Die FDP-nahe Thomas-Dehler-Stiftung hat einem bayerischen Imam einen Preis verliehen – und damit offenen Widerspruch unter Liberalen und Juden ausgelöst. Im Fokus der Kritik steht der Preisträger Benjamin Idriz, Gründer und Imam der Islamischen Gemeinde Penzberg in Oberbayern. Er hatte sich in der Vergangenheit antiisraelisch geäußert und war wegen Kontakten zu Islamisten aufgefallen.
Idriz stammt aus Mazedonien und gründete 1994 die Islamische Gemeinde Penzberg in einer Kleinstadt in Oberbayern. „Sie ist eine multinationale Gemeinschaft von Muslimen und sieht ihre Aufgabe darin, muslimisches Dasein im Einklang mit dem Hier und Heute zu leben“, heißt es auf der Homepage. Das ist die Haltung, für die die Thomas-Dehler-Stiftung am Mittwochabend in München den Imam auszeichnete. Es ist aber nur eine Seite von Idriz‘ Wirken.
Die Islamische Gemeinde Penzberg, rechtlich ein Verein, wurde in den Jahren 2007 bis 2010 im Verfassungsschutzbericht des Landes Bayern erwähnt. Der Verein klagte gegen die Nennung, unterlag aber vor Gericht. „Der Verein bezeichnet sich selbst als multiethnisch und von Dachverbänden unabhängig, nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bestanden Beziehungen zu Organisationen des islamistischen Extremismus“, heißt es im Bericht aus 2010.
Idriz soll nach damaligen Erkenntnissen des Verfassungsschutzes Kontakte zur türkisch geprägten Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland, einem Ableger der Muslimbruderschaft, gepflegt haben. Bis 2005 war Idriz Mitglied der IGMG. Der Verfassungsschutz verweist in seinem Bericht von 2010 auch auf richterlich angeordnete Telefonüberwachungsmaßnahmen, die Kontakte aus der Zeit von 2007 bis 2009 dokumentieren. Zudem wurde der Moscheebau in Penzberg mit Geld aus den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt.
Leutheusser-Schnarrenberger hielt Laudatio auf Idriz
In den vergangenen Jahren wandelte sich die Gemeinde. Idriz wurde ein Vorzeige-Imam, engagierte sich in verschiedenen Formaten für interreligiösen Dialog und hält gute Kontakte zum ehemaligen Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). 2019 besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Moschee, 2024 widmete Idriz ein Freitagsgebet dem 75. Jahrestag des Grundgesetzes.
Die ehemalige FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lobte am Mittwochabend in ihrer Laudatio, Idriz und seine Gemeinde zeigten, dass Muslime in Deutschland „die Werte und Traditionen, die Kultur und selbstverständlich die Gesetze und Rechtsordnung achten“ müssten. Gerade als Freundin Israels halte sie es für ihre Aufgabe, „solche Muslime zu unterstützen gegen falsche Unterstellungen“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger, die auch Vize-Präsidentin der Stiftung ist.
Was die Ex-Ministerin mit „falschen Unterstellungen“ meint, ist auf Facebook und in Zeitungsartikeln dokumentiert. Am Tag nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 in Israel schrieb Idriz auf Facebook: „Es ist nicht islamisch, Menschen in ihren Häusern zu überfallen, zu töten oder zu verschleppen.“ Von jüdischer Seite wurde kritisiert, dass er den Terror damit nicht entschlossen verurteile. Wenige Tage später sprach er laut „Süddeutscher Zeitung“ im Freitagsgebet von einem Land, „das die einen Palästina und die andern Israel nennen“. Ein Absprechen des Existenzrechts Israels, die Idriz gegenüber der Zeitung als „absurd“ zurückwies.
Eine Einladung zu einer Rede auf einer Gedenkveranstaltung in München zum ersten Jahrestag des Massakers sagte Idriz ab. Er begründete seine Absage damit, dass ihm der Aufruf zu einem sofortigen Stopp der „Gewaltspirale“ und der Forderung nach einer „gerechten Lösung“ im Nahost-Konflikt fehle. Und in einem Facebook-Beitrag am 6. Oktober dieses Jahres forderte der Imam, dass sich Juden in Deutschland öffentlich vom Handeln der israelischen Regierung in Gaza distanzieren sollten – so wie Muslime es vom „Islamischen Staat“ (IS) getan hätten.
Peyman Engel: „Hat mit Werten wie Toleranz so gar nichts am Hut“
Der Thomas-Dehler-Stiftung schlug aufgrund dieser Äußerungen deutliche Kritik an der Auswahl des Preisträgers entgegen. Der Wirtschaftswissenschaftler Guy Katz, Organisator der Gedenkveranstaltung, und Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, riefen die Stiftung dazu auf, ihre Entscheidung zu revidieren. Die Briefe liegen WELT vor.
