CDU-Politiker Norbert Röttgen, 60, ist für die Themen Außen- und Verteidigungspolitik zuständiger Vizechef der Unionsfraktion im Bundestag. Er ist seit 1994 Abgeordneter.
WELT AM SONNTAG: Hat Deutschland eine taugliche Strategie für China, Herr Röttgen?
Norbert Röttgen: Deutschland hat keinen Mangel an Strategien, aber einen Mangel an strategischer Politik – besonders gegenüber China. Xi Jinping sagt seit Jahren offen, dass wirtschaftliche Abhängigkeiten als außenpolitische Druckmittel genutzt werden sollen. Wir haben diese Realität ignoriert. Jetzt fühlt sich China stark genug, das umzusetzen. Die Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft von China – als Absatzmarkt und als Lieferant kritischer Rohstoffe bis hin zu Medikamenten – ist aus Perspektive unserer eigenen Unabhängigkeit und Souveränität längst intolerabel. Keine Regierung hat daran bisher etwas geändert.
WAMS: Warum passiert nichts?
Röttgen: Weil es kurzfristig bequemer und günstiger erscheint, etwa Seltene Erden aus China zu beziehen. Eine Eigenschaft dieser Rohstoffe ist, dass sie gar nicht so selten sind. Europa verfügt selbst über Vorkommen, auch Deutschland. Aber dafür müssten wir wieder Bergbau betreiben mit allem, was dazu gehört, von den Ingenieuren bis zu der gesellschaftlichen Akzeptanz. Stattdessen kaufen wir in China ein – wissend, dass wir erpressbar werden. Noch ist es nicht zu spät, aber das Ende dieses Weges rückt bedrohlich nah.
WAMS: Was wären konkrete Schritte zur Verringerung der Abhängigkeit?
Röttgen: Japan hat gezeigt, wie es gehen kann. Es hat in die Erschließung von Vorkommen außerhalb Chinas investiert, das Recycling intensiviert und seine Abhängigkeit von 90 auf 60 Prozent reduziert. Alles Nötige steht in unseren Strategien: eigene Innovationskraft, Nutzung eigener Rohstoffe, Diversifizierung, neue Wachstumsfelder außerhalb der chinesischen Abhängigkeit. Das ist De-Risking – Risikoreduzierung.
Nach der Erfahrung mit Russland sollte das selbstverständlich sein. Unsere Energieabhängigkeit war politisch bequem, aber fatal. Ich hatte nie etwas gegen Energieimporte aus Russland – nur eben nicht über eine Schwelle hinaus, die uns abhängig macht. Dasselbe gilt für China. Das alles kostet Geld, aber auch Sicherheit und Unabhängigkeit sind Investitionen, keine kostenlosen Güter.
WAMS: War die Absage der geplanten China-Reise von Außenminister Johann Wadephul (CDU) richtig?
Röttgen: Die Entscheidung fiel ja nicht in Berlin, sondern in Peking. Dort ist man zu dem Ergebnis gekommen, dass man es sich inzwischen leisten kann, den deutschen Außenminister abzustrafen, wenn er öffentlich Positionen vertritt, die China nicht gefallen. Es ist der Versuch, Deutschland vor die Wahl zu stellen: entweder wohlgefälliges Verhalten oder gestörtes Verhältnis. Diese Politik ist Ausdruck der chinesischen Einschätzung, Deutschland sei wirtschaftlich und politisch in einer Lage, in der man sich das leisten könne. Das ist ein Irrtum, aber leider derzeit die Wahrnehmung in Peking.
WAMS: Welche Auswirkungen wird das Treffen von Trump mit Xi in dieser Woche für Deutschland und Europa haben?
Röttgen: Das Treffen hat zu einer gewissen Entspannung im Verhältnis beider Länder geführt, was auch aus europäischer Sicht begrüßenswert ist. Generell besteht aber für Europa weiterhin die Gefahr, dass wir von den USA und China wirtschaftlich in die Zange genommen werden. Einerseits durch Zölle auf Exporte in die USA und andererseits durch eine Flut chinesischer Überproduktion, die auf den europäischen Markt trifft. Gegen beides können wir uns nur durch eigene Stärke wappnen.
WAMS: Welches Interesse hat China am Ausgang des Ukraine-Kriegs?
Röttgen: Ohne China könnte Putin diesen Krieg nicht führen. Peking hat ein objektives Interesse an der Fortsetzung. Durch den Krieg ist Russland strategisch geschwächt, während für China das bilaterale Verhältnis nie so günstig gewesen ist wie jetzt. Denn Moskau ist politisch abhängiger denn je, und Peking diktiert die Preise für russisches Öl. Zugleich bindet der Krieg amerikanische Ressourcen an Europa – obwohl Washington seinen strategischen Schwerpunkt eigentlich im Indopazifik sieht. Auch das nützt Peking. Deshalb ist kaum zu erwarten, dass China etwas zur Beendigung des Krieges beitragen wird.
