Seit Anfang September hat das US-Militär mindestens acht Boote in der Karibik und eines im Pazifik vor der kolumbianischen Küste angegriffen. Der Grund: Angeblich waren die Boote mit Drogen beladen. Beim Raketenbeschuss aus der Luft und vom Wasser aus sollen 37 Menschen getötet worden sein. Ein Überlebender der Angriffe auf eines der mutmaßlichen Drogenboote wurde mittlerweile von den USA nach Ecuador abgeschoben. Die dortige Justiz fand keine Belege dafür, dass der Mann tatsächlich ein Drogenschmuggler war.

Donald Trump gibt sich unbeeindruckt und hält die Zugriffe für legitim. „Man braucht sich nicht schlecht zu fühlen, mit diesen Angriffen 25.000 amerikanische Menschenleben zu retten. 300.000 Drogentote geben einem die klare juristische Autorität“, erklärte der US-Präsident diese Woche im Oval Office.

Trump ging sogar noch weiter. Dank der Attacken zur See gehe die Zahl der Drogenboote, die Richtung USA unterwegs seien, bereits gegen null. Weshalb „wir jetzt auch Ziele an Land angreifen werden“. Sein Militär werde die Drogengangs „sehr hart treffen, so was haben die bisher noch nicht erlebt“, wie die klare Drohung des US-Präsidenten Richtung Südamerika lautete.

Schon bei seinem Amtsantritt im Januar hatte Trump ein hartes Vorgehen gegen Drogenkartelle und transnational organisierte Kriminalität angekündigt. Am Abend seiner Inauguration designierte er Drogenkartelle per Dekret als „ausländische Terroristen“ und die Bedrohung durch die Kartelle als „nationale Notlage“. Damit etablierte Trump aus Sicht der Administration das Recht auf exterritoriale Zugriffe.

Die eskalierende US-Gewalt hat noch ein weiteres Ziel. Sie soll das Regime von Nicolas Maduro in Venezuela weiter destabilisieren, genau wie die Macht des kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro, den Trump am Donnerstag als „Gangster und üblen Kerl“ bezeichnete.

Experten sprechen von einer „zweigleisigen Trump-Doktrin für Lateinamerika“. Der Fokus liege primär auf Sicherheit und Migration und natürlich auf dem Kampf gegen das Drogengeschäft, wie Jason Marczak vom Lateinamerika-Zentrum des Atlantic Council gegenüber WELT erklärte. „Gleichzeitig geht es um Autokraten wie Maduro, die die Sicherheit in der gesamten westlichen Hemisphäre bedrohen. Und um den Einfluss Chinas in der Region.“

Doch nicht nur auf hoher See lässt die Trump-Administration Jagd auf vermeintliche Drogenboote machen. Womöglich hat sie auch der CIA und dem Militär grünes Licht für Operationen an Land erteilt. So klingeln im venezolanischen Präsidentenpalast die Alarmglocken. Bereits im September hatte Machthaber Maduro 15.000 Soldaten in Alarmbereitschaft versetzt.

In mehreren Bundesstaaten kündigten die venezolanischen Streitkräfte (FANB) mittlerweile den Beginn von Übungen zur Verteidigung der Küsten vor der „Bedrohung“ durch die Vereinigten Staaten an. Maduro bereitet sich offensichtlich auf eine US-Invasion vor. Der Staatschef brachte öffentlich das Arsenal tausender russischer Boden-Luft-Raketen ins Spiel. Der Venezolaner warnte Trump: Das Land verfüge über „nicht weniger als 5000“ russische Kurzstreckenraketen vom Typ Igla-S.

Ein militärischer Angriff gilt als unwahrscheinlich

Die Warnungen beeindruckten den Republikaner nicht. Am Donnerstag forderte er seinen Verteidigungsminister Pete Hegseth vor laufender Kamera auf, die Landangriffe vorzubereiten. Und das ohne große Rücksicht auf den US-Kongress. „Pete, geh zum Kongress und erzähl ihnen davon. Was werden sie tun? Sagen sie etwa: ‚Ohje, wir wollen doch nicht verhindern, dass Drogen ins Land kommen?‘“

Anfang Oktober hatten die republikanischen Senatoren im Kongress mit knapper Mehrheit ein Gesetz der Demokraten abgelehnt, dass Trump bei seinem Vorgehen in Lateinamerika zügeln sollte. Mit 48 zu 51 Stimmen scheiterten sie bei dem Versuch, den Präsidenten zu zwingen, vor weiteren Angriffen die Erlaubnis der Senatoren einzuholen.

Dass Trump tatsächlich einen umfassenden militärischen Angriff auf Venezuela plant, hält man in Washington für unwahrscheinlich. „Er ist nicht daran interessiert, die Vereinigten Staaten in neue Kriege zu verwickeln. Aber er hat bereits seine Bereitschaft bewiesen, begrenzte Militärschläge durchzuführen, um strategische Ziele zu erreichen“, sagt Lateinamerika-Experte Marczak mit Verweis auf die B2-Bomberangriffe auf Irans Nuklearanlagen vergangenen Juni.

Wie ernst es Trump mit seiner Lateinamerika-Doktrin meint, illustriert die seit dem Sommer deutlich zunehmende Aufrüstung in der Karibik auf mittlerweile 10.000 Soldaten. Nach Recherchen der „New York Times“ befindet sich die Hälfte der US-Streitkräfte an Bord von acht Kriegsschiffen, darunter etwa 2200 Marines, die mit Kampfjets ausgerüstet sind. Die andere, etwas größere Hälfte der Streitkräfte befindet sich größtenteils in ehemaligen US-Stützpunkten in Puerto Rico. Unter anderem wurden dort F-35-Kampfjets stationiert.

Das linke Lager Lateinamerikas reagierte auf das Vorgehen der USA mit scharfer Kritik. Brasiliens Präsident Lula da Silva warnte vor einer „Intervention von außen“. Linke Organisationen in Brasilien wollen „Unterstützungsbrigaden“ nach Venezuela entsenden.

Eindeutig hinter die USA stellt sich hingegen die Premierministerin des Inselstaates Trinidad und Tobago, Kamla Persad-Bissessar: „Ich habe kein Mitleid mit den Schmugglern. Die US-Armee sollte sie alle gewaltsam eliminieren.“

Stefanie Bolzen, WELT-Korrespondentin in Washington D.C., berichtet seit 2023 aus den USA, nachdem sie zuvor aus London und Brüssel berichtet hatte. Tobias Käufer begleitet für WELT seit 2009 die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Lateinamerika.

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