Am Donnerstag sei er mit Hassnachrichten aufgewacht, erzählt Guy Katz. Der Ökonom von der Hochschule München sagt in einer Pressekonferenz, er kenne das Problem, und zeigt ein Beispiel.
„Fuck you“, ist in der Nachricht von vor ein paar Wochen zu lesen. Er solle getötet werden, schreibt der Absender, „mit meinen eigenen Händen“, in Stücke geschnitten „wie ein Tier“, seine gesamte Familie ermordet. Es wird damit gedroht, Katz zu verfolgen – „und die Zeit ist gekommen“, heißt es in den englischsprachigen Nachrichten. Darunter sind drei rote Dreiecke zu sehen – das Symbol wird von der palästinensischen Terrororganisation Hamas zur Zielmarkierung genutzt.
„Und was mache ich? Ich bin Jude und kämpfe gegen Antisemitismus“, sagt Katz an diesem Donnerstag. Für Juden seien solche Drohungen seit Monaten Alltag, viele lebten in Angst, versteckten ihre Identität. „Die Lage ist ernst. Sehr, sehr ernst“, sagt Katz. Um die gezeigte Drohung kümmerten sich derzeit die Ermittlungsbehörden. Doch selbst wenn den Worten nichts folgen sollte, hätten sie einen Effekt: „Bis heute wissen wir nicht, ob diese Person ein Nachbar ist, ob sie vor der Tür lauert.“
Katz ist Initiator eines Fünf-Punkte-Plans gegen Antisemitismus, der am Donnerstag von der Initiative „DACH gegen Judenhass“ vorgestellt wurde. Mehr als 200 Organisationen und Prominente unterstützen eine Petition zur Unterstützung des Plans. Die Schirmherrschaft haben Charlotte Knobloch, frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) und Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, übernommen.
Das Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender ist dabei, der Verein WerteInitiative, die Conference of European Rabbis, der Sportverein Makkabi Deutschland. Aber auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, die Deutsch-Israelische Gesellschaft unter Vorsitz von Volker Beck sowie Untergliederungen von SPD, CSU, Grünen, FDP und Freien Wählern. Die Schauspielerinnen Iris Berben und Andrea Sawatzki haben unterzeichnet, ebenso wie der Schriftsteller Ferdinand von Schirach. Der FC Bayern München sowie der TSV 1860 München stehen darunter.
Die Initiative erhofft sich eine breite Aufmerksamkeit für die Missstände – und schlägt Lösungen vor. So soll es Strafverschärfungen, wie etwa beim Aufruf zur Zerstörung von Staaten wie Israel, geben. Jüdische Institutionen oder Gedenkorte müssten besser geschützt, Boykott-Aufrufe gegen Israel sollten unterbunden werden. Öffentliche Gelder dürften nicht mehr an antisemitische Kunstprojekte fließen. In Schulen brauche es etwa mehr deutsch-israelische Begegnungsprogramme und Bildung zu jüdischem Leben. Und an Hochschulen sollten flächendeckend Antisemitismus-Beauftragte eingesetzt werden.
Hintergrund ist die anhaltende antisemitische Eskalation in Deutschland. Seit dem Terrorüberfall der Hamas vom 7. Oktober 2023 berichten Juden hierzulande von Anfeindungen, Ausgrenzung, Hass. Jüdische Gemeinden und Synagogen erleben Angriffe und Anschläge, entsprechende Straftatenzahlen sind auf einem Höchststand.
