Gewalttätigere Eltern, gestiegene psychische Belastungen, weniger Selbstkontrolle und weniger Angst vor Strafen: Das sind nach Angaben von Forschern Ursachen dafür, dass unter Kindern und Jugendlichen die Bereitschaft zu Gewalt deutlich ist.
Wissenschaftler der Uni Köln hatten die offiziellen Zahlen der Kriminalitätsstatistik durch eine sogenannte Dunkelfeldstudie ergänzt, für die 3800 Schüler der siebten bis neunten Klasse an 27 Schulen in drei NRW-Städten befragt wurden. Dabei konnten die Forscher auf Zahlen einer Studie aus dem Jahr 2015 zurückgreifen.
Die komplette Studie finden Sie hier.
Demnach hat die Zahl der Gewaltdelikte bei Neuntklässlern in dieser Zeit um fast 22 Prozent zugenommen, bei den Siebtklässlern lag der Anstieg sogar bei 114 Prozent.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) forderte bei der Vorstellung der Studie härtere Sanktionen: „Viele Jungen und Mädchen verhalten sich heute nach dem Motto ‚Ich mache, was ich will‘.“ Diese Haltung verstärke und verfestige sich, wenn junge Menschen zum Beispiel in der Schule so gut wie keine Sanktionen mehr erführen. Hinzu komme, dass viele Kinder und Jugendliche „weniger stark an Normen gebunden“ seien als früher.
„Wer sich bewaffnet, ist auch bereit zu töten“, sagt der Arche-Sprecher
Der Sprecher des Hilfswerks Arche, Wolfgang Büscher, sprach sich bei WELT TV für härtere Regeln aus. „Es kann nicht sein, dass junge Menschen 20, 30 Mal auffällig werden und nichts passiert“, sagte er. Er finde es „sehr schade, dass die großen Parteien sich nicht an einen Tisch setzen und sich fragen: Wie lösen wir die Probleme?“
Und natürlich müsse man Gesetze durchsetzen, sagte er weiter und wies zudem auf die anhaltende Gefahr von Messergewalt hin. „Wer sich bewaffnet, wer ein Messer in der Hosentasche hat, ist auch bereit zu verletzen, zu töten.“
Die Forscher stießen bei der Suche nach Ursachen auf zum Teil beunruhigende Befunde: Die psychische Belastung der Schüler, besonders der Mädchen, nahm deutlich zu, ihre Selbstkontrolle deutlich ab. Fast jedes zweite Mädchen klagte über Angst und Depression. So sei die Straffälligkeit der Mädchen stärker gestiegen als die der Jungen, obwohl Mädchen nach wie vor deutlich seltener straffällig werden.
Die Forscher vermuten zudem, dass Gewalt im Elternhaus eine Ursache sein könnte: So wurden die befragten Kinder und Jugendlichen im vergangenen Jahr häufiger Opfer von Gewalt ihrer Eltern als noch 2015. Frühere Studien zeigen: Kinder, die Opfer von Gewalt werden, werden selbst häufiger gewalttätig.
Mehr Intensivtäter
Während die Zahl der Intensivtäter bei der allgemeinen Kriminalität laut offizieller Statistik rückläufig war, nahm sie bei Gewalttaten zu, insbesondere bei Mädchen und nichtdeutschen Kindern und Jugendlichen.
Bei der Dunkelfeldstudie kam heraus, dass die offiziellen Zahlen täuschen dürften: Die Zahl der jungen Intensivtäter dürfte demnach auch bei allgemeiner Kriminalität wie Eigentumsdelikten deutlich höher sein als von der Kriminalitätsstatistik ausgewiesen, fanden die Forscher heraus.
Für eine solche Einstufung müssen mindestens fünf Straftaten pro Jahr entdeckt und angezeigt werden. Bei der Befragung stellte sich die Zahl der tatsächlich begangenen Taten als deutlich höher heraus. Bei Gewalttaten ist die Aufklärungsquote deutlich höher als etwa bei anderen Delikten.
Die Forscher stießen auch auf einen Zusammenhang zwischen Social-Media-Konsum, fehlender Selbstkontrolle und Straffälligkeit.
Veränderte moralische Standards
Moralische Standards der Kinder und Jugendlichen waren zudem im Untersuchungszeitraum gesunken. Dies gelte zwar nicht für Gewalt, die weiterhin in hohem Maß als inakzeptabel gelte. Bei geringeren Verfehlungen wie nicht gemachten Hausaufgaben sank aber das Unrechtsbewusstsein.
Schule schwänzen, einen Stift stehlen, einen Mitschüler schlagen, aber auch Vandalismus: Die Ablehnung dafür nahm unter den Kindern und Jugendlichen ab.
Fanden im Jahr 2015 noch 32,5 Prozent der Schüler es nicht in Ordnung, die Hausaufgaben nicht zu machen, sank dieser Anteil im vergangenen Jahr auf 15 Prozent. Das Schwänzen der Schule empfanden 2015 noch 80 Prozent als verwerflich, im vergangenen Jahr waren es nur noch knapp 60 Prozent.
„Jugendliche finden es nicht mehr schlimm, Lehrer respektlos anzupöbeln“
Der Aussage, die Lehrer unternehmen etwas, wenn es eine Prügelei auf dem Schulgelände gibt, stimmten im Jahr 2015 noch 68 Prozent der Schüler zu, im vergangenen Jahr waren es nur noch 39 Prozent.
Zugleich gebe es aber auch immer mehr Jugendliche, die es „nicht mehr so schlimm“ fänden, Lehrkräfte respektlos anzupöbeln. Die Aussage, Lehrer und Schüler respektieren einander und kommen gut miteinander zurecht, fand vor zehn Jahren noch bei 35 Prozent Zustimmung, im vergangenen Jahr waren es nur noch 20 Prozent. Die Schüler hätten auch weniger Furcht vor Entdeckung und Konsequenzen nach Straftaten.
Unterschiede zwischen Dunkel- und Hellfeld
Die Forscher stellten bei ihrer Befragung fest, dass die Schüler in der Jahrgangsstufe 7 gewalttätiger sind als in der Jahrgangsstufe 9. Bei den offiziellen Zahlen ist es umgekehrt.
Dies könnte, so vermuten die Forscher, darauf zurückzuführen sein, dass Gewalttaten jüngerer Schüler seltener angezeigt werden – entweder, weil sie weniger intensiv sind, oder weil wegen Strafunmündigkeit darauf verzichtet wird.
Bei den Eigentumsdelikten stellte sich bei der Dunkelfeld-Befragung heraus, dass deutliche Anstiege zu verzeichnen sind, während in der offiziellen Kriminalitätsstatistik ein eher gleichbleibender, bis rückläufiger Trend zu erkennen ist. Dies spreche dafür, dass etwa Ladendiebstähle, als häufigstes Delikt, seltener entdeckt werden.
Etwas Hoffnung gibt die aktuelle Entwicklung: Trotz der langfristig gestiegenen Jugendkriminalität sei diese im vergangenen Jahr erstmals seit Jahren wieder rückläufig gewesen.
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