Für Schleswig-Holsteins Christdemokraten ist die Sache klar. Nach dem Motto „Zuckersteuer heißt: vorbeugen statt reparieren“ will der vergleichsweise kleine, aber meinungsstarke CDU-Landesverband sich in den kommenden Monaten für die Einführung einer bundesweiten Abgabe auf besonders zuckerhaltige Getränke einsetzen und die CDU insgesamt bei diesem Thema zu einem Kurswechsel zwingen.

Auch die Abgabe von sogenannten Energy-Drinks an Jugendliche soll nach Ansicht der vom Kieler Ministerpräsidenten Daniel Günther angeführten Nord-Union und der von ihr gestellten christdemokratischen Bundesfamilienministerin Karin Prien wesentlich strenger als bisher reguliert werden. Problem: Der innerparteiliche Widerstand formiert sich sofort.

Der Vorstoß hat nicht ausschließlich gesundheits- und familienpolitische Gründe. Schleswig-Holsteins CDU und der von ihr gestellte Regierungschef sind in der jüngeren Vergangenheit gut damit gefahren, sich inhaltlich immer mal wieder von der Linie der Union insgesamt abzusetzen.

So drängten die Nordlichter die Bundes-CDU im Frühjahr 2024 in einer „Kieler Erklärung“ dazu, die Wehrpflicht angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine wieder einzusetzen – zu einem Zeitpunkt, als die Unionsspitze um Friedrich Merz und Carsten Linnemann einem solchen Schritt mehr als skeptisch gegenüberstand. Der CDU-Chef und sein Generalsekretär plädierten damals noch für ein „Gesellschaftsjahr“, schwenkten aber beim folgenden Bundesparteitag auf die Linie der Norddeutschen ein.

Derzeit liegen die Schleswig-Holsteiner in der Energie- und Infrastrukturpolitik quer zur Linie der mittlerweile von der Union angeführten Bundesregierung. Das geplante Zurückfahren der Förderung erneuerbarer Energien durch Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) wird in Kiel ebenso skeptisch gesehen wie die im Landeshaus als etwas wirr beziehungsweise unzumutbar empfundenen Ansagen zum weiteren Ausbau der Straßen- und Schienenwege.

Nächster Schauplatz dieses mit Blick auf die Landtagswahl im Jahr 2027 vermutlich nicht gänzlich uneigennützigen Ringens zwischen der CDU-geführten Landesregierung in Kiel und der ebenfalls CDU-geführten Bundesregierung in Berlin ist der Vorstoß in der Gesundheits- und Familienpolitik.

Die am vergangenen Wochenende im Rahmen einer Klausurtagung verabschiedete Forderung nach einer Zuckersteuer lässt an Deutlichkeit jedenfalls nichts zu wünschen übrig. „Die CDU in Schleswig-Holstein fordert“, so heißt es in der nach dem Tagungsort benannten „Rendsburger Erklärung“, „die Einführung einer Verbrauchssteuer auf Getränke mit hohem Zuckeranteil, um den Zuckerkonsum zu reduzieren“.

Darüber hinaus solle der Verkauf von Energy-Drinks mit hohem Zucker- und Koffeinanteil an Jugendliche unter 16 Jahre verboten werden. Die Nord-Union begründet ihren Vorstoß unter anderem mit der hohen Zahl übergewichtiger und adipöser Kinder- und Jugendlicher. Die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen im Norden belegten, dass „immer mehr Kinder aus körperlichen Gründen nicht mehr fit genug für die Schule“ seien. „Die Tendenz ist seit Jahren steigend.“

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, wollen sich Schleswig-Holsteins Christdemokraten vor allem für ein besseres Bewegungs- und Ernährungsangebot in Kitas und Schule einsetzen. Ein Weg, der zur Verringerung der Zahl adipöser Kinder und Jugendlicher führen könne, sei zudem die Einführung einer Zuckersteuer. Die Erfahrungen in anderen Ländern hätten gezeigt, dass der Zuckergehalt in Lebensmitteln und Getränken nach der Einführung einer solchen Abgabe sichtbar gesunken sei. „Wir sind in der Verantwortung, die Jugendlichen zu schützen, und müssen unserer Verantwortung gerecht werden“, sagte die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Nord-CDU, Cornelia Schmachtenberg, bei der Vorstellung des Papiers.

