• Mindestlohngesetz gibt vor, woran sich die Mindestlohnkommission zu orientieren hat
  • Regierung und Parteien konnten sich nie auf Mindestlohn verständigen
  • Für Arbeitsrechtler bleibt bisheriger Mindestlohn geltend
  • Klagen gegen Anhebung von Arbeitgebern erwartet

Die Mindestlohnkommission hat eine Erhöhung des Mindestlohns für 2026 auf 13,90 Euro festgelegt. 2027 soll er dann weiter auf 14,60 Euro pro Stunde steigen. Im Vorlauf hatte Bundeskanzler Friedrich Merz, die Kommission ausdrücklich gestärkt. Die Mindestlohnkommission könne die Höhe "in eigener Autonomie" festlegen, hatte der Kanzler erklärt.

Der Erhöhung 2026 und 2027 hatte das Bundeskabinett in der vergangenen Woche zugestimmt. Aber das sei womöglich nicht zu halten, glaubt der Arbeitsrechtler Christian Picker, Leiter des Lehrstuhls für bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Uni Tübingen. Warum, hat er MDR AKTUELL im Gespräch erklärt.

MDR AKTUELL: Herr Picker, Sie haben einen juristischen Fachaufsatz geschrieben, indem Sie dem Bundeskanzler widersprechen. Sie sagen nämlich, die Empfehlung der Mindestlohnkommission sei nichtig. Hat sich Friedrich Merz mit Ihnen schon in Verbindung gesetzt? 

Christian Picker: Nein, das wird er auch nicht. Herr Merz hat, glaub ich, auch noch größere Baustellen zu bewältigen als dieses Thema. Insofern will ich auch gleich vorweg klar betonen, mir geht es überhaupt nicht dagegen, den Mindestlohn kaputt zu machen, sondern mir geht es darum, dass letztlich der parlamentarische Gesetzgeber, der dafür die Verantwortung trägt, seine Hausaufgaben macht und insbesondere eine Ermächtigungsgrundlage, die hinreichend klar und bestimmt ist, für die Mindestlohnkommission schafft. Ich hätte auch nicht damit gerechnet, dass dieser Aufsatz solche Wellen schlägt.

MDR AKTUELL: Aus der jetzt alle anderen Zeitungen zitieren. Welche Hausaufgaben hat denn der Gesetzgeber nicht gemacht? Also, warum ist die Mindestlohnerhöhung, die die Kommission vorsieht, aus ihrer Sicht so nicht machbar? 

Christian Picker: Das Grundproblem ist, dass wir einen Paragraph 9 im Mindestlohngesetz haben. Der ist die Ermächtigungsgrundlage. Der sagt also, woran sich die Mindestlohnkommission zu orientieren hatte, wenn sie den Mindestlohn festsetzt. Und in diesem Paragraphen 9 steht eben nichts von einem 60-Prozent-Bruttomedianlohn – wie er unter anderem auch in der Mindestlohnrichtlinie als Option, als bloße Option, nicht als verpflichtendes Element vorgesehen ist – orientiert. 

Jetzt hat sich der Gesetzgeber aus der Verantwortung gestohlen. Er hat diesen Ermächtigungsgrundlage nicht geändert, er hat sie nicht angerührt. Obwohl die Mindestlohnrichtlinie, die wurde eben nicht ordnungsgemäß umgesetzt beziehungsweise sie wurde überhaupt nicht umgesetzt. Und jetzt ist das große Problem des Kreis, den ich angesprochen habe, dass wir eine ganz andere Mindestlohntradition und -funktion haben, als sie jetzt der europäische Gesetzgeber vorsieht. 

MDR AKTUELL: Warum erkennen eigentlich nur Sie das, Herr Picker, aber nicht die Politik? Da sitzen ja auch ein paar Experten, die von Experten wiederum beraten werden. 

Christian Picker: Das ist mir als Jurist, wo ich eine saubere, auch verfassungskonforme Ordnung haben will, unbegreiflich. Es ist aber letztlich den Zwängen der Politik geschuldet. Man konnte sich nie in der Regierung und damit nicht mehrheitlich im Parlament auf eine Änderung verständigen und deshalb hat man das einfach laufen lassen und hat letztlich das der Mindestlohnkommission überlassen. Die Mindestlohnkommission, auch das will ich betonen, hat wirklich eine wichtige Funktion, aber sie ist eben ein staatlich beliehenes Organ und darf eben nicht eigenmächtig sich über die Vorgaben des Gesetzes erheben. 

MDR AKTUELL: Machen wir es mal ganz konkret, vielleicht in Zahlen, wenn Sie das denn vermögen: Wie könnten denn Arbeitgeber dieses Dilemma, diese Lücke im Gesetz für sich konkret nutzen? Welche Mindestlohnhöhe ist denn gerade momentan die richtige? 

Christian Picker: Wenn man meiner Auffassung folgt, ist es so, dass die gegenwärtige, die jetzt beschlossene aktuelle Verordnung, die zum 1.1.2026 in Kraft treten wird, eben nichtig ist. Und damit bleibt es bei der bisherigen Verordnung und damit bleibt es bei einem Mindestlohn von 12,82€.

MDR AKTUELL: Das heißt, das Thema Mindestlohn wird aus Ihrer Sicht zeitnah ein Thema für viele Gerichte

Christian Picker: Ja, ich bin gewohnt, dass bestimmte Branchen immer klagen, aber es ist in der Tat angespannt im Niedriglohnsektor. Die zahlen ja auch nicht die niedrigen Löhne aus Spaß. Hier in meiner Region, Großraum Stuttgart, ist der Mindestlohn kein Thema, da werden höhere Löhne gezahlt. Sondern es gibt letztlich gerade wahrscheinlich in Ostdeutschland ein größeres Problem in Gegenden, wo eben Dienstleistungen nur mit niedrigen Löhnen nachgefragt werden. Da wird es ein großes Problem und da wird es die Not sicher verursachen, dass einzelne Arbeitgeber dagegen vorgehen. 

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