MDR AKTUELL: Erlebt das Bestattungswesen in Deutschland gerade eine Revolution?

Torsten Lange: Ich würde es nicht Revolution nennen, sondern eher eine Anpassung an die gesellschaftlichen Veränderungen.

Es scheint aber, dass im Moment sehr viel in Bewegung ist, oder täuscht der Eindruck?

Der Eindruck täuscht durchaus nicht. Wir stellen fest, dass Bestattungen heute immer individueller stattfinden, dass die Wünsche sehr stark differieren. Das hat nicht zwingend kulturelle Einflüsse oder Einflüsse durch Glaubensrichtungen, sondern liegt einfach an der stärkeren Individualisierung der Bevölkerung. So steigt zum Beispiel der Wunsch, dass Erinnerungsstücke geschaffen werden, wie das zum Beispiel in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz ermöglicht werden soll, dass man kleine Teile der Asche behalten kann, um sie in ein Schmuckstück zu verbringen. In Bremen ist es schon so, dass die Urne auf privatem Grund beigesetzt werden kann.

Was hängt da alles mit dran? Was muss da beachtet werden?

Es muss beachtet werden, dass man sich darüber zu Lebzeiten schon Gedanken machen muss. Denn der Verstorbene muss hier eine entsprechende Willenserklärung abgegeben haben. Und natürlich muss derjenige, dem das Grundstück gehört, auch zustimmen.

Und wenn diese Willenserklärung zu Lebzeiten nicht vorliegt, dann kommt das schlicht nicht infrage?

Das ist richtig. Das haben sich sowohl der Gesetzgeber in Bremen seinerzeit als auch jetzt Rheinland-Pfalz sehr reiflich überlegt, damit nicht daraus eine Art "Entsorgungsmentalität" entsteht, sondern die Würde des Verstorbenen erhalten bleibt.

Was meinen Sie mit "Entsorgungsmentalität"?

In dem Sinne, dass dann Angehörige einfach nur nach der preiswertesten, schlichtesten Methode suchen. Es soll ja dem Willen der von uns gegangenen Person entsprechen, wie sie bestattet wird.

Wenn eine Bestattung auf einem Privatgrundstück angestoßen ist, dann hat das ja auch Folgen für später. Möglicherweise wird dieses Grundstück mit dem Häuschen mal verkauft. Was passiert denn dann?

Die tote Asche würde dann immer noch auf dem Grundstück sein. Es gibt ja keine Lösung dafür, dass ein Grundstück dann nie wieder verkauft wird oder den Eigentümer wechselt. Gegebenenfalls ist dann die Asche auch nicht mehr in der Form auffindbar, dass man sie umbetten könnte.

Zum Teil ist jetzt auch der Sargzwang aufgehoben. Künftig dürfen Verstorbene in Tüchern beerdigt werden. Wie groß ist inzwischen die Nachfrage nach solchen Optionen?

Tatsächlich nicht so groß, wie man glaubt. Es ist in vielen Bundesländern schon möglich, ohne Sarg zu bestatten. Natürlich kam der Anstoß größtenteils durch die steigende Anzahl an muslimischen Bestattungen. Wobei selbst die muslimischen Gemeinden den Sargzwang nicht zwingend als großes Problem angesehen haben. So werden auch bis heute in Bundesländern wie z.B. Bremen Muslime im Sarg bestattet, obwohl dort schon seit vielen Jahren eine sarglose Bestattung möglich ist.

Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben nach langen Debatten liberalere Bestattungsgesetze auf den Weg gebracht. Inwieweit steigt damit der Handlungsdruck auf andere Bundesländer?

Ich denke nicht, dass dadurch der Druck auf andere Bundesländer massiv steigt, weil in vielen anderen Bundesländern diese Diskussionen zum Teil schon stattgefunden haben. So gab es zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern 2019 eine Kommission für Bestattungskultur, die vom Landtag eingesetzt wurde, wo all diese Themen breit diskutiert wurden und 2021 in eine Gesetzesnovelle mündeten.

Wir sehen eher, dass der Druck auf die Bundesgesetzgebung steigt, dass unser Gewerk endlich meisterpflichtig wird. Im Moment ist es noch möglich, dass Sie einfach zum Gewerbeamt gehen und sich einen Gewerbeschein holen, dann dürfen Sie sich Bestatter nennen.

Aber über Nachwuchsmangel beklagen Sie sich glaube ich nicht...

Das ist korrekt, wir haben tatsächlich noch steigende Auszubildendenzahlen und stellen erfreulicherweise fest, dass fast 60 Prozent der Auszubildenden in unserem Handwerk Frauen sind.

Das Gespräch führte Sven Kochale.

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