„Dass eine Stiftung, die den Namen Thomas Dehlers, eines mutigen Liberalen und Freundes jüdischen Lebens, trägt, eine solche Person ehrt, ist für viele von uns unbegreiflich“, schrieb Katz an den Stiftungspräsidenten Thomas Hacker. „Anstatt den barbarischen Angriff der Hamas und den darauf folgenden Anstieg des Antisemitismus in Deutschland klar zu verurteilen, verschob er die Diskussion auf die Relativierung des Leids – auf eine Gleichsetzung, die jede klare Haltung verwischt.“
„Wenn eine Person wie Benjamin Idriz in den engeren Kreis der Kandidaten aufrücken kann, dann ist das ein bedenkliches Zeichen für die innere Dynamik des Thomas-Dehler-Preises“, schrieb Knobloch an Hacker. „Herr Idriz hat öffentlich immer wieder eine Geisteshaltung offenbart, die den Werten von Thomas Dehler zuwiderläuft.“ Sie forderte Hacker auf, die Preisvergabe zu überdenken.
„Imam Benjamin Idriz hat mit Werten wie Toleranz, Offenheit, Demokratie und Dialog mit anderen Konfessionen so gar nichts am Hut“, sagte Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“, gegenüber WELT TV. Er hätte es begrüßt, wenn die Stiftung einer muslimischen Stimme den Preis verliehen hätte. „Aber diesen ausgerechnet dem Imam Benjamin Idriz zu geben, das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht für die jüdische Gemeinschaft und mit ihr auch für jeden Demokraten in Deutschland.“
FDP-Chef Dürr distanziert sich von Stiftung
In der FDP stieß die Entscheidung der parteinahen Stiftung auf Unverständnis, mitunter sogar Ablehnung. „Die FDP wird immer an der Seite Israels und aller Jüdinnen und Juden in Deutschland stehen“, schrieb Parteichef Christian Dürr auf X. „Viele der Äußerungen von Imam Idriz halte ich deshalb für falsch. Die Thomas-Dehler-Stiftung ist naturgemäß unabhängig. An ihrer Stelle hätte ich jedoch anders entschieden.“
Michael Ruoff, Landesvorsitzender der FDP Bayern, ging einen Schritt weiter und distanzierte sich von der Preisvergabe. Es gebe „erhebliche Zweifel“ an den Maßstäben des Preisträgers, „die dieser bei der Bewertung und teilweise Gleichsetzung des Holocausts und des Konflikts mit der Hamas in Gaza anlegt“, schrieb Ruoff auf X.
„Ein Preis ist stets eine Würdigung des Gesamtwerks einer Person und kann nicht losgelöst von deren fragwürdigen Äußerungen betrachtet werden“, sagte die FDP-Europaabgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem „Spiegel“. „Gerade mit Blick auf die aktuelle schwierige Lage im Nahen Osten halte ich die Verleihung für ein falsches Signal.“
Auch aus dem linken Lager wurde die Thomas-Dehler-Stiftung kritisiert. „Wer Israel mit dem Islamischen Staat auf eine Stufe stelle, Auschwitz durch unpassende Vergleiche verharmlost und Täter-Opfer-Umkehr betreibt, sollte keinen Preis für Toleranz und Rechtsstaatlichkeit erhalten“, so eine Sprecherin vom Linken Bündnis gegen Antisemitismus (LBGA) München.
Idriz wies die Vorwürfe am Mittwoch in der „Süddeutschen Zeitung“ zurück. „Wenn ich Kritik geübt habe, dann richtet sie sich ausdrücklich nicht gegen den Staat Israel oder gegen jüdische Menschen, sondern gegen die Kriegsführung der derzeitigen israelischen Regierung, die in Teilen von rechtsextremen Kräften geprägt ist“, sagte der 53-Jährige.
Thomas-Dehler-Stiftung verteidigt Preisvergabe
Stiftungspräsident Hacker verteidigte die Entscheidung für Idriz am Mittwoch im Gespräch mit WELT TV. „Wir kennen Benjamin Idriz seit vielen Jahren und wir schätzen ihn als Brückenbauer.“ Er mahnte an, sich intensiv mit Idriz und seiner Arbeit auseinanderzusetzen, etwa mit seinen Schriften zur Gleichberechtigung der Frauen im Islam. „Sein Buch zum Umgang mit Frauen, zur Rolle der Frauen im Koran zeigt, dass die Gleichberechtigung im Koran angelegt ist“, sagte Hacker. Für diese Haltung nehme Idriz auch Kritik aus seiner Gemeinde in Kauf.
Idriz werde ausgezeichnet, „Brücken über Religionen hinweg zu bauen“, sagte Hacker und verwies auf die Zusammenarbeit des Imams mit katholischen und protestantischen Gemeinden. „Aber es wird natürlich auch Kritik an ihm geben, an überzogenen Äußerungen, kritischen Äußerungen gegenüber der israelischen Regierung, die wir nicht teilen. Die liberale Familie, Partei und Stiftungen stehen eng an der Seite Israels. Daran kann es keinen Zweifel geben“, sagte Hacker.
Der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Hacker ist seit 2013 Präsident der Thomas-Dehler-Stiftung. Sie erinnert an den liberalen Politiker Thomas Dehler (1897 – 1967), unter Konrad Adenauer bis 1953 erster Justizminister der jungen Bundesrepublik und von 1954 bis 1957 FDP-Chef. Dehler verteidigte in der NS-Zeit als Anwalt Juden und blieb trotz Repressionen an der Seite seiner jüdischen Ehefrau.
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