• Warum mehr Deutschlandtickets nicht mehr Geld in die Kassen der Nahverkehrsbetriebe spülen
  • Auf mittleren und langen Strecken ist das Deutschlandticket günstiger als reine Spritkosten beim Auto
  • Umschichtung von klimaschädlichen Subventionen zugunsten des ÖPNV ist hochrelevant
  • Mehr Jobtickets könnten Abo-Zahlen steigern - bei verlässlicher Finanzierung
  • Was eine stündliche Taktung im ländlichen Raum ausmacht

MDR AKTUELL: Erst Anfang des Jahres wurde das 49-Euro-Ticket auf 58 Euro im Monat erhöht – nächstes Jahr soll es weiter auf 63 Euro steigen. Ist es wirklich nötig, die Preissteigerungen ausgerechnet von den Kundinnen und Kunden einzufordern?

Jan Werner: Die öffentliche Hand zahlt bereits viel Geld für den öffentlichen Nahverkehr und so leid es mir tut, die Verbraucher auch zur Kasse zu bitten, ist es notwendig, damit das System ausreichend Geld hat und nicht irgendwann in die Knie geht.

Das Deutschlandticket hat die Zahl der Monats-Abos im Nahverkehr deutlich gesteigert. Warum kommt das finanziell nicht bei den Nahverkehrsbetrieben an?

Das Deutschlandticket ersetzt viele bestehende Fahrkarten, die teurer sind. Damit fehlt Geld in der Kasse. Das Geld wird von der öffentlichen Hand – von Bund und Ländern – dann wieder ausgeglichen, aber mehr als den Ausgleich gibt es nicht. Außerdem ist es in der bisherigen Logik so: Wird mehr Geld am Markt erzielt, gibt es weniger Geld von Bund und Ländern.

Dieses Modell für den Nachteilsausgleich wurde in der Corona-Zeit entwickelt, um einen Erlöseinbruch auszugleichen, für den niemand was konnte. Es wurde aber nicht darauf ausgerichtet, dass ein Erlösanreiz besteht. Insgesamt ist das Deutschlandticket also zwar ein Erfolg am Markt, aber nicht ein Erfolg in der Kasse.

Also müsste die Finanzierung für das Deutschlandticket grundsätzlich anders gestaltet werden?

Erstmal ist es wichtig, dass beim Nachteilsausgleich alle Tickets betroffen sind, auch die außerhalb des Deutschlandtickets. Alle Fahrgelderlöse gehen in einen Topf und dann wird der Ausgleichsbetrag aus der Differenz zu einem Referenzbetrag errechnet.

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Sinnvoller wäre aber, dass derjenige mehr Geld bekommt und behalten darf, wer die Nachfrage auf das Deutschlandticket erhöht – und zwar nicht beim Ticketverkauf, sondern bei der Nutzung des Tickets. Und ganz grundsätzlich gilt: Die Nahverkehrsbetriebe können erst dann wieder mehr Geld über Tariferlöse verdienen, wenn man nicht mehr die Differenz zu einem Referenzbetrag ausgleicht, sondern einen festen Ausgleichsbetrag bestimmt, der davon unabhängig ist, ob sich die Erlöse durch den Ticketverkauf erhöhen oder verringern.

Höhere Erlöse am Fahrgastmarkt sind dann eine Chance aber zugleich auch ein Risiko für die Verkehrsunternehmen bzw. die sie finanzierenden Kommunen. Denn wer weniger verkauft, der hat dann auch das Risiko zu tragen.

Das eigentliche Problem liegt aber woanders.

Und zwar …?

Bei der Kostenentwicklung. Die Referenzerlöse, gegen die man jährlich rechnet, die sind schon kräftig gestiegen – oft höher als die Inflationsrate. Aber die Kosten sind in den Jahren 2022/23 so davongelaufen, dass die Einnahmen, die man jetzt erreicht – Fahrgelderlöse plus Ausgleichsbetrag – eben ganz oft die Kosten nicht mehr decken.

Was sind denn die wichtigsten Kostentreiber und von welchen Größenordnungen sprechen wir da?

