Ernst Peter Fischer ist seit drei Jahren der deutsche Botschafter in Georgien. Am Mittwoch wurde er ins Außenministerium bestellt und bekam mahnende Worte zu hören: Er mische sich in innenpolitische Angelegenheiten ein und befeuere eine radikale Agenda im Land, die üblichen demokratischen Prinzipien zuwiderlaufe. Das Auswärtige Amt in Berlin widersprach, wie auch Fischer selbst auf seinem X-Account: Man solle den falschen Narrativen keinen Glauben schenken. Seine Positionen stünden im Einklang mit der deutschen Regierung und der EU.

Die Einbestellung des Botschafters ist die Kulmination eines schon Monate schwelenden Konfliktes. Denn Fischer hatte wiederholt die neue Regierung unter der Führung der Partei „Georgischer Traum“ kritisiert, die seit einem knappen Jahr an der Macht ist. Die Partei sei autoritär, Unterdrückung und Polizeigewalt hätten dramatisch zugenommen, so Fischer.

Um das zu unterstreichen, hatte er die Gerichtsverhandlungen georgischer Oppositioneller besucht und das Urteil von sieben Jahren Haft gegen eine Demonstrantin, die einen Polizisten geohrfeigt hatte, als unverhältnismäßig kritisiert.

Zu allem Überfluss wurde Fischer dann auch noch Beihilfe zum Steuerbetrug vorgeworfen. Manche Politiker fordern seine Ausweisung. Die georgische Bürgerrechtlerin Eka Gigauri, die für Transparency International Georgia tätig ist, geht von einer Kampagne gegen den deutschen Botschafter aus. Diese scheint bei der Bevölkerung bereits zu verfangen: Unlängst wurde Fischer auf offener Straße angepöbelt und beschimpft.

Ende Oktober 2024 hatte der „Georgische Traum“ die Parlamentswahlen mit 53,9 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Opposition sprach von Betrug und forderte Neuwahlen. Auch internationale Beobachter registrierten Unstimmigkeiten. So kam es zu massiven Protesten, die das Land über Monate erschütterten. Nicht nur wegen mutmaßlicher Wahlfälschung, sondern auch wegen des offen prorussischen Kurses der neuen Regierung. Hinzu kam, dass Ende November die Beitrittsverhandlungen mit der EU bis 2028 ausgesetzt wurden.

Klima im Land wird täglich repressiver

Die neue Regierung reagierte auf die Proteste mit Gewalt, zahlreichen Festnahmen und Verurteilungen oppositioneller Kräfte. Unter der Führung des „Georgischen Traumes“ wird das politische und gesellschaftliche Klima immer repressiver. Man bedient sich dabei Maßnahmen, die auch der Nachbar Russland bereits erprobt hat.

Etwa das Gesetz zur Registrierung sogenannter ausländischer Agenten, das auch humanitäre Organisationen mit internationalen Geldgebern zwingt, sich durchleuchten und erfassen zu lassen. In Russland wird dieses Gesetz systematisch zur Unterdrückung der Zivilgesellschaft missbraucht.

So eindrucksvoll die Bilder der Massenproteste aus den georgischen Städten auch waren – sie sind trügerisch. 2008 marschierte der russische Nachbar von Norden her in Georgien ein und besetzte die abtrünnigen Landesteile Südossetien und Abchasien.

Handfeste Reaktionen aus dem Westen blieben komplett aus. Seitdem ist vielen Georgiern klar: Der Nachbar im Osten wird weiterhin bestimmend sein, Europaintegration hin oder her. Russland zu ignorieren ist nicht möglich. Vielen Georgiern, selbst wenn sie schlecht von Russland denken, ist daher an einer Normalisierung der Beziehungen gelegen.

So erklärt der „Georgische Traum“, weitere Eskalationen mit Russland vermeiden zu wollen und stellt sogar eine Rückgabe der besetzten Gebiete in Aussicht, ein völlig unwahrscheinliches Szenario. Zwar zeigen Umfragen seit Jahren, dass mehr als 70 Prozent der Georgier einen EU-Beitritt befürworten würden. Für viele ist das aber kein Widerspruch zu normalisierten bis guten Beziehungen zu Russland.

Denn Georgien ist arm, die Gehälter sind niedrig, Korruption ist ein Problem. Viele Georgier stellen sich eine Aufnahme in die EU vor allem als Beitritt zu einer Wohlstandsgemeinschaft vor. Die gemeinsamen Werte interessieren nur am Rande. Doch trotz einiger Versprechen und Annäherungsabkommen blieb Europa in weiter Ferne. Die Verheißungen größeren Wohlstands wollten sich nicht einstellen.

Wohlstand kommt stattdessen aus nördlicher Richtung. Georgien ist wirtschaftlich abhängig von Russland, dessen Einwohner sehr gern am Kaukasus Urlaub machen. Georgien gilt als Sehnsuchtsort, ähnlich wie Italien für die Deutschen. Dieses Touristenaufkommen kann die EU nicht ersetzen. Wie sie auch die russischen Weintrinker nicht ersetzen kann, die im Gegensatz zu den Europäern georgische Sorten bevorzugen.

Hinzu kommen über hunderttausend russische Flüchtlinge, die nach Putins Teilmobilmachung nach Georgien geflohen sind und viel Geld ins Land brachten. Und die Rolle Georgiens als Schlupfloch für EU-Sanktionen: Das EU-Handelsvolumen mit Georgien hat sich seit Kriegsbeginn verdoppelt – es ist davon auszugehen, dass ein Gutteil der Waren nach Russland exportiert wird.

Der Opposition droht die absolute Bedeutungslosigkeit

Dass der „Georgische Traum“ ausgerechnet jetzt so eskaliert und den deutschen wie den britischen Botschafter einbestellte, dürfte an den bevorstehen Kommunalwahlen am 4. Oktober liegen. Damit möchte die Partei ihre Macht weiter festigen. Sie signalisiert, dass man sich nicht hineinreden lässt, und versucht per Konfrontationskurs, Nationalstolz zu entflammen.

Laut aktueller Umfragen unterstützen im Moment nur noch 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung den „Georgischen Traum“. Die Chancen auf Wahlerfolge stehen trotzdem gut. Denn acht Oppositionsparteien boykottieren die Wahlen, da sie den „Georgischen Traum“ als illegitim betrachten. Das ist einer von wenigen Punkten, in dem sich die Oppositionsparteien einig sind.

Ansonsten sind sie völlig zerstritten. Schon jetzt sind die einstigen Massenproteste gegen den „Georgischen Traum“ auf wenige Dutzend Teilnehmer geschrumpft, die sich überwiegend aus der urbanen Mittelschicht rekrutieren. Mit dem Boykott der Kommunalwahlen droht der georgischen Opposition nun endgültige Marginalität.

Julius Fitzke ist seit Juli 2025 Volontär bei der WELT im Ressort Außenpolitik.

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