Die politische Stimmung im Deutschlandtrend hat sich nicht grundlegend verändert – doch im Detail offenbart sich eine spektakuläre Entwicklung: Erstmals bekommt die AfD auf einem Politikfeld die größte Kompetenz zugesprochen. Das zeigt die repräsentative Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap im Auftrag von ARD-„Tagesthemen“ und WELT im September: Demnach wird der Rechtsaußenpartei im Vergleich zu den anderen Parteien am ehesten zugetraut, Probleme in der „Asyl- und Flüchtlingspolitik“ zu lösen – trotz rückläufiger Migrantenzahlen auch aufgrund intensiverer Grenzkontrollen.
26 Prozent sind demnach der Ansicht, dass die AfD in diesem Bereich am überzeugendsten sei – ein Plus von vier Prozentpunkten im Vergleich zum Februar vor der Bundestagswahl. Damit liegt die Partei nun vor der Union, die im Wahlkampf eine „Migrationswende“ versprochen hatte und in der Erhebung auf 24 Prozent kommt (minus zwei Punkte). Auch in allen anderen abgefragten Kompetenzbereichen – Wirtschaft, Außenpolitik, Verteidigung, Finanzen, Altersversorgung, soziale Gerechtigkeit – hat die AfD teilweise deutlich zugelegt.
Die Koalitionsparteien konnten nur in wenigen Bereichen ihre Kompetenzwerte leicht verbessern und ihre Dominanz verteidigen: Die Union liegt in der Außenpolitik mit 37 Prozent (plus drei Prozentpunkte) und in der Verteidigungspolitik mit 34 (plus zwei) deutlich vor den politischen Mitbewerbern. Die SPD rangiert bei den Themen soziale Gerechtigkeit mit 27 Prozent (plus eins) und Altersversorgung mit 22 Prozent (minus zwei) jeweils auf Platz eins.
Während die Union in der Sonntagsfrage bei 27 Prozent bleibt, rückt die AfD um einen Prozentpunkt näher an sie heran und erzielt mit 25 Prozent einen neuen Bestwert. Die SPD legt auf 14 Prozent zu (plus ein Punkt), die Grünen kommen auf elf Prozent (minus eins), dahinter liegt die Linke unverändert mit zehn Prozent. Das BSW legt einen Punkt auf vier Prozent zu – die FDP verliert einen und landet bei drei Prozent.
Alarmierend dürfte für Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und dessen Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) noch etwas andere sein: Das Ansehen der schwarz-roten Bundesregierung ist erneut gesunken und erreicht rund vier Monate nach ihrem Start einen neuen Tiefstwert: Nur noch 22 Prozent sind „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ mit der Arbeit von Union und SPD, ein Minus von sieben Prozentpunkten im Vergleich zum Vormonat. Die Ampel-Regierung stand im Vergleich besser da und kam im April 2022, vier Monate nach ihrem Start, auf einen mehr als doppelt so hohen Wert. Zugleich steigt die Unzufriedenheit mit Schwarz-Rot deutlich: 75 Prozent der Bürger äußern sich „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden mit der Regierung (plus sechs Punkte).
Lediglich unter den Unionsanhängern gibt es aktuell mit 57 Prozent eine Mehrheit, die „zufrieden“ bis „sehr zufrieden“ auf die Arbeit von Merz und Co. blickt. Ansonsten überwiegt die Zahl derjenigen, die „wenig zufrieden“ und „gar nicht zufrieden“ sind – selbst bei SPD-Parteianhängern mit 73 Prozent.
Die Demoskopen registrieren zudem parteiübergreifend eine große Unzufriedenheit, wenn nach dem Umgang miteinander innerhalb der schwarz-roten Koalition gefragt wird. Insgesamt äußern sich nur 18 Prozent damit zufrieden – und 77 Prozent nicht. Auch bei den Anhängern von CDU und CSU geben 67 Prozent an, mit dem Umgang zwischen den Koalitionspartnern unzufrieden zu sein – bei der SPD sind es sogar 74 Prozent.
Große Mehrheit unzufrieden mit Spahns Arbeit
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bleibt wie im August der beliebteste Politiker: Mit seiner politischen Arbeit sind unverändert 60 Prozent der Wahlberechtigten zufrieden. Dahinter, mit weitem Abstand, verbessern sich Außenminister Johann Wadephul (CDU) um vier Prozentpunkte auf 35 Prozent und Bundeskanzler Merz (CDU) auf 33 Prozent (plus eins). Knapp dahinter rangieren Klingbeil mit 31 Prozent (plus eins) und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas mit 29 Prozent (plus drei). Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) kommt auf 25 Prozent (minus eins).
AfD-Chef Tino Chrupallas Wert steigt im Vergleich zum Juli auf 20 Prozent, ein Zuwachs von drei Prozentpunkten. Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) und Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann landen mit je zwölf Prozent Zustimmung am Ende des aktuellen Rankings. Zugleich liegt Spahn in anderer Hinsicht vorne: 78 Prozent der Befragten sind mit ihm „weniger“ oder „gar nicht“ zufrieden – kein anderer der abgefragten Spitzenpolitiker erreicht auch nur annähernd so schlechte Werte.
Wenn es um den von der Bundesregierung angekündigten „Herbst der Reformen“ geht, scheint die Bevölkerung dringenden Handlungsbedarf zu sehen. Es gibt demnach großen Zuspruch für diverse Ideen und Vorschlägen im Umgang mit wirtschafts-, sozialpolitischen und auch haushaltspolitische Herausforderungen. Demnach erklären es 86 Prozent für die „richtige Richtung“, härtere Sanktionen beim Bürgergeld einzuführen, wenn Leistungsbezieher mehrfach Jobangebote ablehnen oder Termine versäumen – ein zentrales Wahlversprechen der Union.
80 Prozent befürworten einen steuerfreien Verdienst von monatlich bis zu 2000 Euro, wenn jemand im Rentenalter weiterarbeitet. Ebenfalls 80 Prozent sprechen sich für eine „Steuerfreiheit auf Überstundenzuschläge“ aus. 65 Prozent befürworten eine stärkere Besteuerung von hohen Einkommen – eine Kernforderung der SPD – und 51 Prozent für eine Anhebung der Steuern auf „hohe Erbschaften“. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters von 67 auf 70 Jahre befürworten nun 13 Prozent, ein Prozentpunkt mehr im Vergleich zum April.
Interessant ist hierbei ein Blick auf die befragten AfD-Anhänger: Unter ihnen findet es – anders als bei Unterstützern von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linkspartei – nur eine Minderheit richtig, hohe Einkommen und Erbschaften stärker zu besteuern, nämlich 40 beziehungsweise 27 Prozent. Unter Grünen-Anhängern wiederum findet sich mit 64 Prozent die vergleichsweise geringste Zustimmung, wenn es um härtere Sanktionen beim Bürgergeld geht.
Zur Methodik: Für den Deutschlandtrend hat Infratest Dimap am 1. und 2. September 1342 wahlberechtigte Bürger in 800 Telefon- und 542 Online-Interviews befragt. Die Fehlertoleranz liegt zwischen zwei und drei Prozentpunkten.
Kristian Frigelj berichtet für WELT über bundes- und landespolitische Themen, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen.
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