf scharfe Kritik. Und Wegner stellte klar: „Mit mir wird es keine Enteignungen geben.“

Viel konkreter äußert sich Krach an diesem Montagvormittag inhaltlich nicht. Stattdessen beschreibt er lieber seinen Politikstil als klar, verlässlich und zielgerichtet, „auch wenn es manchmal wehtut“. Vor allem aber dies: „Notwendigkeiten entscheiden, nicht die Zuständigkeiten. Wenn man als Politiker ein Problem erkennt, dann muss man handeln.“

Franziska Giffey und ihr „großer Traum“

Um zu demonstrieren, wie geschlossen die SPD hinter Krach stehe – der im November offiziell vom Parteitag zum Spitzenkandidaten gekürt werden soll –, treten anschließend auch seine unterlegenen Konkurrenten auf die Bühne. „Es ist mein großer Traum, dass das Rote Rathaus wieder rot wird“, sagt Giffey und gesteht ein: „Dafür war es nötig, dass einige von uns ihre eigenen Ambitionen zurückstecken. Das haben wir getan.“ Auch Saleh hat offenbar eingesehen, dass er als Spitzenkandidat schwer zu vermitteln gewesen wäre. Krach habe das Zeug dazu, das Rote Rathaus zurückzugewinnen: „Ich bin fein damit.“

Krach selbst muss jetzt in Hannover ausloten, wie er die Termine in Berlin mit seinen Amtspflichten als Regionspräsident vereinbaren kann, das er formal noch bis September 2026 innehat. Dass Krach sich mit dieser Position nicht dauerhaft zufriedengeben würde, war an der Leine spätestens im Mai dieses Jahres offenkundig geworden; einem Zeitpunkt, zu dem bereits klar war, dass Niedersachsens Landesregierung nach dem Vorrücken des vorherigen Wirtschaftsministers Olaf Lies an die Spitze der Regierung einen neuen Wirtschaftsminister brauchte, ließ sich Krach auf der Terrasse vor dessen Büro ablichten. An einen Zufall glaubten damals nur wenige.

Das Ministerbüro bekam dennoch ein anderer: der frühere Fraktionschef der SPD im Niedersächsischen Landtag, Grant Hendrik Tonne. Krach handelte sich stattdessen – zumindest hinter den Kulissen – ein paar hämische Kommentare ein. Vordrängler sind in der eher statisch organisierten Niedersachsen-SPD nicht besonders wohlgelitten. Nicht ausgeschlossen, dass Krach bereits zu diesem Zeitpunkt schon mal an einen Abschied aus Hannover gedacht hat.

Zumal es dem 46-Jährigen in Berlin an Unterstützung nicht mangelt. Nicht in der Spitze der Landes-SPD, und auch nicht an der Spitze des Willy-Brandt-Hauses: Seine Drähte zum SPD-Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil, der den damaligen Personalentscheidungen der Niedersachsen-SPD eher kritisch gegenüberstand, sind eng. Auch mit dem Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Bundestag, Matthias Miersch, dessen Wahlkreis in der Region Hannover liegt, ist Krach gut verbunden. Die ohnehin sehr starke sozialdemokratische Niedersachsen-Connection in Berlin bekommt also ambitionierten Zuwachs.

Es ist nicht nur die gute innerparteiliche Vernetzung, die Krach im bevorstehenden Berlin-Wahlkampf hilfreich sein wird. Der Diplom-Politologe und begeisterte Fan von Hannover 96 hat in seinen vier Jahren als Regionspräsident nicht nur Sozialdemokraten mit seiner pragmatischen, auch entscheidungsfreudigen Art überzeugt. Er wird als geschickter, auch ehrgeiziger Verhandler beschrieben, auf dessen Wort man sich verlassen könne. Ob es am Ende dazu reicht, auch in der etwas versumpften Hauptstadt-Politik zu reüssieren, wird sich in den kommenden zwölf Monaten erweisen.

Vorläufig jedenfalls setzt Krach alles auf das Projekt Wahlsieg, wie er auf Nachfrage freimütig bekennt: „Ich habe keinen Plan B.“

Sabine Menkens berichtet über gesellschafts-, bildungs- und familienpolitische Themen.

Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.

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