MDR AKTUELL: Würden Sie die 75 Jahre des Verfassungsschutzes als Erfolgsgeschichte überschreiben?
Stephan Kramer: Es ist auf jeden Fall eine wechselhafte Geschichte, die sowohl Erfolge als auch große Skandale und Misserfolge umfasst – man denke etwa an den NSU. Leider wird über die Erfolge des Verfassungsschutzes selten gesprochen. Das versuchen wir in den letzten Jahren zu ändern, indem wir deutlich transparenter geworden sind. Trotz der wechselhaften Geschichte ist der Verfassungsschutz in den vergangenen zehn Jahren ein anderer geworden und ich denke, man kann durchaus sagen: Das ist ein Erfolg für die Demokratie.
Der Verfassungsschutz erfährt selten Anerkennung durch Politik und Gesellschaft. Liegt das an der Kommunikation?
Ich möchte da kein "Mimimi" machen – es geht nicht um Aufmerksamkeit oder Streicheleinheiten. Der Verfassungsschutz erfüllt, wie auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, seit seinem Bestehen eine zentrale Aufgabe in der wehrhaften Demokratie.
Es wäre wünschenswert, wenn die vielen Männer und Frauen, die meist im Hintergrund und ohne große Öffentlichkeit arbeiten, mehr Anerkennung erfahren würden. Sie erkennen Gefahren frühzeitig und ermöglichen es, ihnen entgegenzutreten. Diese Wertschätzung ist wichtig, nicht aus Eitelkeit, sondern weil die Institution gerade in Zeiten hybrider Bedrohungen – mit Gefahren von innen wie außen – einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Demokratie leistet.
Es gibt immer wieder den Vorwurf, der Verfassungsschutz agiere zu politisch – etwa aus AfD-Reihen oder auch von links. Wie schätzen Sie das ein?
Diese Vorwürfe sind falsch und kommen meist von Personen oder Gruppierungen, auf die der Verfassungsschutz laut Gesetz ein Auge hat – also von Linksextremisten oder Rechtsextremisten. Es ist selbstverständlich, dass solche Gruppen reagieren, wenn sie ins Blickfeld des Verfassungsschutzes geraten und wir klare Positionen oder Warnungen aussprechen. Aber der Verfassungsschutz ist weder ein politisches Organ noch eine Meinungspolizei. Wir arbeiten streng auf gesetzlicher Grundlage. Wenn jemand aufgrund unserer Erkenntnisse auffällt, beziehen wir klare, rechtlich belegbare Positionen. Das ist unsere Aufgabe.
Was sind die Aufgaben der Zukunft für den Verfassungsschutz?
Die Arbeit ruht natürlich nicht, nur weil gefeiert wird – aber wir nehmen uns auch Zeit zum Reflektieren, im Positiven wie im Negativen. Die Bedrohungen sind vielfältig: sogenannte hybride Bedrohungen, also Situationen zwischen Krieg und Frieden – Sabotage, Spionage, Zersetzung, Desinformation. All das fällt in unseren gesetzlichen Auftrag, und wir geben entsprechende Erkenntnisse an Strafverfolgungsbehörden oder die Politik weiter.
Zugleich nehmen auch die inneren Gefahren zu: Extremismus in allen Bereichen, nicht nur gewalttätig, sondern auch legalistisch. Die Polarisierung an den Rändern wächst, ebenso die Gewaltbereitschaft – das beschäftigt uns rund um die Uhr.
Das Interview führte Susann Böttcher.
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