Die Kostentreiber lagen zunächst vor allen Dingen im Energiebereich. Das hat sich wieder nivelliert. Was geblieben ist, sind stark erhöhte Personalkosten. Es gab gute Tarifabschlüsse, die sich rückblickend über die vorhandenen Einnahmen oft nicht voll finanzieren ließen.

Vor allem aber haben sich die Zinsen stark erhöht. Die waren vorher für den Bund teilweise im Minusbereich und bei Kommunen und Ländern zwischen einem und zwei Prozent, jetzt sind sie bei 4 bis 5 Prozent. Wer sich zur Finanzierung von Investitionen jetzt verschuldet, hat hohe Mehrkosten. Zudem sind auch die Fahrzeugkosten sowie die Kosten für Schieneninfrastruktur ganz kräftig gestiegen, über fünf Jahre in Summe um ca. 40 bis 50 Prozent. Das schlägt nicht flächendeckend ein, aber jeder, der gerade Ersatz- oder Neuinvestitionen finanzieren muss, der hat richtige Schwierigkeiten.

Das Deutschlandticket steht auch unter der Überschrift Verkehrswende. Mit der ersten Preiserhöhung Anfang dieses Jahres sind allerdings erstmal rund eine Million Nutzer abgesprungen. Welche Erkenntnisse haben Sie, wie sich der Ticketpreis langfristig auf die Nutzungszahlen auswirkt?

Der Ticketpreis – auch mit der Preiserhöhung ab 2026 – ist immer noch günstig. Wenn man von einem Preisniveau von 49 Euro kommt, mag man das vielleicht nicht glauben. Aber wenn ich mir andere Abo-Preise anschaue, die ja nur eine sehr viel kleinere Reichweite in einer Stadt oder einem Verkehrsraum haben, dann ist das Deutschlandticket immer noch günstig.

Es ist auch merklich günstiger als die Vollkosten des Autoverkehrs als Alternative. Auf mittleren und langen Strecken ist es häufig sogar günstiger als nur die reinen Spritkosten eines Autos. Von daher glaube ich, dass der Preis des Deutschlandtickets weiterhin günstig genug ist, um einen Beitrag zur Verkehrswende leisten zu können. Aber auch hier ist das Preissignal nicht allein entscheidend.

Kritiker der erneuten Preiserhöhung beim Deutschlandticket verweisen unter anderem auf Subventionen für klimaschädlichere Verkehrsmittel wie das Auto, das beispielsweise durch die Pendlerpauschale und das Dienstwagenprivileg gefördert wird. Halten Sie diese Kritik dann für übertrieben?

Die Kritik teile ich. Klimaschädliche Subventionen und Zuschüsse gehören auf den Prüfstand. Entfallen diese, hätte man auch mehr Haushaltsspielräume, um klimaschonendere Beförderung durch den ÖPNV und auch den Fernverkehr auf der Schiene zu stärken. Die Umschichtung an dieser Stelle finde ich hochrelevant.

Meine Aufgabe ist es jetzt aber nicht die Verkehrspolitik für das Auto zu kritisieren, sondern den Beitrag zu beurteilen, den die Fahrgäste des ÖPNV zu leisten haben. Dabei komme ich zu dem Ergebnis, dass die Fahrgäste mit 63 Euro für das Deutschlandticket in der Regel weniger als die Hälfte der Kosten des ÖPNV finanzieren. Die öffentlichen Haushalte tragen damit trotz der Preiserhöhung immer noch den Löwenanteil an den Gesamtkosten. Wenn man die vollen Kosten abdecken wollte, dann müsste das Ticket merklich teurer sein. Allerdings würde dann der Absatz und damit auch der Umsatz einbrechen. Von daher kommt die öffentliche Hand aus dieser Finanzierungsverantwortung auch nicht heraus, wenn sie ein relativ preisgünstiges Deutschlandticket anbieten möchte.

Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder äußerte bereits die Hoffnung, dass trotz der geplanten Preiserhöhung beim Deutschlandticket neue Abonnenten dazukommen. Bisher ist man ja noch nicht bei den Abozahlen, die man sich erhofft hat. Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, um das zu steigern?

