• Stimmung der Verunsicherung, Enttäuschung und Angst
  • Osman: Viele Menschen aus Syrien bereit, beim Wiederaufbau zu helfen
  • Verband koordiniert deutsch-syrische Hilfsvereine

In der Union wird über Rückführung von Flüchtlingen aus Syrien diskutiert. Bundeskanzler Friedrich Merz drang zuletzt auf eine schnelle Wiederaufnahme der Abschiebungen nach Syrien. "Der Bürgerkrieg in Syrien ist beendet. Es gibt jetzt keinerlei Gründe mehr für Asyl in Deutschland", meint der Kanzler. Allzu oft wird in diesen Debatten über Syrer gesprochen, nur selten mit ihnen.

Nahla Osman ist Anwältin für Migrationsrecht und Vorsitzende des Verbands Deutsch-Syrischer Hilfsvereine. Im Interview mit MDR AKTUELL spricht sie über die Ängste der syrischen Community, fehlende Gespräche und die tatsächliche Bereitschaft vieler Menschen zum Wiederaufbau Syriens.

MDR AKTUELL: Frau Osman, wie würden Sie die Stimmung in der syrischen Community angesichts der jetzt von der CDU angeschobenen Debatte beschreiben?

Nahla Osman: Die gegenwärtige Stimmung ist geprägt von Verunsicherung, Enttäuschung, auch Angst. Und das ist nicht nur bei den neusyrischen Staatsbürgern in Deutschland der Fall, die 2015 gekommen sind, sondern auch bei mir. Ich bin zweite Generation und diese ganzen Diskussionen führen auch bei mir zur Unsicherheit, zu einem Gefühl, nicht mehr dazuzugehören. Ich habe große Angst, dass meine Kinder, dritte Generation, das gleiche Gefühl empfinden. Ich hoffe sehr, dass wir durch diese Gespräche davon wegkommen.

Welche Gespräche meinen Sie? Die grundlegende Debatte – oder sind Sie auch mit der Politik im Gespräch?

Osman: Ja, wir hatten tatsächlich eine Woche nach der Befreiung in Syrien ein Gespräch mit dem Altbundeskanzler. Und dann habe ich nach dieser ganzen Debatte noch einmal das Kanzleramt und das Innenministerium um ein Folgegespräch gebeten. Das wird jetzt in den nächsten Tagen in Berlin mit der syrischen Diaspora stattfinden, damit mit uns gesprochen wird und nicht über uns.

Sind die Argumente der Union, weshalb Rückführungen möglich sein sollen, in Teilen nachvollziehbar? Sie sagen: Der Krieg ist vorbei, Zerstörung gibt es nicht überall, deshalb müsste man jetzt dabei helfen, das Land mit aufzubauen.

Osman: Ja, selbstverständlich kann man verstehen, dass man sagt, okay, die Syrer können und sollen und möchten ihr Land doch bitte wieder mit aufbauen. Unser Außenminister hat jedoch auch selbst festgestellt, dass die Situation in Syrien gegenwärtig überhaupt nicht menschenwürdig ist. Wir haben eine katastrophale medizinische Versorgung, es gibt keine Schulen, kein Zuhause. Die Syrer, die nach Deutschland gekommen sind, sind dort zum Teil gefoltert worden, sie waren in Haft, sie haben Bomben miterlebt. Psychisch sind sie überhaupt nicht in der Lage, sich ein Bild zu machen, wie gegenwärtig Syrien für sie ist.

Deswegen hatten wir gehofft, dass wir eine Art Look-and-See-Regelung einführen können, damit die Menschen, die nicht deutsche Staatsbürger sind, zurück nach Syrien können, sich einmalig ein Bild machen und dann entscheiden können, bin ich ein Teil von Syrien oder gehöre ich doch zu Deutschland.

Kanzler Friedrich Merz setzt auf Freiwilligkeit. Was meinen Sie, gibt es eine generelle Bereitschaft, das eigene Land wieder aufzubauen und wenn ja, wie viele würden oder wollen das tatsächlich freiwillig angehen?

Osman: Die Bereitschaft ist sehr groß. Aber wenn ich nicht in der Lage bin, ohne meinen Aufenthaltsstatus zu verlieren, nach Syrien einzureisen, um zu sehen, was ich tun kann, dann ist die Bereitschaft natürlich zahlenmäßig gering. Aber die Menschen sind gewillt. Das merken wir auch bei uns im Verband. Das merken wir auch in der neu gegründeten syrischen Gemeinde, wo wir ganz viele Anträge sehen von neu gegründeten Vereinen, ganz viele Menschen, die sagen, ich möchte mich irgendwie einbringen, möchte mein Wissen mit nach Syrien bringen, möchte das Land mit aufbauen.

Osman: Ihr Verband koordiniert deutsch-syrische Hilfsvereine. Wie sieht diese Hilfe im Moment aus?

Es gibt ja verschiedene Vereine. Einige sind auf Bildung spezialisiert, die anderen machen psychosoziale Betreuung, gerade auch für Frauen, die in den Gefängnissen waren, vergewaltigt worden sind etc.. Diese Menschen brauchen dringend Hilfe und da gibt es ganz viele Angebote mittlerweile in vier, fünf verschiedenen Städten in Syrien, wo die Frauen nun Anlaufstellen haben und erste Hilfen bekommen. Wir haben Vereine, zum Beispiel was Ärzte angeht, die in die Krankenhäuser gehen. Sie sind hier Oberärzte und Chefärzte, operieren in Syrien mit oder bieten auch medizinische Hilfe an. Wir haben viele Vereine im pharmazeutischen Bereich, die versuchen, mit Medikamenten vor Ort auszuhelfen.

Jeder in seinem Bereich versucht, über seinen Verein in Syrien Hilfe anzubieten. Wir erhalten finanzielle Unterstützung von Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Das ist natürlich eine sehr, sehr große Hilfe, damit wir als Deutsche der syrischen Diaspora eine Brücke bauen können zwischen Deutschland und Syrien.

MDR (nvm)

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