In der schwarz-roten Koalition bahnt sich ein handfester Konflikt um die geplanten weiteren Schritte zur Begrenzung der Migration an. Teile der SPD-Fraktion im Bundestag wollen dem bisherigen Gesetzentwurf nicht zustimmen, mit dem die Regierung die Reform des EU-Asylsystems umsetzen und dafür nationales Recht anpassen will. Einer solchen Gesetzesänderung müsste der Bundestag mit Mehrheit zustimmen – um das zu verhindern, haben sich SPD-Abgeordnete nach WELT-Informationen mit den Grünen zusammengetan.

„Die AG Migration und Vielfalt der SPD sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht von Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich entschieden gegen die im Bundestag eingebrachten Anpassungsgesetze zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) aus und fordern die Ablehnung der Gesetze“, heißt es in einer von Politikern beider Parteien formulierten Erklärung.

„Die Möglichkeiten zugunsten der Schutzsuchenden werden an entscheidenden Stellen nicht genutzt – Spielräume für Verschärfungen hingegen gehen voll zulasten der Schutzsuchenden und in teilweise EU-rechtswidriger Weise sogar darüber hinaus“, kritisieren die Migrationspolitiker von SPD und Grünen in ihrem Papier. Die Mitglieder der Fraktionen beider Parteien sowie Vertreter von rot-grün regierten oder mitregierten Länder werden aufgefordert, den Gesetzentwurf „im Bundestag und im Bundesrat abzulehnen“.

„Die von der EU geplante Reform des Asylsystems lässt Spielraum bei der Auslegung, und die Bundesregierung hat sich mit diesem Gesetzentwurf für eine maximal restriktive Umsetzung entschieden. Das tragen wir nicht mit“, sagt Aziz Bozkurt, Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, WELT. Der Arbeitsgruppe gehören auch mehrere Abgeordnete der SPD-Fraktion im Bundestag an. „Der Leitgedanke ‚So hart es geht‘, der dahintersteht, wird nicht fruchten: Das wird nicht dazu beitragen, dass die AfD schwächer wird, und auch nichts an Einsparungen bringen.“

Diese Ankündigung von Widerstand und der rot-grüne Schulterschluss in dieser Frage sind deshalb brisant, weil sich die schwarz-rote Koalition im Bundestag nur auf eine verhältnismäßig knappe Mehrheit stützen kann. Bei Abstimmungen zur Begrenzung der Migration muss die Koalition mit Ablehnung von Grünen und Linken rechnen, weil beiden Fraktionen die geplanten Maßnahmen häufig zu weit gehen. Aus der AfD kommt in aller Regel Widerspruch, weil dort entsprechende Initiativen als nicht weitgehend genug angesehen werden. Union und SPD sind also für erfolgreiche Gesetzesinitiativen auf Geschlossenheit angewiesen.

„Diese Koalition hat eine Mehrheit von zwölf Stimmen, und nach der Stimmungslage in der Fraktion haben mehr als zwölf Mitglieder erhebliche Vorbehalte, diesem Gesetz zuzustimmen. Dessen sollte sich die Fraktionsführung bewusst sein“, warnt Bozkurt die Spitze der SPD-Fraktion. Dass Teile der SPD ein Gesetz zur Begrenzung der Migration scheitern lassen würden und sich dafür auch noch mit den oppositionellen Grünen zusammentun, hat Sprengkraft und könnte die ohnehin angespannte Stimmung in der Koalition massiv belasten.

Die Abgeordneten der SPD lehnen vor allem die in dem Gesetzentwurf geplanten sogenannten Aufnahmeeinrichtungen für die Sekundärmigration ab. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, in die Asylbewerber untergebracht werden können, für die eigentlich ein anderer EU-Staat zuständig ist. Die Bewegungsfreiheit der betreffenden Migranten soll laut Plan eingeschränkt werden können. Wie die Details konkret ausgestaltet werden, ist allerdings noch offen.