Keine Uni habe unterzeichnet – und nur ein Lehrerverband
Der Krieg Israels in Gaza gelte vielen als Vorwand, jüdisches Leben in Deutschland anzugreifen, mahnt Knobloch. Jene Menschen störten sich nicht am Handeln des jüdischen Staats, so die 92-Jährige, „sondern daran, was Israel ist“. Der Terror des 7. Oktober begleite auch die jüdische Diaspora bis heute. „Dieser Schrecken wirkt natürlich fort. Die Welt ist danach eine andere geworden.“
Der Fünf-Punkte-Plan könne sicher nicht alle Probleme lösen: „Dafür ist zu viel kaputtgegangen in den vergangenen zwei Jahren“, sagt Knobloch bei der Vorstellung. Doch man müsse groß denken, es gehe um den Kampf für Freiheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
„Unser Land ist nicht mehr das gleiche wie vor dem 7. Oktober“, sagt der Ex-Grünen-Bundestagsabgeordnete Beck. Auf den Hamas-Terror sei ein „Tsumani des Antisemitismus in Deutschland, Europa und weltweit“ gefolgt. Beck fordert – wie es auch der Fünf-Punkte-Plan vorsieht –, jüdische Feiertage im Feiertagsrecht stärker zu berücksichtigen, um jüdischen Lebensrealitäten gerecht zu werden.
„Es wird ungemütlicher für Juden“, sagte auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, bei der Feier zum 75. Jubiläum des Zentralrats in Berlin am Mittwochabend. „Der Antisemitismus zeigt sich nicht nur in seinen gewalttätigen Auswüchsen, sondern zunehmend auch im Alltag.“ Juden seien der Seismograf einer Gesellschaft. „Wenn sie bedroht sind, steht es um die Gesellschaft und die Demokratie meist nicht gut.“ Auch Schuster unterstützt die vorgestellte Petition.
Die Universitäten seien zu „Hochburgen antisemitischer Ideologie, frei von jeglicher Wissenschaftlichkeit“ geworden, sagt Naomi Tamir von der Jüdischen Studierendenunion. Viele jüdische Studenten versteckten auf dem Campus ihre Identität, lebten in Angst vor Übergriffen, könnten ihr Studium nicht problemlos ausüben. Sie erlebten „Ausgrenzung, Missbrauch der Lehrfunktion, bis hin zu Formen physischer Gewalt“, so Tamir. Es brauche Ansprechpersonen an den Hochschulen – und Solidarität der Kommilitonen.
Polizei und Justiz könnten das Problem nicht gänzlich lösen, gesteht Elio Adler von der WerteInitiative ein. „Panzerglas und Polizeischutz machen Antisemitismus nicht weniger, sie verhindern aber, dass wir Juden Opfer von Hassverbrechen werden.“ Es brauche ein härteres Vorgehen gegen israelfeindliche und antisemitische Hassparolen auf Demonstrationen, Behörden müssten mit Beauftragten besetzt werden.
Schauspielerin Uschi Glas ruft zu einer breiten Solidarität mit Jüdinnen und Juden auf. Bei Kundgebungen gegen Antisemitismus in ihrer Heimatstadt München erlebe sie, wie junge Juden nur schüchtern ihre Davidstern-Kette sichtbar trügen – und sie auf dem Heimweg wieder versteckten. „Ich bin tief entsetzt und auch tief traurig“, so Glas. „Ich schäme mich für meine deutschen Mitbürger, die nicht unseren Leuten zur Seite stehen.“
Glas beklagt insbesondere eine fehlende Solidarität aus der Kunst- und Kulturszene. Spreche sie Kolleginnen und Kollegen aus der Theater- oder Filmwelt an und bitte um Unterstützung, höre sie Ausreden. „Du, ich bin neutral“, sagten manche. Oder: „Du, dann kriege ich vielleicht keinen Job mehr.“
Initiator Katz berichtet zwar von viel Zuspruch, dafür stehe die lange Unterstützerliste. Doch er sagt auch: „Es kam viel mehr Stille, keine Antworten.“ So habe er viele Institutionen um eine Unterschrift gebeten, doch seitens der Universitäten habe es kaum Resonanz gegeben. Und auch nur ein Lehrerverband habe mitgemacht. „Wenn wir nicht 100.000 Unterschriften sammeln, dann können wir Juden wirklich wegziehen“, warnt der Münchner Ökonom.
Die Petition kann ab sofort gezeichnet werden. Er hoffe auf viele Unterschriften, sagt Katz: „Da kann jeder sagen: Nie wieder ist wirklich jetzt.“
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über Gesundheitspolitik, die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er berichtet zudem regelmäßig über Antisemitismus, Strafprozesse und Kriminalität.
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