Finn Flebbe lehnt sich an die Wand im Foyer des Landtags von Schleswig-Holstein. Er hört das Rattern des Paternosteraufzugs und kommentiert ironisch: „Hoffentlich geht es mit der FDP auch wieder nach oben.“ Dann steigt er in die gelbe Kabine ein.
Seit Ende September ist der 29-Jährige Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen (Julis), der FDP-Jugendorganisation. Die Mutterpartei steckt tief in der Krise. Flebbe beschönigt die Lage nicht: „Die FDP steht aktuell für nichts. Das ist ein unglaublich großes Problem.“ Er spricht in einem vorwurfsvollen Ton. „Die FDP hat eine Feigheit vor der Debatte entwickelt. Intern fehlt ihr der Mut, extern fehlt ihr Glaubwürdigkeit.“
Auch am Kurs seiner Julis zuletzt hat er viel auszusetzen. „Ich war sehr unzufrieden mit der Vergangenheit, wie es im Bund mit den Jungliberalen gelaufen ist“, sagt er. „Wir haben uns wie ein Aufsichtsrat der FDP verhalten. Und das halte ich für falsch. Wir sollten die FDP anführen und nicht Haltungsnoten vergeben.“
Bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 flog die FDP mit 4,3 Prozent aus dem Bundestag. Auch bei der Hamburger Bürgerschaftswahl blieb sie mit 2,3 Prozent klar unter der Fünf-Prozent-Hürde. Und in Nordrhein-Westfalen erreichte sie bei den Kommunalwahlen nur 3,7 Prozent.
Aktuell versucht die Partei, sich programmatisch und personell neu aufzustellen. Bundesvorsitzender Christian Dürr und Generalsekretärin Nicole Büttner arbeiten am nächsten Grundsatzprogramm, im neuen Slogan ist von einer „radikalen Mitte“ die Rede. Innerhalb der Partei ringt derweil der wirtschaftsliberale Flügel „Ottos Erben“ rund um Parteivize Wolfgang Kubicki – der Gruppenname bezieht sich auf den früheren FDP-Vorsitzenden und Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff – mit der sozialliberalen Gruppe „Liberaler Fortschritt“ um den künftigen Kurs.
An Dürr und Büttner übt Flebbe Kritik: „Es wird nach vorne geschaut, aber es wurde nie offen darüber debattiert, wo eigentlich die Fehler gelegen haben. Und das ist doch zentral für jeden Neuanfang.“ Dann fügt er hinzu: „Die FDP nennt sich jetzt ‚radikale Mitte‘ – kann sie gerne machen. Ich weiß aber nicht, was das eigentlich heißen soll. Wenn sie sich so nennen, dann sollte sie auch radikal freiheitlich sein.“
Für Flebbe beginnt die Erneuerung der Partei bei den Julis. Die sollten „wieder laut, streitbar und sichtbar“ sein. „Unsere Aufgabe ist es Ideen zu liefern und Haltung zu zeigen.“ Das will er mit einer neuen inhaltlichen Breite erreichen.
Sich selbst beschreibt er als „kernliberal“. Damit meine er eine Haltung, die sich aus verschiedenen Strömungen speist. „Ich habe Forderungen aus dem Neoliberalismus, ich habe Forderungen aus dem sozialliberalen Milieu. Ich denke, diese Vielschichtigkeit ist etwas, was ich für mich reklamieren würde.“ Er wolle, dass Liberalismus wieder als offenes, widerspruchsfähiges Konzept verstanden wird. „Ich liebe es, mich inhaltlich zu streiten und in eine Debatte zu gehen.“
Konfliktfrei sei sein Aufstieg zum Juli-Chef nicht verlaufen. Während seines Wahlkampfes sei gegen ihn gearbeitet worden. „Aus der Führungsebene von ‚Ottos Erben‘ hieß es dann auch mal: ‚Wir müssen alles tun, um Flebbes Karriere zu zerstören.‘“ Für Machtspiele hinter verschlossenen Türen fehle ihm das Verständnis, so Flebbe. „Mit mir gibt es keine Weiter-so-FDP, mit mir geht es zusammen oder getrennt, aber immer nur nach vorn.“ Richtungsweisend sei die Landtagswahl in Baden-Württemberg 2026.
