Kanada hat die längste Küstenlinie der Welt – und kaum U-Boote, die tauchen können. Die Flotte stammt aus britischen Beständen, ist mehr als 20 Jahre alt und technisch überholt. Zugleich wächst der Druck: Mit dem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens ist die Arktis – mit Ausnahme Russlands – nun ein westlicher Verteidigungsraum. Kanada will sichtbar werden, vor allem unter Wasser.

Bis zu zwölf neue U-Boote will die Regierung in Ottawa anschaffen. Die Entscheidung über den Auftrag soll bis Mitte 2026 fallen, der Vertrag bis 2028 unterschrieben sein. Der Wettbewerb ist auf zwei Anbieter geschrumpft: ein deutsch-norwegisches Konsortium um Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) mit dem Typ 212CD – und der südkoreanische Konzern Hanwha Ocean mit der KSS-III-Klasse. Es ist ein Wettrennen, das längst über technische Details hinausgeht.

„Diese Schlüsseltechnologie wollen wir fördern und sichern in Deutschland – und auch die damit verbundenen Industriearbeitsplätze und das Know-how sichern“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius in Ottawa. Der SPD-Politiker hat sich mit einem Tross aus Industrie- und Militärvertretern auf eine Werbetour begeben. Mit dabei: TKMS-Chef Oliver Burkhard und der norwegische Verteidigungsminister Tore Sandvik. Ihre Agenda in Ottawa: Treffen mit Parlamentsabgeordneten, dem Staatssekretär für Rüstungsbeschaffung Stephen Fuhr, Ressourcenminister Tim Hodgson und Vertretern von Lockheed Martin Canada.

Der Besuch ist Teil einer größeren Charmeoffensive: Berlin und Oslo wollen Kanada überzeugen, dass ihr U-Boot die bessere Wahl ist – made in Germany, armed by Norway. Pistorius formulierte es offensiv: „Sie bauen exzellente U-Boote, wir bauen bessere.“ Es geht um Milliardeninvestitionen, aber auch um die Frage, wie die Nato in der Arktis künftig Präsenz zeigt.

Der U-Boot Typ 212CD („Common Design“) ist das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Norwegen. 2017 wurde die Partnerschaft vertraglich fixiert, seitdem werden die Boote gemeinsam entwickelt – Deutschland baut, Norwegen liefert die Bewaffnung. Der modulare Entwurf gilt als eines der modernsten konventionellen U-Boote der Welt: leise, autonom, arktistauglich.

Das Besondere an der deutsch-norwegischen Kooperation: Beide Länder nutzen identische Plattformen, die Besatzungen sind austauschbar, die Systeme interoperabel. Damit entsteht ein Nato-weit einheitlicher Standard – ein Argument, das in Ottawa verfängt. Denn Kanada sucht nicht nur ein Fahrzeug, sondern Anschluss an eine verlässliche Logistik- und Ausbildungsstruktur.

Hinzu kommt: Das deutsch-norwegische Konsortium bietet industrielle Kooperation an. Ein Teil der Fertigung könnte nach Kanada verlagert werden. Für ein Land, das Wert auf sogenannte Offset-Regeln legt – also auf heimische Investitionen im Gegenzug zu Rüstungsaufträgen –, ist das ein zentrales Verkaufsargument.

„Wir wollen nicht nur Boote verkaufen“

Die kanadische Regierung steht innenpolitisch unter Druck. Die Arbeitslosenquote liegt mit 7,1 Prozent so hoch wie seit 2016 nicht mehr – Pandemiejahre ausgenommen. Hinzu kommen US-Zölle auf wichtige Exportgüter. Premier Mark Carney braucht Projekte, die Jobs schaffen – und die Wirtschaft breiter aufstellen.

Verteidigungsbeschaffung ist in Kanada deshalb immer auch Industriepolitik. Ottawa verlangt, dass Großaufträge direkte Vorteile für das Land bringen. Pistorius’ Delegation verhandelt deshalb nicht nur über U-Boote, sondern über Rohstoffe und Technologiepartnerschaften. Deutschland interessiert sich für kanadisches Lithium, Grafit, Nickel, Kobalt, Kupfer und Seltene Erden – ebenso wie für die fortschrittliche kanadische KI-Industrie.

