In Zwentendorf, einer Gemeinde an der Donau in Niederösterreich unweit von Wien, steht das einzige Atomkraftwerk des Landes. Fertig gebaut 1978, durfte es nach einer Volksabstimmung nie in Betrieb gehen, doch 47 Jahre später steht es noch immer und wird für Schulungen, Führungen und als Standort für Solarenergie genutzt. Anders in Deutschland, hier wird hektisch gesprengt.

In Gundremmingen, einer Gemeinde an der Donau in Bayerisch-Schwaben, steht ein Atomkraftwerk, das seit 1966 in Blöcken unterschiedlicher Generationen verlässlich Energie lieferte und laut TÜV-Gutachten noch lange hätte in Betrieb bleiben können. Deutschland, geplagt von Unternehmensabwanderungen wegen hoher Energiepreise, könnte ein größeres Stromangebot gebrauchen. Doch wie alle anderen Atomkraftwerke hierzulande wird Gundremmingen abgerissen.

Am Samstag, 12 Uhr mittags, sollen die Kühltürme fallen. Zwei 160-Meter-Monumente mit Sprengungen zu Boden gebracht – rund 56.000 Tonnen Stahlbeton, binnen Sekunden zu Schotter gemacht. Es ist der sichtbarste Akt eines politischen Projekts: des deutschen Atomausstiegs.

Der Vergleich mit den Buddha-Statuen von Bamiyan drängt sich auf, nicht wegen Religion, sondern wegen der Symbolik: Im März 2001 zerstörten die Taliban ein über Jahrhunderte gepflegtes Kulturerbe – sie setzten ein Zeichen, das die eigene Weltanschauung gegen Geschichte und Kompetenz setzte.

Auch in Gundremmingen zerstört man nicht nur Bauteile, sondern ein materielles Zeugnis einer Hochkultur der Ingenieurskunst, die Deutschland definierte: Planung, Präzision, Effizienz, Langlebigkeit, kontinuierliche Verbesserung. In beiden Fällen markiert die Zerstörung den willentlichen Abbruch kultureller Kontinuität – dort der Kunst, hier der Technik. Das ist kein Gleichsetzen der Motive, wohl aber eine Parallele im Gestus der Vernichtung: Wo etwas steht, das die eigene Erzählung stört, wird es entfernt.

Die neue Erzählung lautet: Wind und Sonne liefern Strom – „weiche, erneuerbare Energien, im Einklang mit der Natur“, wie es der Umweltaktivist Amory Lovins formulierte, der 2016 als Vordenker der deutschen Energiewende mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. „Wenn Sie mich fragen“, hatte Lovins in den 1970er-Jahren geunkt, „wäre es fast katastrophal für uns, eine Quelle sauberer, billiger und reichlich vorhandener Energie zu entdecken, wegen dem, was wir damit machen würden“.

Degrowth, getarnt als Naturschutz

Kernkraft – sauber, auf lange Sicht billig, reichlich vorhanden und sicher – kann auf der Fläche einer Farm Metropolen erleuchten lassen. Wegen ihrer Effizienz und Verlässlichkeit war sie die Lieblingsenergie der Kommunisten: „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“, lautete Lenins Maxime, dessen Kommunistische Partei später wie dann auch die Sozialdemokraten so viele AKW bauen wollte wie möglich.

Doch in den Siebzigerjahren kaperte die grüne Umweltbewegung die politische Linke. Ihr ging es wie Lovins um die Beschränkung von Energie und darum, der prosperierenden Marktwirtschaft Sand ins Getriebe zu streuen, verbrämt als Naturschutz. Die neue Linke verschreckte Marxisten, denn sie wollte nicht mehr die Fabriken kontrollieren, sie wollten keine Fabriken mehr. Statt „Power to the People“ skandierten die Demonstranten 1970 auf dem ersten „Earth Day“, einer Art Gründungstag der Umweltbewegung: „People pollute“ („Menschen verschmutzen“).

Die neue Bewegung erhielt Unterstützung vor allem von Intellektuellen, Journalisten, Lehrern und Künstlern, die sich in den Siebzigern im Statuskampf in der Defensive fanden gegen die Gewinner des Wirtschaftswunders. Was Prosperität versprach, wurde bekämpft – ob Technologie, Infrastruktur, Landwirtschaft, sogar moderne Medizin. Eine Umweltagenda bot wirkungsvolle Hebel, menschliches Verhalten zu limitieren.

Die Wende der Linken manifestierte sich in der Energiepolitik. Erfolgreich lobbyierte sie aus „Umweltgründen“ gegen die Finanzierung von Wasserkraftwerken in Afrika und verhinderte damit trotz Protesten von Einheimischen die Elektrifizierung armer Regionen. Ihr größter Feind aber war die Kernkraft.

Fast überall in westlichen Staaten gründete sich eine linke Anti-AKW-Bewegung, aber nirgendwo wurde sie so mächtig wie in Deutschland, das neben seiner Ingenieur-Tradition ein breites Milieu beheimatet, das Technologiefeindlichkeit und Esoterik pflegt in der Tradition von Romantik und Naturkult. Eine breite Bewegung wuchs, gut vernetzt in Medien und Politik, die sich anschickte, die erfolgreiche deutsche Fortschrittskultur in die Knie zu zwingen.