Bundesfamilienministerin Prien erklärte den vom grünen Kieler Koalitionspartner herzlich begrüßten Kursschwenk ihres Landesverbandes mit der unzureichenden Wirkung, die freiwillige und marktwirtschaftliche Maßnahmen bei der Reduktion des Zuckeranteils in Getränken und Lebensmitteln gehabt hätten. „Parteien überprüfen richtigerweise immer wieder ihre Positionen“, sagte Prien und kündigte an, dass Schleswig-Holsteins CDU sich nun auf den Weg machen werde, auch die anderen Landesverbände ihrer Partei sowie den nächsten Bundesparteitag von der Notwendigkeit einer Zuckersteuer zu überzeugen. Leicht wird das allerdings nicht.

So weist zum Beispiel der CDU-Landesverband Rheinland-Pfalz die Forderungen der Parteifreunde aus dem Norden strikt zurück. „Der Vorschlag der Nord-CDU greift zu kurz und wird nicht den vielfältigen Ursachen von Übergewicht und Adipositas gerecht“, so eine Sprecherin des Landesverbandes. Auch ein Verkaufsverbot für Energy-Drinks an unter 16-Jährige sei aus Sicht der rheinland-pfälzischen Union nicht zielführend.

Weniger brüsk reagiert die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Katy Hoffmeister. Zucker sei vielfach die Ursache von Adipositas und anderen Krankheiten, so die Christdemokratin. Sie bezweifele aber, ob eine Steuer als Mittel zur Prävention moderner Volkskrankheiten tauge. „Das Ziel darf nicht lauten, eine neue Steuer einzuführen, das Ziel muss sein, dass Menschen gesünder leben und damit auch weniger Kosten im Gesundheitssystem verursachen.“

Auch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion reagiert wenig verständnisvoll auf den Beschluss der schleswig-holsteinischen Christdemokraten. „Eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke und Lebensmittel“, so der ernährungspolitische Sprecher der Union im Bundestag Johannes Steiniger, „ignoriert die Komplexität der Ernährung und die verschiedenen Ursachen der Entstehung von Übergewicht und Adipositas“. Dazu zähle vor allem unzureichende Bewegung bei hoher Gesamtkalorienbilanz. „Viel zielführender“ als eine Steuer sei deshalb die Förderung des Breitensports.

Auch eine Altersgrenze für den Verkauf von Energy-Drinks führe ausweislich einer Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung nicht weiter. „Beide Punkte sind daher aus guten Gründen nicht im Koalitionsvertrag enthalten.“ Ablehnend äußerte sich auf WELT-Anfrage die AfD-Bundestagsfraktion. Seine Partei stehe „explizit gegen eine Einführung neuer Steuern“, so der Finanzpolitiker Kay Gottschalk.

Es gibt in Berlin allerdings auch Zustimmung zu dem Vorstoß aus Kiel. So plädiert die Bundestagsabgeordnete Svenja Stadler (SPD) im Namen ihrer Fraktion für eine Befassung des Parlaments mit dem Thema. „Freiwillige Selbstverpflichtungen der Industrie haben nicht zu den notwendigen Verbesserungen einer gesundheitsförderlichen Ernährung geführt“, so die Sozialdemokratin. „Deshalb sind wir überzeugt, dass eine Zuckersteuer ein wirksames Instrument ist, um den Zuckergehalt in Getränken zu senken und Kinder sowie Jugendliche besser zu schützen“.

Der frühere Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) begrüßt den Beschluss der Nord-Union ebenfalls. „Ich würde die CDU-Initiative für eine Zuckersteuer nach britischem Vorbild für die Gesundheit unserer Kinder unterstützen“, so Özdemir zu WELT. „Das Ziel muss sein: gutes Essen für alle Menschen in Deutschland leichter machen. Dafür können Preissignale ein Baustein sein.“

Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.