Im August unterzeichneten Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Energieminister Hodgson eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit in diesen Bereichen. Pistorius kündigte zudem an, dass TKMS möglichst viele Arbeitsplätze in Kanada schaffen wolle: „Die Firma könne hier einzelne Teile bauen oder ab einem bestimmten Zeitpunkt ganze U-Boote fertigen.“ Auch der Aufbau einer eigenen Werft an der Küste ist im Gespräch. Zugleich versprach der Minister Gegengeschäfte: „Wir werden ein exzellentes Gefechtsmanagementsystem aus Kanada für unsere gesamte Marine erwerben“, sagte er dem kandaischen Sender CTV.

Doch die Koreaner werben mit niedrigeren Preisen und kürzeren Lieferzeiten. Die KSS-III-Klasse, von der bereits mehrere Einheiten im Dienst sind, gilt als solide, wenn auch weniger spezialisiert für arktische Einsätze. Dafür verspricht Südkorea, Fertigungsschritte nach Kanada zu verlagern – und zusätzlich die E-Auto-Industrie im Land aufzubauen. Ein Angebot, das bei wirtschaftlich angeschlagenen Regionen auf offene Ohren stößt.

In wenigen Wochen will Ressourcenminister Hodgson nach Asien reisen, um das südkoreanische Angebot zu prüfen. Die Entscheidung zwischen den beiden Konsortien soll bis Juni 2026 fallen. Dann wird klar, ob Kanada den europäischen oder den asiatischen Weg wählt.

Hinter dem Milliardenauftrag steht eine geopolitische Weichenstellung. Mit dem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens ist der gesamte Arktisraum – abgesehen von Russland – nun Teil des Bündnisses. Das Nordmeer wird zum neuen sicherheitspolitischen Schwerpunkt. Deutschland, Norwegen und Kanada haben bereits beim Nato-Gipfel in Washington 2024 eine maritime Sicherheitspartnerschaft gegründet, um gemeinsame Überwachung und Ausbildung zu koordinieren.

Pistorius will diese Kooperation nun mit Leben füllen. „Wir müssen unsere Fähigkeiten im Nordatlantik und in der Arktis sichtbar machen“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium. Die gemeinsame U-Boot-Flotte wäre ein Symbol dieser Strategie – und ein Signal an Moskau, dass der Westen auch unter Wasser präsent ist.

Ob Deutschland und Norwegen den Zuschlag bekommen, ist offen. Doch klar ist schon jetzt: Der Gewinner sichert sich nicht nur einen Milliardenauftrag, sondern eine strategische Bindung über Jahrzehnte. U-Boote werden mindestens 40 Jahre betrieben – inklusive Wartung, Ersatzteilen, Modernisierung.

Für Berlin wäre der Zuschlag ein industriepolitischer Triumph: TKMS könnte seine Marktposition im konventionellen Unterseebootbau festigen, Norwegen seine Waffenproduktion exportieren, und die Bundesregierung ihre Rolle als sicherheitspolitischer Partner Nordamerikas stärken.

Für Kanada steht dagegen die Frage im Raum, welchem Partner man auf See über die nächsten Jahrzehnte vertraut – Europa oder Asien. Pistorius jedenfalls gibt sich kämpferisch. „Wir wollen nicht nur Boote verkaufen“, sagt er. „Wir wollen gemeinsam Sicherheit gestalten.“

Der kanadische U-Boot-Wettbewerb ist mehr als eine Rüstungsentscheidung – er ist ein geopolitischer Lackmustest. Zwischen Arktis, Nordatlantik und Pazifik entscheidet sich, wer Kanadas maritime Zukunft prägt. In Ottawa wirbt Pistorius um Vertrauen – und um einen Platz im innersten Kreis der Unterwasser-Allianz.

Rixa Fürsen ist Head of Podcast „Politico“ Deutschland.

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