Zum parteiinternen Streit trug er aber selbst bei: Nach der Bundestagswahl forderte er öffentlich Kubickis Rücktritt, „weil ich überzeugt davon war, dass es richtig gewesen wäre“. Mittlerweile habe sich das Verhältnis zum Parteivize wieder normalisiert. „Inhaltlich habe ich große Überschneidungen mit ,Ottos Erben.‘ Nur müssen wir mal aufhören, uns innerhalb der eigenen Partei so stark zu bekriegen“, sagt Flebbe. „Dadurch verlieren wir Glaubwürdigkeit, und ich werde sie von allen einfordern, Dürr, Kubicki, Büttner, mir egal.“
Seine Julis will Flebbe nach eigener Aussage zur „Lobby der jungen Leistungsträger“ machen: Sie solle Politik für die machen, „die aufstehen, arbeiten, sich etwas aufbauen wollen“. Es gehe ihm in erster Linie um eine Erneuerung des Aufstiegsversprechens. „Ganz viele junge Menschen, mit denen ich rede, sind entmutigt und sehen für sich keine Zukunft in Deutschland. Jeder hat einen Traum. Aber dafür muss Leistung wieder etwas zählen.“
Ein weiteres Kernthema ist die Staatsquote. „Die FDP sollte endlich mal einen Plan entwerfen, wie man in zehn bis 15 Jahren die Staatsquote auf 35 Prozent senken kann“, fordert er. Für ihn steht sie sinnbildlich für den Zustand des Landes: zu viel Verwaltung, zu wenig Vertrauen in Eigenverantwortung. „Wir reden seit Jahren über Bürokratieabbau, aber effektiv passiert nichts. Das ist doch absurd.“
Auch beim Thema Steuern fordert Flebbe ein mutigeres Vorgehen. „Wir müssen uns trauen, wieder größer zu denken.“ Er verweist auf den Vorschlag einer „Flat Tax“ – ein Modell, bei dem alle Einkommen mit dem gleichen Steuersatz besteuert würden. „Das wäre zumindest mal eine ehrliche Debatte. Stattdessen verlieren wir uns im Klein-Klein und wundern uns, warum niemand mehr versteht, wofür wir als Liberale stehen.“
„Gefechte sind notwendig, um Boden zu gewinnen“
Der Wind weht kalt vom Wasser her im Marinestützpunkt Kiel. Möwen kreisen über dem Marine-Segelschiff „Gorch Fock“, das im Hafen liegt. „Hier hat für mich alles angefangen“, erzählt Flebbe. Acht Jahre lang sei er Soldat auf Zeit gewesen – vier davon bei der Marine, später bei den Fallschirmjägern. „Ich wollte etwas Richtiges tun fürs Land.“
Mit 17 Jahren sei er in die Bundeswehr eingetreten, habe während des Dienstes an der Abendschule sein Abitur nachgeholt. Später habe er Jura studiert und nebenbei ein Start-up gegründet. „Ich war vorher ein fauler Schüler. Schule hat mich nicht abgeholt. Aber beim Bund habe ich Disziplin gelernt“, sagt er. „Den Bundesvorsitzenden Flebbe würde es nicht geben ohne den Soldaten Flebbe.“
Diese Phase habe ihn nicht nur in seiner Struktur geprägt, sondern auch durch Haltung. „Ich bin Soldat gewesen, ich scheue keine Konfrontation, vor allem nicht, wenn sie notwendig ist. Gefechte sind notwendig, um Boden zu gewinnen. Das gilt auch für die Politik.“ Einfach sei das Soldatenleben nicht immer gewesen: „Mir selbst wurde am Bahnhof ins Gesicht gespuckt, weil ich Uniform getragen habe. Damals war es für viele keine Ehre, Soldat zu sein. Jetzt ist wieder Bewusstsein da, dass es die Bundeswehr braucht.“
In die FDP trat er 2020 ein, wurde kurz darauf Kieler Kreischef der Julis, später Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein. Sein Vater Hubertus Hencke führte viele Jahre die Kieler FDP-Stadtratsfraktion. „Er hat mich politisch geprägt“, sagt Flebbe. „Er war ein klassischer Liberaler, jemand, der geglaubt hat, dass jeder seines Glückes Schmied ist.“ Anfang 2025 bewarb Flebbe sich um den Bundesvorsitz der Julis, gewann im zweiten Wahlgang mit 60 Prozent – gegen zwei deutlich erfahrenere Konkurrenten.
Das Verständnis von liberaler Eigenverantwortung, das er bei der Bundeswehr gelernt habe, präge auch seinen Blick über Deutschland hinaus, sagt Flebbe. „Ich finde, man kann Javier Milei schon als ein Vorbild nehmen“, sagt er über den libertären argentinischen Präsidenten. „Nicht, weil ich alles teile, was er fordert. Aber er spricht an, was die Leute fühlen. Die Leute haben Wut, die sind sauer auf Staat, die wollen Veränderung.“ Milei gehe „klar nach vorne, und dieses Mindset fehlt der FDP aktuell“.
Der linksliberalen Partei D66 in den Niederlanden kann er weniger abgewinnen. Sie hatten überraschend die Parlamentswahl gewonnen – vor der rechtspopulistischen PVV von Geert Wilders. Als Vorbild taugt die Partei für Flebbe trotzdem nicht. „Das D66-Modell kann man nicht einfach auf Deutschland übertragen. Ansätze wie eine Vermögensteuer oder mehr Regulation und Umverteilung durch den Staat, wie D66 fordert, wären der völlig falsche Weg für uns. Das kann kein Modell sein für eine deutsche liberale Partei.“
Maximilian Heimerzheim ist Volontär im Innenpolitik-Ressort.
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