Glaubt man den Gerüchten in Moskau, könnte der russische Präsident bald einen seiner engsten politischen Mitstreiter entlassen. Der 76-jährige Sergej Lawrow, seit zwei Jahrzehnten Wladimir Putins Außenminister, soll aus der Gunst seines Chefs gefallen sein. Am vergangenen Mittwoch, als Putin in einer penibel inszenierten Sitzung des russischen Sicherheitsrats eine mögliche Wiederaufnahme von Atomtests ankündigte, fehlte Lawrow. Als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats hätte er eigentlich dabei sein müssen.
Seine Abwesenheit sei „abgesprochen“ gewesen, berichtete eine anonyme Quelle der Zeitung „Kommersant“. Am vergangenen Donnerstag kündigte Putins Pressesprecher Dmitri Peskow an: Beim G-20-Gipfel in Johannesburg Ende des Monats wird der russische Delegationsführer nicht Lawrow heißen. Stattdessen schickt Putin Maxim Oreschkin nach Südafrika, einen einflussreichen Vizechef seiner Präsidialadministration, der deutlich jünger ist als Lawrow.
Putin soll mit Lawrow unzufrieden sein, weil das angeblich kurz bevorstehende Treffen mit Donald Trump in Budapest geplatzt ist – infolge eines unglücklich verlaufenen Telefonats Lawrows mit seinem amerikanischen Amtskollegen Marco Rubio. Das berichtete die im Exil erscheinende „Moscow Times“.
Am Freitag wies Putin-Pressesprecher Peskow Spekulationen über Lawrow zurück. Auf die Frage, ob Lawrow im Amt bleiben werde, antwortete Peskow kryptisch: „Zweifellos, Lawrow arbeitet als Außenminister.“
Wie zufrieden Putin mit Lawrow wirklich ist, lässt der Kreml also nicht durchblicken. Putin ist bei Personalfragen, die seinen engsten Kreis betreffen, allerdings sehr zaghaft. Er brauchte zwei Jahre, um den unpopulären Verteidigungsminister Sergej Schoigu in ein anderes Amt zu versetzen.
Dabei waren Schoigus Verfehlungen eindeutig. Politisch hatte er die spektakulären Misserfolge der ersten Wochen der russischen Großinvasion der Ukraine zu verantworten. Dass Putin im Falle Lawrows anders verfahren könnte, obendrein ohne handfeste Kritikpunkte, ist also fraglich.
Zwar heißt es schon seit Langem, Lawrow sei seines Amtes überdrüssig geworden, das er im März 2004 antrat. Doch einfach so gehen kann er nicht. Außerdem wäre es verfehlt, Lawrow als einen eigenständigen und selbstverantwortlich agierenden Politiker zu sehen: Zumindest gegenüber dem Westen ist er längst zum bloßen Sprachrohr der Politik Putins verkommen.
Die Gerüchte um Lawrows politische Zukunft sind eher ein Symptom für die Unzufriedenheit der russischen Führung mit den Amerikanern. Nach dem aus russischer Sicht zunächst vielversprechenden Gipfeltreffen in Alaska entwickelt sich der Dialog mit der Regierung Trump anders als erhofft. Frust empfindet nicht nur Trump, der gegenüber Putin zwischen Lob und Drohungen changiert.
Im Kreml dürfte eine ähnliche Gefühlslage vorherrschen. Auf die vorläufige Absage des Treffens in Budapest folgten neue US-Sanktionen, die ersten in der zweiten Amtszeit Donald Trumps: gegen die russischen Ölkonzerne Rosneft und Lukoil.
Das macht den Kreml nervös
In der Ukraine besteht Trump plötzlich auf einen Waffenstillstand, aber für den Kreml ist das untragbar. Die Frage nach der Lieferung von US-Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk an Kiew ist noch immer offen. Im Kreml ist man nervös.
Trump will sie vorläufig nicht liefern, er könne aber seine Entscheidung ändern, wie er vergangene Woche sagte. Das wäre ein Rückschlag für Russlands Bemühungen, die Zusammenarbeit mit den USA vom Ukraine-Krieg abzukoppeln und die bilateralen Beziehungen zu normalisieren.
Bislang reagieren Putin und sein Umfeld auf Trumps Äußerungen mit anhaltender Schmeichelei. Sie scheint von Trumps politischem Handeln losgelöst zu sein. Überdies äußern die Russen immer wieder Kritik an Trumps Vorgängern, vor allem an Joe Biden. In den vergangenen Wochen lobte der russische Präsident selbst seinen US-Amtskollegen wiederholt. Trump bemühe sich, „Jahrzehnte währende Krisen“ zu lösen. Der Republikaner hört das zweifellos gern.
Kirill Dmitrijew, eine der Schlüsselfiguren des russischen Verhandlungsteams, schrieb in den sozialen Medien dutzende Posts über Charlie Kirk und kritisierte die „Fehler von Joe Biden“. Nikolai Patruschew, Putins engster sicherheitspolitischer Einflüsterer und ehemals Sekretär des russischen Sicherheitsrats, sprach plötzlich über die Perspektiven der bilateralen Zusammenarbeit in der Arktis und lobte Trumps „pragmatische Politik“.
Eigentlich ist Patruschew dafür bekannt, über die angebliche Verschwörung der „Angelsachsen“ gegen Russland zu schwadronieren. Der Kreml halte sich an einem Strohhalm fest, schreibt der Russland-Experte Andrey Pertsev in einer Analyse für die US-Denkfabrik Carnegie.
Im Putin-Umfeld scheint trotz allen Rückschlägen noch Hoffnung zu herrschen. Das erklärt die Versuche der kremlnahen russischen Elite, weiterhin um Trumps Aufmerksamkeit zu buhlen. Daran beteiligt sich auch Lawrow. Am Sonntag publizierte die staatliche Nachrichtenagentur RIA unerwartet ein Interview mit dem russischen Außenminister – in Textform. Normalerweise äußert sich Lawrow im Fernsehen.
Es gebe „gewisse Schwierigkeiten“ aufseiten der Amerikaner, Wolodymyr Selenskyj sperre sich weiterhin gegen die „Erlangung des Friedens“, so Lawrow in dem Interview. Auch Brüssel und London versuchten, Washington zu beeinflussen und endgültig zu einem „Teil der Partei des Krieges“ zu machen. Es gebe viele „Reizpunkte“ in den bilateralen Beziehungen, diese habe man von der „vorherigen US-Regierung“ geerbt.
Bei der Trump-Administration habe man wiederum die „Bereitschaft gespürt, den Dialog wieder aufzunehmen“, doch dabei laufe es „nicht so schnell“ wie man sich das wünschen würde, so Lawrow. Er und Rubio seien bereit zu einem Treffen. Auch Lawrow liefert also die üblichen Beschwörungen: Das Problem sei in Kiew, Brüssel und London zu suchen, nicht in Washington.
Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.