1980 riefen Atomkraftgegner die Partei Die Grünen ins Leben, die 1983 mit dem Slogan „Atomkraft, nein danke“ erstmals in den Bundestag einzog. Die Katastrophe des veralteten AKW in Tschernobyl 1986, die in Deutschland im Gegensatz zum Ausland medial nahezu einstimmig zum Fanal gegen Kernkraft erhoben wurde, sorgte dafür, dass hierzulande kaum noch jemand es wagte, AKW zu fordern.

In den Bundesländern prosperierte, wiederum von wohlgesonnenen Medien begleitet, ein karriereförderndes Energiewende-Milieu: eine eng verflochtene Sphäre aus Ministerien, Landesressorts, NGOs, Stiftungen und Thinktanks, die personell rotierten, inhaltlich kohärent argumentierten und prägend wirkten.

Mit der rot-grünen Regierung 1998 kam die Bewegung überregional an die Macht und beschloss 2002 das Kernkraft-Aus, das unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der Tsunami-Katastrophe von Fukushima 2011 beschleunigt und mit der Abschaltung der letzten AKW während einer Energiekrise durch Robert Habeck (Grüne) im April 2023 besiegelt wurde. Da indes hatte sich die Stimmung in der Bevölkerung längst gedreht: Die AKW hätten technisch weiterlaufen können, und Umfragen bescheinigten, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen dafür votierte.

Sprengung von Gundremmingen, Symbol für den Sieg einer Bewegung

Das Festhalten am Ausstieg aus einer klimafreundlichen Stromquelle während einer Energiekrise verdeutlichte die Bedeutung der Atomkraft-Feindschaft für die Grünen: Sie bildet ihren Kitt, verbindet Postwachstumsbewegung und Fortschrittsskeptiker. Die Sprengung der Kühltürme des AKW Gundremmingen symbolisiert den Sieg ihrer Bewegung – aber auch ihre Ungeduld: Im Wissen, dass sich mittlerweile eine Mehrheit im Land für Kernkraft ausspricht, scheint Eile geboten bei der Zerstörung der ergiebigen Stromquellen; sämtliche AKW sollen schnellstmöglich vernichtet werden.

Der Atomausstieg verdeutlicht, dass die Bewegung nicht von der Sorge um die Umwelt getragen wird, sondern eine politische Agenda verfolgt: Für Windkraftanlagen und Solarpaneele müssen nun riesige Naturareale industrialisiert werden, massenhaft knappe Ressourcen werden benötigt, die mittlerweile vor allem aus China geliefert und dort unter hohem Einsatz fossiler Energie gefertigt werden, teils unter menschenrechtswidrigen Bedingungen. Und statt klimaneutraler Kernspaltung setzt die deutsche Energiewende auf klimaschädliches Erdgas und auf Kohle.

Mit der Sprengung endet ein Kapitel deutscher Industriegeschichte. Doch der Preis für den Atomausstieg ist hoch: Wäre Deutschland bei Kernenergie geblieben, statt auf Wind und Sonne zu setzen, hätte es bereits 600 Milliarden Euro gespart und würde mehr CO₂-freien Strom produzieren; sogar eine komplett CO₂-freie Stromversorgung wäre möglich gewesen, zeigt eine aktuelle Studie. Hinzu kommt: Das Schwächeln deutscher Unternehmen – als wichtige Ursache gelten hohe Strompreise – hätte gemildert werden können.

Jene Generation, die mit fossiler und nuklearer Energie und durch den karrierefördernden Kampf gegen Prosperität zu Wohlstand kam, hat ihren Nachkommen den verlässlichen Atom-Strom abgedreht und mit immensen Schulden ein Energiesystem aufgebaut, das weniger klimafreundlich aber viel teurer und weniger verlässlich ist. Die Sprengung des AKW Gundremmingen wirkt wie ein Wink an die Nachkommen: Die grüne Wohlstandsgeneration zieht die Erfolgsleiter hinter sich hoch.

Dabei belässt sie es nicht beim AKW-Abbau. Auch die Teststrecke der Magnetschwebebahn Transrapid – eine deutsche Erfindung, die stattdessen in China zum Einsatz kommt – soll in Kürze für Dutzende Millionen Euro abgerissen werden. Das vor 25 Jahren baureife und klimafreundliche Projekt zwischen Hamburg und Berlin wurde damals ebenfalls von der rot-grünen Regierung gestoppt. Die Grünen wetterten gegen die moderne Bahn: „Ein Gefährt, das noch schneller ist als der Transrapid und keinen Fahrweg braucht, existiert bereits“, rief einer ihrer Abgeordneten im Februar 2000 bei seiner Rede im Bundestag: „Es ist das Flugzeug.“

Axel Bojanowski ist Chefreporter Wissenschaft bei WELT. In seinem Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten“ erzählt er in 53 Geschichten vom Klimawandel zwischen Lobbygruppen und Wissenschaft.

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