Die Ukraine hat Ende August die Ausreiseregeln für Männer zwischen 18 und 22 Jahren gelockert – seitdem haben sich die Schutzgesuche dieser Gruppe in Deutschland verzehnfacht. Die Aufhebung des Ausreiseverbots habe zu einer Zunahme „von etwa 100 Schutzgesuchen pro Woche vor Inkrafttreten der Regelung auf derzeit circa 1000 pro Woche geführt“, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums kürzlich – obwohl in der Ukraine derzeit junge Menschen erst ab dem Alter von 25 Jahren mobilisiert werden.

Auch die Gesamtzahl der Menschen aus der Ukraine, die in Deutschland Schutz suchen, steigt seit diesem Sommer. Im Mai 2025 waren nach Angaben des Bundesinnenministeriums (BMI) noch 7961 Menschen aus der Ukraine über das Registrierungssystem „Free“ verteilt worden, im August waren es 11.277 und im September bereits 18.755. Rund 1,29 Millionen Ukrainer sind damit seit Februar 2022 vor dem Krieg in ihrem Heimatland nach Deutschland geflohen.

Unklar ist laut Innenministerium, wie viele Ukrainer Deutschland im gesamten Zeitraum wieder verlassen haben. Eine BMI-Sprecherin sagte der Funke-Mediengruppe, dass bei den deutschen Behörden Ende September rund 450.000 Menschen aus der Ukraine „nicht mehr als aufhältig“ registriert waren.

Anders als andere Schutzsuchende erhalten Ukrainer eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes, die einen sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen erlaubt. Angesichts des andauernden Kriegs und der erneut wachsenden Ausreisezahlen nimmt nun die Debatte an Fahrt auf, warum ukrainische Flüchtlinge weiterhin Bürgergeld erhalten, anders etwa als Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan.

Union und SPD haben in ihrem Koalitionsvertrag miteinander vereinbart, dass ab dem 1. April dieses Jahres neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine kein Bürgergeld mehr erhalten, sondern in das Asylbewerberleistungsgesetz fallen sollen. Doch ein Gesetzentwurf liegt bislang nicht vor. „Wir wollen das, soweit es auch praktisch umsetzbar ist, auch rückwirkend zum 1. April noch machen. Es ist wichtig, dass wir es schnell machen“, sagte Unions-Fraktionschef Jens Spahn (CDU) in „Bild am Sonntag“.

„Hoher zusätzlicher Verwaltungsaufwand“

Laut Arbeitsministerium befindet sich der Entwurf weiter in der „Ressort-Abstimmung“. Künftig wäre nicht mehr das Jobcenter, sondern die Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Ukrainer zuständig. Ein BA-Sprecher befürchtet laut „Bild am Sonntag“ wegen des neuen Modells und des Wechsels der Zuständigkeit einen „hohen zusätzlichen Verwaltungsaufwand“, weil sich „zukünftig mehrere Institutionen abstimmen“ müssten.

„Wenn junge, wehrfähige Männer ihr Land in dieser Lage verlassen, wirft das auch gegenüber der Ukraine Fragen auf“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Günter Krings, zu WELT. Wenn die Ukraine weiterhin Unterstützung wolle, müsse sie diese Frage lösen. „Umso dringender ist in dieser Situation auch eine Neuausrichtung unserer Sozialpolitik. Das Bürgergeld in seiner jetzigen Form setzt die falschen Anreize. Für diejenigen, die aus der Ukraine zu uns kommen, müssen wieder die allgemeinen finanziellen Sätze des Asylbewerberleistungsgesetzes gelten.“ Ein Sprecher der SPD-Fraktion sagte: „Aktuell gibt es noch Abstimmungsbedarf, wie dieser Rechtskreiswechsel unbürokratisch und aufwandarm umgesetzt werden kann. Dazu laufen aktuell Gespräche.“

Der Sprecher für Arbeit und Soziales der AfD-Fraktion, René Springer sagte: „Diese Regierung redet viel, handelt aber nicht. Der politische Wille fehlt völlig“. Weiter sagte der Abgeordnete der AfD: „Ukrainische Kriegsflüchtlinge dürfen kein Bürgergeld erhalten. Stattdessen sind nur noch Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren – so wie es jedes normale Land tun würde.“

Die Bundestagsfraktionen der Grünen und der Linken äußerten sich am Sonntag nicht auf Anfragen dieser Redaktion. Unter die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine mischen sich auch EU-Bürger, das zeigten jüngst Recherchen der WELT AM SONNTAG. Im laufenden Jahr seien dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) 1136 Fälle von Schutzsuchenden gemeldet worden, bei denen der Verdacht auf eine ungarische Staatsangehörigkeit bestehe, teilte ein Behördensprecher mit. Allein in den vergangenen vier Wochen sind demnach 141 Verdachtsmeldungen aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen eingegangen. Insgesamt haben die Bundesländer dem BAMF seit Mai 2023 9640 Fälle übermittelt.

„Nach bisherigen Rückmeldungen konnten 568 Personen mit einer ungarischen Staatsangehörigkeit identifiziert werden“, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. In 5825 Fällen wurde hingegen laut BAMF eine ausschließlich ukrainische Staatsangehörigkeit festgestellt.

Mehrere Landesministerien vermuten nach Informationen von WELT AM SONNTAG, dass ein Teil der Betroffenen aus dem ukrainisch-ungarischen Grenzgebiet stammt und sowohl einen ungarischen als auch ukrainischen Pass besitzt. Als EU-Bürger können sie sich innerhalb der EU frei bewegen und arbeiten. Sie haben aber keinen Anspruch auf temporären Schutz. Auch das Bürgergeld steht ihnen nicht direkt zu.

Das BAMF übernimmt die Übermittlung von Verdachtsfällen an die zuständigen Behörden in Ungarn und der Ukraine. Diese prüften die Staatsangehörigkeit, teilte das BAMF mit. Sollte eine ungarische Staatsangehörigkeit bestehen, könne keine entsprechende Aufenthaltserlaubnis für Kriegsflüchtlinge erteilt werden. EU-Bürger müssen grundsätzlich das Land verlassen, wenn sie nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können.

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