Nach der Bekanntgabe der Gründung eines parteiinternen Netzwerks namens „Compass Mitte“ hat das CDU-Bundesvorstandsmitglied Monica Wüllner ihre Beteiligung mit einer zu geringen Rolle des Christlich-Sozialen in ihrer Partei begründet. „Das kommt mir in letzter Zeit viel zu kurz – und auch anderen, für die das C in unserem Namen entscheidend ist“, sagte sie dem „Tagesspiegel“: „Wir waren lange Zeit relativ ruhig, jetzt hatten wir das Gefühl: Es reicht, wir müssen etwas sagen.“
Die CDU habe „sich in eine populistische Ecke begeben, mit Ankündigungen und pauschalisierenden Aussagen, die meinem christlichen Menschenbild widersprechen“. Statt nach pragmatischen Lösungen zu suchen, rede man nun „viel über Dinge, die an der Lebensrealität vieler Menschen einfach vorbeigehen“.
Nicht nur in der „Stadtbild“-Debatte, die Bundeskanzler und CDU-Parteichef mit seinen Äußerungen losgetreten hatte, kommt es nach Ansicht Wüllners auf die Art und Weise der Diskussion an. „Unsere Kritik richtet sich deshalb auch nicht speziell gegen Merz“, sagte die stellvertretende Bundesvorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA: „Wir mögen nicht den Tonfall, das Wording, die Haltung, die sich bei vielen in der CDU breitgemacht hat.“ So solle man beispielsweise „nicht versprechen, dass alles gut wird in diesem Land, wenn wir nur die Migration eindämmen. Jeder von uns weiß, dass die Probleme tiefer gehen“.
Zunehmende Nervosität wegen schlechter Zustimmungswerte
In der am Mittwoch veröffentlichten Gründungserklärung der Plattform „Compass Mitte“ fordern die Unterzeichner eine „Kurskorrektur“. Sie bemängeln, dass sich unter Merz‘ Vorsitz das Spektrum der Partei verengt habe und der soziale und liberale Flügel zu wenig zur Geltung komme.
Zu den Unterzeichnern der Gründungserklärung zählt auch der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz. „Es gibt in der Partei zunehmende Nervosität, weil es mit unseren Zustimmungswerten nicht aufwärts geht“, sagte Polenz der „Zeit“, die zuerst über den Aufruf berichtet hatte. Deswegen müsse stärker über den Kurs der Partei debattiert werden, und dazu wolle die Plattform innerhalb der CDU einen Beitrag leisten, sagte Polenz. „Die CDU droht ihren Wertekompass zu verlieren, wenn sie sich nur noch als rein konservative Partei versteht.“
Hinter der Initiative „Compass Mitte“ stehen Vertreter liberaler und sozialer Parteiströmungen. Auf der Liste der gut 30 Erstunterzeichner fänden sich vor allem Kommunalpolitiker und Vertreter des Arbeitnehmerflügels der CDU wie dessen Vizechefin Monica Wüllner. Weiterer Unterzeichner ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter.
Die Gruppe stellte sich in einer am Mittwoch freigeschalteten Seite im Internet der Öffentlichkeit vor. Ex-Generalsekretär Polenz rief CDU-Mitglieder im Kurzbotschaftendienst X dazu auf, den Appell zu unterschreiben und die Gruppe zu unterstützen. „Compass Mitte“ sei eine „Plattform für eine CDU, der das C Orientierung gibt, die ihren liberalen und sozialen Teil wieder sichtbar macht, für Empathie und Inklusion steht und keinerlei politische Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD duldet“, schrieb Polenz.
In dem Aufruf wird bemängelt, dass die Partei unter Merz' Vorsitz ihre politische Bandbreite eingebüßt habe – und deshalb an Zustimmung verliere. „Die 28,6 Prozent bei der letzten Bundestagswahl dürfen uns nicht zufriedenstellen“, heißt es in dem Aufruf. „Es bedarf einer Kurskorrektur, damit die CDU mit 40 Prozent wieder die Ergebnisse einer Volkspartei erreicht. Deshalb muss der soziale und liberale Teil der Union sichtbarer werden, um mehr Menschen anzusprechen.“
Die Unterzeichner fordern dabei eine ganz klare Abgrenzung zur AfD. „Die CDU ist in dem Wissen gegründet worden, dass Faschismus immer nur mit Hilfe von Konservativen an die Macht gekommen ist“, heißt es. „Es darf deshalb keinerlei politische Zusammenarbeit der CDU mit der rechtsextremistischen AfD geben.“ Der Unvereinbarkeitsbeschluss müsse „für alle politischen Ebenen“ gelten, und: „Die CDU darf deshalb auch keine Anträge stellen, die nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen können.“
Gruppe fordert AfD-Verbotsverfahren
Damit grenzen sich die Unterzeichner auch von einem Manöver der Unionsfraktion im Bundestag vom Januar ab: Unter dem damaligen Fraktionschef Merz hatten CDU/CSU einen Antrag zur Begrenzung der Migration eingebracht, der nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit erhielt. Gegen Merz war damals der Vorwurf des Tabubruchs erhoben worden.
Der Aufruf von „Compass Mitte“ spricht sich zudem für ein Verbotsverfahren gegen die AfD aus: „Wir setzen uns dafür ein, dass Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat einen Antrag auf Prüfung der Verfassungswidrigkeit und gegebenenfalls Verbot der AfD durch das Bundesverfassungsgericht stellen.“
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