Tsai Ing-wen war von 2016 bis 2024 Präsidentin Taiwans, zuvor war sie unter anderem Vizepremierministerin, Ministerin, Vorsitzende ihrer Partei DPP und Abgeordnete. Die 69-Jährige ist im Rahmen der „Freedom Week“ in Berlin zu Gast und sprach am Montag mit dem Nachrichtensender WELT.

WELT: Sie waren acht Jahre lang Präsidentin Taiwans. Wie hat sich das Land in dieser Zeit verändert?

Tsai Ing-wen: Es war eine Zeit vieler Ereignisse, ich konnte sie gemeinsam mit den Menschen meistern. Wir haben mit Covid-19 eine Pandemie erlebt. Dann den Handelskrieg zwischen China und den USA. Wir sehen ein viel selbstbewussteres und aggressiveres China. Heute ist unsere Gesellschaft widerstandsfähiger. Unsere Verteidigungsfähigkeit hat sich erheblich verbessert. Wir hoffen, dass wir am Ende mehr Integration mit dem Rest der Welt erreichen und Hilfe bekommen, wenn wir mit einer massiven chinesischen Präsenz konfrontiert sind.

WELT: Chinas Staatspräsident Xi Jinping droht immer wieder mit einer Invasion der Insel. Viele Menschen fragen sich, ob Taiwan dies militärisch abwehren könnte. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Tsai: Angesichts der Größe des Militärs auf beiden Seiten ist China militärisch deutlich überlegen, da bin ich mir sicher. Aber wir in Taiwan haben unsere Verteidigungsfähigkeit gestärkt und die Bevölkerung auf eine mögliche Invasion oder andere Eventualitäten vorbereitet. Wir haben viel in die militärische Stärke investiert und gleichzeitig die Resilienz der Bevölkerung aufgebaut und die Menschen auf jegliche Herausforderung vorbereitet, die über die Straße von Taiwan kommen könnte.

WELT: Ein US-Gesetz verpflichtet Washington, Taiwan zu unterstützen, sollte es zu einem Angriff durch China kommen. Aber es ist nicht klar, wie diese Unterstützung konkret aussehen würde. Fürchten Sie, dass US-Präsident Donald Trump einen Deal mit Peking über das Bündnis mit Taiwan stellen könnte?

Tsai: Taiwan ist strategisch so wichtig, dass es nicht einfach für Handel oder Austausch geopfert werden kann. Wir sind der Schlüssel für zukünftige Technologie und wirtschaftliche Entwicklung, besonders im KI-Zeitalter, Stichwort Halbleiter. Wir haben Jahrzehnte in den Aufbau dieser Fähigkeiten investiert, das lässt sich nicht kurzfristig ersetzen.

WELT: Experten warnen vor einem Szenario, in dem China die Häfen Taiwans blockiert. Ihr Land ist extrem abhängig von Energieimporten und gleichzeitig der weltgrößte Halbleiterproduzent der Welt, vor allem für KI. Wie würde Taiwan versuchen, eine solche Blockade zu überwinden?

Tsai: Es ist eine Herausforderung, aber aus unserer Sicht noch beherrschbar. Wir haben in den vergangenen Jahren Alternativen zu importierter Energie entwickelt, und gleichzeitig dezentralisieren wir die Stromversorgung, um widerstandsfähiger zu werden.

WELT: Taiwans Chip-Riese TSMC baut derzeit neue Fabriken, auch in Deutschland bei Dresden. Ist das ein strategischer Schritt, um die Produktion abzusichern und bei einem Angriff auf Taiwan schnell moderne Technologie hochfahren zu können?

Tsai: Die Investition macht wirtschaftlich Sinn, besonders für die deutsche Autoindustrie. Wir müssen alternative Lieferquellen für unsere Kunden schaffen, da Taiwan mit 23 Millionen Menschen klein ist und die Nachfrage groß. Die Produktion im Ausland ist eine logische Konsequenz. Gleichzeitig besteht immer das Risiko einer chinesischen Invasion. Die Diversifizierung der Produktion an verschiedenen Orten ist ein Weg, dieses Risiko zu managen.

WELT: An TSMC sehen wir: Deutschland und Taiwan sind bereits starke Handelspartner. Was kann die deutsche Regierung konkret tun, um Taiwan zu unterstützen und seinen Status als selbstverwaltete Insel zu bewahren? Ist jetzt für Taipeh der richtige Zeitpunkt, politische Unterstützung in Deutschland zu suchen?

Tsai: Wir brauchen politische Unterstützung der großen Länder. Die Erklärung der deutschen Regierung, dass das Gewaltverbot der UN-Charta auch für Taiwan gilt, ist für uns sehr wichtig. Außerdem hat Deutschland ein Marineschiff durch die Taiwanstraße geschickt – ein deutliches Zeichen für das deutsche Interesse. Die Taiwanstraße ist für 50 Prozent des Welthandels und die durchfahrenden Schiffe essenziell. Sie darf nicht von jemandem kontrolliert werden, dem man nicht vertraut.

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