WAMS: Dienen Chinas Exportbeschränkungen bei Seltenen Erden auch der Hemmung der europäischen Aufrüstung?
Röttgen: Das ist eher ein Beifang. China setzt schlicht seine Macht ein, um Einfluss zu nehmen – etwa auf Entscheidungen wie jene der niederländischen Regierung, die den Abfluss von Technologie Richtung Peking gestoppt hat. China betreibt Machtausübung mit wirtschaftlichen Mitteln, weniger gezielte Rüstungshemmung.
WAMS: Wie beurteilen Sie den Stand der Bundeswehr-Aufrüstung?
Röttgen: Die finanziellen Mittel sind da, international wird das anerkannt, wie ich gerade bei meinem Besuch in Washington erfahren durfte. Aber Geld allein bedeutet noch keine Verteidigungsfähigkeit. Unsere industrielle Basis ist national wie europäisch noch nicht auf dem nötigen Niveau. Die Beschaffungszyklen sind zu lang – teilweise bis Mitte des nächsten Jahrzehnts. Das ist sicherheitspolitisch nicht akzeptabel. Auch beim Personal stehen wir erst am Anfang des Aufwuchses, den wir der Nato zugesagt haben und der kommen muss.
WAMS: Das Verteidigungsministerium sieht das Projekt „Digitalisierung landbasierter Operationen“ im Plan, interne Unterlagen sprechen von Verzögerungen.
Röttgen: Der Minister sagt, alles laufe planmäßig, in Ihrer Zeitung lese ich anderes. Als Parlamentarier habe ich drei Erwartungen an Herrn Pistorius: Dieses Projekt muss erstens Erfolg haben, sonst sind unsere Landstreitkräfte nicht einsatzfähig. Zweitens müssen im Ministerium transparente Verantwortlichkeiten und effektive Entscheidungsstrukturen bestehen. Und drittens: Wenn es Probleme gibt, muss der Bundestag frühzeitig und umfassend informiert werden – notfalls vertraulich. Wir werden sehr genau darauf achten, dass diese Erwartungen erfüllt werden.
WAMS: Sie waren unzufrieden mit dem Gesetzentwurf des Ministers zum neuen Wehrdienst. Wie ist der Stand?
Röttgen: Die Gesetzgebung wird im Parlament gemacht, und dort haben die Koalitionsfraktionen intensiv gearbeitet. Wir haben eine gemeinsame Position gefunden, die nun in Form von Änderungsanträgen in den Regierungsentwurf einfließt. Nach der Anhörung der Sachverständigen Anfang am 10. November werden wir den Entwurf anpassen und das Verfahren voraussichtlich noch in diesem Jahr abschließen.
WAMS: Erkennen Sie Kooperationsbereitschaft des Ministeriums?
Röttgen: Wir hätten uns im Sommer ein gemeinsames Konzept gewünscht, das Angebot wurde vom Minister aber nicht angenommen. Dadurch müssen die notwendigen Veränderungen jetzt erfolgen. Es wäre schön, wenn sich das Bundesverteidigungsministerium hier konstruktiv einbringen würde.
WAMS: Was ist Ihr wichtigstes Anliegen bei dem Gesetz?
Röttgen: Die Aufwuchszahlen für aktive Soldaten und die Reserve müssen im Gesetz festgeschrieben werden – transparent und überprüfbar. Nur so lässt sich erkennen, ob wir beim Personalaufwuchs im Plan sind. Davon hängt das gesamte Stufenkonzept ab, das wir in den Fraktionen erarbeitet haben, um die Bundeswehr Schritt für Schritt personell zu stärken. Transparenz ist hier eine Frage der Verteidigungsfähigkeit und darum nicht verhandelbar.
WAMS: Bleibt es beim Zufallsverfahren zur Auswahl der Soldaten?
Röttgen: Der entscheidende Punkt ist der militärisch definierte Bedarf. Wir brauchen deutlich mehr Soldaten als heute, aber nicht unbegrenzt viele. Das Konzept eines Bedarfswehrdienstes richtet sich danach, welche Bundeswehr wir wollen – nicht danach, wie viele Soldaten wir bekommen könnten. Dafür müssen aus jedem Jahrgang von einigen Hunderttausend jungen Männern gezielt die paar Zehntausend ausgewählt werden, die nötig sind, um die benötigten Fähigkeiten sicherzustellen. Wir haben den Vorschlag gemacht, diese Auswahl objektiv per Los zu treffen – und ich habe bislang keinen anderen Vorschlag gehört.
Der politische Korrespondent Thorsten Jungholt schreibt seit vielen Jahren über Bundeswehr und Sicherheitspolitik. Seinen Newsletter „Best of Thorsten Jungholt“ können Sie hier abonnieren.
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