Politiker von SPD, Grünen und der Linken fürchten haftähnliche Bedingungen. Und sie kritisieren, dass davon auch Kinder betroffen sein könnten. Ein weiterer Kritikpunkt sind geplante Einschränkungen bei der anwaltlichen Beratung von Asylbewerbern in den genannten Einrichtungen.

SPD-Migrationspolitiker wollen auch auf Linke zugehen

Union und SPD hatten sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, die EU-Asylreform „noch in diesem Jahr ins nationale Recht“ umzusetzen, wie es auf Seite 94 heißt. Bereits im Juni hatte das Haus von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) einen entsprechenden Referentenentwurf vorgelegt. Allerdings dauerte es mehrere Wochen, bis das Kabinett sich auf eine gemeinsame Version einigen konnte. Grund: Zweifel in Teilen der SPD.

„Ich bin parteipolitisch unterwegs, ich bin nicht Teil der schwarz-roten Koalition“, sagt Bozkurt, der Sozialstaatssekretär im Berliner Senat ist. „Aber auch ich stelle den Koalitionsvertrag nicht infrage. Nur: Die Punkte, die wir im Gesetzentwurf kritisieren, stehen nicht im Koalitionsvertrag. Nichts davon wurde vorab vereinbart, also kann man es rausverhandeln. Da sind wir uns mit den Grünen einig.“ Um weiter auf die Migrationsgesetzgebung Einfluss nehmen zu können, will die AG Migration der SPD auch auf Politiker der Linken zugehen.

Vorbehalte gegenüber einer Verschärfung der Migrationspolitik, wie sie Innenminister Dobrindt plant, sind in der SPD weit verbreitet. Auch er sehe die Aufnahmezentren für die Sekundärmigration „kritisch“, hatte der SPD-Abgeordnete und stellvertretende Sprecher der Arbeitsgruppe Inneres seiner Fraktion, Hakan Demir, WELT jüngst gesagt. Die Bedingungen in diesen Zentren seien oft nicht menschenwürdig, der Kontakt zu Anwältinnen und Anwälten sowie Beratungsstellen sei erschwert. Demir kündigte bereits im September an: „Im parlamentarischen Verfahren werden wir jetzt genau hinschauen und kritisch nachbessern.“

Deutlicher wurden Vertreter der SPD-Linken. Er finde es „besonders problematisch, dass Geflüchtete monatelang in einer Art Lockdown festgehalten werden können“, sagte Jan Dieren, Vorsitzender des parteilinken Forums DL 21, jüngst der „Zeit“. Man gehe an die Grenze dessen, „was das Grundgesetz, die EU-Grundrechtecharta und die Genfer Flüchtlingskonvention zulassen“, hatte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung und SPD-Politikerin Natalie Pawlik bei der Debatte zur ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag am 9. Oktober erklärt.

Das Vorgehen der Sozialdemokraten stößt beim Koalitionspartner Union auf Unverständnis. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylstems sei noch in Zeiten der Ampel-Koalition von den damaligen Ministerinnen Nancy Faeser (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) ausgehandelt worden, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), WELT. „Der SPD war es in den Koalitionsverhandlungen sehr wichtig, dass es umgesetzt wird. Es wäre seltsam, wenn die Koalition jetzt in der Migrationspolitik hinter dem zurückbleiben würde, was zur Zeit der Ampel-Regierung vereinbart wurde. Denn wir haben uns ja eine andere und konsequentere Migrationspolitik im Koalitionsvertrag zum Ziel gesetzt“, so Throm. „Wir müssen jetzt die Möglichkeiten des Europäischen Asylsystems voll ausschöpfen, um eine bessere Steuerung und Begrenzung der Migration nach Deutschland zu erreichen.“

Ricarda Breyton schreibt seit vielen Jahren über Migrationspolitik.

Nikolaus Doll berichtet über die Unionsparteien und die Bundesländer im Osten.

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