Dieses Publikum lacht, wenn der Kulturstaatsminister „Sloterdijk“ oder „Thomas Mann“ sagt und jubelt für Jan Böhmermann, auf dessen Einladung hin es jeden Platz im großen Saal des Berliner Hauses der Kulturen der Welt füllt. Die Ausstellung des ZDF-Moderators dort haben WELT und „taz“ verrissen, dazu kommen nun Gesprächsrunden. Am Mittwochabend traf Böhmermann Wolfram Weimer, den Dienstherren des Hauses. Geplant war ein Gespräch über Kultur und Technik, doch vielmehr streiten sie darüber: Wer ist schuld an Böhmermanns Desaster-Tagen um den 7. Oktober 2025? An diesem Tag vor zwei Jahren hat die Hamas Israel überfallen. Böhmermann plante zum Jahrestag des Massakers am Dienstag ein Konzert auf der großen kulturpolitischen Bühne des HKW mit dem Rapper Chefket. Vor dem Konzert aber stieß „Nius“ auf Chefket in einem Trikot mit Palästina-Farben, aber den Umrissen des Staates Israel.

Weimer veranlasste das zu einem Brief an die Hausleitung. „Dass nun ausgerechnet am Jahrestag des Hamas-Anschlags auf Israel am 7. Oktober ein Konzert mit einem Künstler stattfinden soll, der antisemitische Inhalte verbreitet“, empfinde er als Provokation, schrieb er darin. Er warnte den Intendanten, „Sorge dafür zu tragen, dass es nicht zu antisemitischen Äußerungen in jedweder Form kommt“.

Den Brief las auch die Deutsche Nachrichtenagentur (dpa). Am Samstag vor zwei Wochen, eine Minute nach Mitternacht, veröffentlichte die Agentur ihn auszugsweise. Das Chefket-Konzert sagte Böhmermann zwei Tage später ab; deshalb wiederum sprangen ihm alle geplanten Musiker ab.

Böhmermann, der Betrogene

Was Böhmermann stört, zeigt er Mittwochabend: Es ist die Öffentlichkeit des Vorgangs. Weimer wirft er vor, mit dem Brief gar nicht das Haus der Kulturen der Welt adressiert zu haben, „sondern: Das war ein offener Brief, also es ging über die DPA.“ Ihn habe das schwer getroffen, weil er gedacht habe: „Rufen Sie doch einfach an. Sagen Sie mal kurz einfach Bescheid, dass Sie Sorgen haben oder Rückfragen …“. Der Tenor: Man hätte heimlich, leise hinter den Kulissen „Bedenken“ klären, umdisponieren, absagen können. Stattdessen flog Böhmermann der Laden auseinander.

Er gibt den Betrogenen: Ausgerechnet der Minister, der doch eigentlich Staatsferne in der Kultur fordere, habe „eingegriffen“, empört er sich, „und zwar nicht hinter den Kulissen, sondern vor den Kulissen mit Missbilligungen und allen Instrumenten, die Ihnen zur Verfügung stehen!“

Alle Instrumente? Böhmermann unterstellt dem Ex-WELT-Chefredakteur (2000-2002) Weimer eine Standleitung zu einem anderen großen Axel-Springer-Blatt. „Mich hat schon gewundert“, sagt Böhmermann, dass „in dem Moment, als wir Ihnen das“ – die Absage des Chefket-Konzerts am Montagmorgen – „mitgeteilt haben, einen Anruf bekommen haben von der ‚Bild-Zeitung‘, von Peter Tiede (Chef-Autor Politik bei „Bild“, d. Red.), mit dem exakt selben Informationsstand, der nicht im Presseverteiler war“. Das lasse ihn „wundern: War der zugeschaltet am Montagmorgen, als Sie das mitgeteilt bekommen haben, dass wir das Konzert absagen, oder war das reiner Zufall?“ Weimer nuschelt etwas und wechselt das Thema.

Dass Böhmermann, den die ebenfalls öffentlich-rechtliche Gesprächsmoderatorin Eva Schulz als „Aufdecker von Missständen“ vorstellt, das Ganze lieber still abgeräumt hätte, gibt er immer und immer wieder zu verstehen. In Schulz hat er oft eine Verbündete. „Herr Weimer, das ist ungewöhnlich, dass ein Politiker auf diese Weise den Zeigefinger hebt und sich in die Programmplanung einer Kulturinstitution einmischt. Warum haben Sie das gemacht?“

Weimer erklärt, beginnt mit der Einschüchterung, Ausgrenzung, Bedrohung der Juden im Post-7.-Oktober-Deutschland im Allgemeinen, kommt dann zum Kulturbetrieb speziell. Der geforderte Ausschluss von Juden vom Eurovision Song Contest; das Spielverbot für den israelischen Dirigenten der Münchener Philharmoniker in Belgien; da wären auch die Berlinale, die Documenta. „In dieser Situation adressiere ich halt alle Themen“, sagt Weimer, „wo ich Sorge habe, dass Dinge entgleisen“, damit sie eben nicht entgleisten – sagt er auf einer Bühne, wo vor nicht wenigen Jahren die Rede eines Hamas-Apologeten einen Kultureklat auslöste.

