Die Dimensionen des Projektes sind gigantisch, der Zeitpunkt nicht zufällig gewählt. Rund 13 Milliarden brasilianische Real (umgerechnet etwa knapp zwei Milliarden Euro) soll die riesige Brücke kosten. Wenn die Ponte Salvador-Itaparica im nordbrasilianischen Bundesstaat Bahia fertig ist, soll sie insgesamt 12,4 Kilometer lang sein, die bisherige Fährverbindung zwischen den beiden Städten ersetzen und eine Zeitersparnis von rund 40 Prozent bringen. In dieser Woche verkündeten die Vertragspartner die Details zum Baubeginn im kommenden Jahr. Bei den wichtigsten Vertragsunterschriften stets dabei: Zhu Qingqiao, Botschafter von China in Brasilien. Das hat seine Gründe: „Mit chinesischer Investition erhält Brasilien die größte Brücke Lateinamerikas“, meldeten brasilianische Medien in dieser Woche.
Im Ringen um die neuen geopolitischen Machtverhältnisse hat Peking die Bedeutung Lateinamerikas längst erkannt und schlägt gerade jetzt Pflöcke ein, wo die USA den Rest der Welt mit Zöllen belegt. Während Europa seit Jahren zögert und eher belehrend auftritt, investiert China strategisch klug in die Infrastruktur und verbessert damit sein Ansehen und seine Akzeptanz.
Vor allem die zwei Jahrzehnte andauernden Verhandlungen rund um das Mercosur-Freihandelsabkommen, das an diesem Mittwoch von der EU-Kommission besiegelt wird, empfanden die südamerikanischen Vertragspartner aus Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay als eine Art herablassende Bevormundung aus Brüssel. Während China enorm investiert und dabei keine Fragen stellt, kommen aus den USA Strafzölle und aus Europa Umweltvorgaben. Mit dem nun fertig ausgehandelten aber noch nicht ratifizierten Freihandelsabkommen sollen dann aber Europa und Südamerika auf Augenhöhe stehen – und beide Seiten wollen unabhängiger von den USA werden.
Das Abkommen bietet für die Europäer große Chancen, aber auch erhebliche Risiken. Experten sprechen gerne vom „Cars for Cow Deal“, der die Zusammenarbeit auf die einfache Formel herunterbricht. Die Europäer können einfacher Autos und Maschinen nach Südamerika exportieren, im Gegenzug wird den Herstellern landwirtschaftlicher Produkte wie beispielsweise Rindfleisch ein vereinfachter Zugang zum europäischen Markt gewährt. Aber das macht Europas Bauern Sorgen.
Die Agrarindustrie in der Region gilt als sehr effizient, profitabel, aber auch deutlich weniger umweltbewusst als die europäische Konkurrenz. Unter dem amtierenden brasilianischen Präsidenten Lula da Silva stiegen sowohl die bei Umweltschützern wegen der schlechten Klimabilanz umstrittene Rindfleischproduktion als auch die Soja-Ernten auf ein neues Rekordniveau.
Vieles wird auf abgeholzten Waldflächen produziert. Unter Lula verzeichnete Brasilien 2024 zudem einen Rekordverbrauch an Agrochemikalien, davon sind einige in Europa nicht zugelassen. Die Südamerikaner drängen darauf, dass die Europäer Umweltvorschriften reduzieren. Sie sind es inzwischen aus China gewohnt, dass der Abnehmer keine Fragen stellt.
Ein Risiko für die europäische Landwirtschaft bestehe deshalb in den günstigeren Preisen für südamerikanische Agrarprodukte, sagt der brasilianische Wirtschaftswissenschaftler Felipe Nascimento im Gespräch mit WELT: „Bilaterale Abkommen mit dem Mercosur könnten dazu führen, dass sie Schwierigkeiten haben, im Wettbewerb zu bestehen.“
Während sich Brasiliens Präsident Lula derzeit publikumswirksam über die Zölle aus Washington aufregt, schweigt die brasilianische Regierung dagegen lieber über die eigenen Zölle, mit denen sie den Markt gegenüber europäischen Produkten seit Jahren abschottet.
So gelten für Chemie-Produkte aus Europa derzeit Zölle von bis zu 35 Prozent, ähnliches gilt für Autos oder Maschinen. „Das Abkommen der EU mit den Mercosur-Staaten wird nach seinem Inkrafttreten einen Großteil der genannten Zölle schrittweise abschmelzen“, heißt es dazu auf Anfrage von WELT aus dem Wirtschaftsministerium in Berlin.
Chinas Einfluss in der Region könnte Europa bedrohen
In allen Mercosur-Ländern hofft Europa zudem auf eine enge Zusammenarbeit im Bereich des grünen Wasserstoffs. Der zukünftige Energieträger würde dann allerdings über Häfen nach Europa transportiert, die im Wesentlichen von China finanziert und kontrolliert würden. So besteht die Gefahr einer neuen Abhängigkeit.
Die größte Befürchtung sei, dass China seine Infrastruktur als Waffe einsetzen könnte, um Lieferketten zu stören, den Zugang zu wichtigen Rohstoffen und anderen essenziellen Gütern zu blockieren und eine größere Instabilität auf dem globalen Markt zu verursachen, heißt es in einem Bericht der Asia Pacific Foundation of Canada: „Diese Sorgen gehen über Chinas Kontrolle über die Häfen hinaus und erstrecken sich auch auf wichtige von China gebaute Infrastrukturkomponenten wie Hafenkräne und Überwachungssysteme.“
Dem gegenüber stehen allerdings interessante Chancen. Der südamerikanische Markt wurde von den Europäern bislang unterschätzt. In Bolivien steht in Kürze ein Regierungswechsel an. Dort regierten fast zwei Jahrzehnte lang die als fundamentalistisch geltenden Sozialisten, die im lithiumreichsten Land der Welt Verträge mit Russland und China favorisierten. Bolivien wird in Kürze zum vollwertigen Mitglied des Mercosur aufsteigen, die beiden vor einer Stichwahl befindlichen Präsidentschaftskandidaten wollen den Markt nun auch für den Westen öffnen.
Der antiwestlich geprägten Ausrichtung Brasiliens stehen mit Argentinien, Paraguay und künftig auch Bolivien dann Länder entgegen, die Europa freundlicher gesonnen sind. Der Mercosur der Zukunft könnte also deutlich europafreundlicher sein als in der Vergangenheit.
Eine große Chance bietet auch Argentinien. Unter dem libertären Präsidenten Javier Milei hat das Land erste Schritte zu einer wirtschaftlichen Erholung gemacht und die Rahmenbedingungen für internationale Investoren verbessert. Ob dieser Aufschwung nachhaltig ist, wird die zweite Hälfte von Mileis Amtszeit zeigen. Erste Investitionszusagen aus dem Ausland zeigen aber, dass die internationalen Märkte verstärkt nach Argentinien schauen.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.