Da sehe ich zwei Aspekte. Erstens gibt es innerhalb der Logik des Deutschlandtickets noch nicht genügend Jobtickets. Dafür bräuchten die Firmen aber preisliche Sicherheit. Aktuell sagen viele: Ich sehe das Risiko, dass sich der Preis innerhalb von zwei bis drei Jahren verdoppeln kann und dann laufen mir die Kosten davon. Das mache ich nicht.

Wenn Bund und Länder verlässlich in Aussicht stellen, dass der Preis für das Deutschlandticket nur noch mit der Inflation steigt, dann können sich Firmen darauf einrichten, mehr Jobtickets zu verkaufen. Auf der Ebene der Fahrgäste ist dann auch zu erwarten, dass sich bei gutem örtlichen ÖPNV Angebot dann auch einige dafür entscheiden, sich von ihrem Auto zu trennen. Da gibt es also noch Potenzial.

Lässt sich denn beziffern, welcher Anstieg auf diese Weise möglich wäre?

Genau lässt sich das nicht sagen. Vor allen Dingen geht es darum, Leute über das Jobticket zu gewinnen, die bisher gar kein Monatsticket hatten. Denn um eine Einzelfahrt zu bezahlen, ist die psychische Hürde relativ hoch. Aber wenn jemand erstmal ein Abo-Ticket hat, mit dem die einzelne Fahrt quasi umsonst ist, wird das auch häufiger genutzt. Dieser Effekt wird eintreten, aber den kann ich nicht beziffern.

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Dort wo das Deutschlandticket am stärksten nachgefragt ist, ist das Angebot oft schon der limitierende Faktor. Das Deutschlandticket schlägt vor allem auf den mittleren und langen Distanzen ein – insbesondere zwischen 10 und 50 Kilometer. Das sind Strecken insbesondere im Schienenpersonennahverkehr, auf denen man sich in Metropolregionen zügig bewegen kann. Aber man kann damit auch beispielsweise einen Wochenendausflug an die Ost- oder Nordsee oder in den Harz machen. Das wird kräftig genutzt. Weil gerade auf solchen Strecken der Sprit für das eigene Auto recht teuer ist. Die Nutzung des Deutschlandtickets am Wochenende wirkt demgegenüber auch im Verhältnis zu den normalen Einzelpreisen auf der Schiene spottbillig. Die Kehrseite dieses Erfolgs ist aber auch sichtbar: Das Angebot platzt teilweise wirklich aus allen Nähten.

Das heißt: Neben finanzieller Verlässlichkeit und mehr Jobtickets braucht es auch ein besseres Angebot auf den Strecken?

Wo die Kapazitäten nicht reichen, muss dringend nachgebessert werden. Was mir aber eigentlich noch wichtiger ist: Bisher erstreckt sich die Nutzbarkeit des Deutschlandtickets zu wenig in den ländlichen Raum und in die Verbindungen zwischen Klein- und Mittelstädten. Da bräuchte es ein Grundangebot, was in ganz Deutschland nach einem gleichen Mindeststandard zu organisieren ist.

Wie könnte das konkret aussehen?

Die Schweiz ist da ein gutes Vorbild: Da haben auch kleine Orte 18 Stunden am Tag ein stündliches Angebot. Das sind vielfach Busse, aber eben keine Geisterbusse. Die Nachfrage lässt sich stimulieren. In Deutschland könnte man auch erstmal sagen: zwölf Stunden am Tag stündlich und dann noch alle zwei Stunden, sodass ich auch spät abends noch zurückkommen und morgens rechtzeitig losfahren kann.

Mit einem solchen Grundangebot erreichen Sie im ländlichen Raum auch weitere Gruppen von Nutzenden: Diejenigen, die zum Arzt oder zur Schule müssen. Auch Bring- und Holfahrten für Verwandte, Freunde oder Nachbarn entfallen dann häufiger. Es geht nicht darum, alles mit dem Nahverkehr zu ersetzen. Aber mit einer stündlichen Taktung wird der ÖPNV schon für viele zu einer akzeptierten Alternative. Wer knapp bei Kasse ist, dem eröffnet sich so die Chance das Haushaltsbudget zu entspannen, indem das Zweit- oder Dritt-Auto abgeschafft werden kann.

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