Sind Böhmermann diese Überlegungen neu? „Ich wundere mich, dass Sie eine Verbindung herstellen dazwischen, also der Gedankengang und die Kette dahinter war mir bislang gar nicht klar“, sagt er. Und fragt sich: „Sie stellen eine Verbindung her – oder haben Sie die Provokation verbunden mit diesem abgesagten Konzert?“

Die Provokation, so nennt Böhmermann das Chefket-Trikot häufiger. Vielleicht, gibt Böhmermann zu verstehen, sei Weimer zu verbohrt, sei die Provokation eben gar nicht so schlimm, wolle der Minister sich nur profilieren auf dem Antisemitismus-Ticket. Immerhin gebe es ja Vorwürfe, sagt er – ohne dass er sich diese zu eigen machen wolle – „dass Nius.de, dieses rechte Hetz-Portal, Ihnen die Feder geführt hat und dass Sie quasi den dogmatischen Umgang mit dem Thema Antisemitismus des Springer-Verlags sich zu eigen machen, was mit Ihrer Biografie jetzt auch nicht fern liegt“.

Was sich „Kartoffeldeutsche“ vorstellen können

Jedoch, auch Böhmermann und Team seien zu dem Schluss gekommen: „dieses T-Shirt ist problematisch“. Dann wieder ist die Provokation für ihn „nachvollziehbar“, nur „zu eigen machen“ könne und wolle er sie sich nicht, wobei er natürlich „weiß, wie Provokation funktioniert, und ich glaube, der Protest ist legitim und der muss stattfinden, auch, wenn es weh tut.“ Der „Protest“ eines Chefket sei vielleicht „emotionaler, als wir uns das beide als Kartoffeldeutsche vorstellen können“, erklärt Böhmermann an anderer Stelle.

Ist Böhmermanns Unfähigkeit oder Unwille zur eindeutigen Position schuld? Einmal versucht Weimer, Böhmermann wenigstens einmal eine klare Haltung zum Eurovision Song Contest zu entlocken. Als ESC-Radiomoderator reagierte Böhmermann auf Erniedrigung der israelischen Kandidatin in Malmö live mit „Fickt euch“. Die Abstimmung der Mitgliedstaaten finde in wenigen Wochen statt; „natürlich soll Israel singen dürfen. Ich nehme an, das ist Ihre Position. Das ist auch meine Position“, sagt Weimer etwa.

Doch Böhmermann sagt: „Ich muss ganz klar widersprechen: Meine Position ist nicht klar, dass ich glaube, dass Israel mitsingen soll. Ich finde, es ist eine schlaue Idee, das Votum abzuwarten“. Weimer bohrt weiter. Was er bekommt: „Ich finde es grundsätzlich gut, wenn alle an einem Gesangswettbewerb teilnehmen“, sagt Böhmermann noch.

Zwischen diesen Sätzen wird viel gelacht im Publikum und auf der Bühne mit Böhmermann und Weimer. Sie finden auch gemeinsames wie Google zerschlagen zu wollen und andere außereuropäische Mediengroßkonzerne. Weimer sagt: „Wir müssen das Kartellrecht aktivieren“, und dass, „wenn wir heute in sieben Jahren sprechen, dass Google in dieser Form nicht mehr existiert“. Weimer sucht auch den Schulterschluss mit Böhmermann gegen den gemeinsamen Feind AfD: „Ich will ja mit Ihnen kämpfen gegen die rechten Brüder!“

Doch wo der Minister versucht, Böhmermann zum andersartigen Teil einer gemeinsamen „Mitte“ zu erklären, schiebt der Moderator Weimer konsequent in den Vorhof des Rechtsextremismus. Ob Weimer, der „Zwangsgebühren“ sagt und das auch noch verteidigt, als Nächstes von „Systemlingen“ anfangen wolle? Und: Er nehme es „schon wahr, dass Ihre Vorstellung von Kultur eher autoritär geprägt ist“, sagt Böhmermann. Er meine etwa, weil Weimer bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Ausstellung zur 250-Jahr-Feier der Vereinigten Staaten von Amerika angeregt hat.

Antisemitismus-Plan gegen „echte Erkenntnis“

Und „autoritär“ findet Böhmermann auch Weimers „Fünf-Punkte-Plan gegen Antisemitismus“, womit er wohl eine Petition mit Weimer als einem von drei Schirmherren meint. Böhmermann lehnt das als „von oben verordnete“ Hemmnis „echter Erkenntnis“ ab.

Was zur These führt: Ist es diese Verbohrtheit, das Brüten in der eigenen Blase, das einen zur Planung eines Konzerts am 7. Oktober führt? Und das auf der zentralen kulturpolitischen Bühne Berlins, ohne jeden Bezug zum Trauma des Massakers, ohne Juden und dafür mit Künstlern, die sich sofort solidarisch erklären mit einem, der „problematische T-Shirts“ trägt.

Am Mittwoch gibt Böhmermann zu verstehen: An den 7. Oktober als Jahrestag des Hamas-Massakers hatte man im Team Böhmermann einfach nicht gedacht. Das „Grundproblem“ war, gibt er zu „dass uns eben diese Dimension des 7.10. in unserer Planung –“, da bricht er ab, setzt neu an: „Das war nicht richtig. Also wir haben einfach mit zu wenig Bewusstsein dafür, was das bedeutet, diesen Abend geplant“. „Leichten Herzens“, sagt er sehr oft, oder: „Leichtherzigkeit bei der Wahl des 7. Oktober“. Freilich sei auch „der 7. Oktober vor einem Jahr noch anders gewesen als jetzt“ – er scheint zu meinen: weil der Fokus sich seitdem sehr auf den Gaza-Streifen verschoben habe, in seiner Welt und der seines Teams zumindest.

Nach knapp zwei Stunden Gespräch fragt jemand aus dem Publikum Weimer und Böhmermann: Was würden Sie heute anders machen? „Wir hätten diese Veranstaltung am 7. Oktober niemals dergestalt planen sollen“ und den Tag einfach „von vorneherein freilassen“. Für „dieses Thema, diesen Tag“, gibt Böhmermann zu verstehen, sei er einfach der Falsche. Weimer sagt, er würde alles genauso machen.

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