Nach Ansicht der EU-Kommission ist der Migrationsdruck in Deutschland noch nicht so hoch, dass Berlin ohne Weiteres beantragen kann, bis Ende 2026 keine zusätzlichen Migranten mehr aufnehmen zu müssen oder auf Solidaritätsbeiträge wie Geld- und Sachleistungen an andere EU-Länder zu verzichten. Brüssel diagnostiziert im erstmals vorgelegten jährlichen EU-Migrationsreport für Deutschland aufgrund der aktuellen Entwicklungen lediglich das „Risiko von Migrationsdruck“. Es könnte demnach ein „bestimmter Druck auf das Asyl,- Migrations- und Aufnahmesystem entstehen.“

Allerdings sollen laut EU-Kommission bei der Bewertung der Migrationslage im Land auch die bisherigen Leistungen Deutschlands bei der Aufnahme von Flüchtlingen – insbesondere aus anderen EU-Ländern im Rahmen des sogenannten Asyltourismus – anerkannt werden. „Deutschland hat bereits sehr viel an Solidarität geleistet“, sagte der zuständige EU-Innenkommissar Magnus Brunner am Dienstagabend in Brüssel.

Alles zusammengenommen führt dazu, dass die Bundesregierung darüber verhandeln kann, dass Migranten, die eigentlich in einem anderen EU-Land wie Italien oder Spanien Asyl beantragen müssten (‚Dublin-Verfahren‘), dies in Deutschland tun können und im Gegenzug die Bearbeitung eines solchen Asylantrags auf die im sogenannten Solidaritätsmechanismus festgesetzten Aufnahmequoten angerechnet wird (‚responsibility offsets‘).

Zudem wird Deutschland bei der Bewältigung von Migration technische, personelle und finanzielle Hilfen aus Brüssel beantragen können (‚EU Migration Support Toolbox). In einer ähnlichen Lage wie Deutschland befinden sich laut EU-Kommission Belgien, Irland, die Niederlande, Frankreich, Polen, die baltischen Staaten und Finnland.

Die Bewertung der jeweiligen Migrationslage in den 27 EU-Ländern durch die EU-Kommission ist politisch brisant. Sie ist Grundlage für die finale Entscheidung der Staats- und Regierungschefs, ob und gegebenenfalls wie viele Migranten einzelne EU-Länder aus anderen Mitgliedsländern der Union aufnehmen müssen, weil diese überlastet sind. Mit dieser Entscheidung wird der sogenannte Solidaritätspool festgelegt, also die Summe aller Migranten, die innerhalb der EU umverteilt werden müssen.

Gleichzeitig bestimmen die Regierungschefs aber auch, welches Land wie viele Migranten im Rahmen der Umverteilung aufnehmen muss. Es geht dabei vor allem darum, die Mittelmeeranrainer Zypern, Griechenland, Spanien und Italien zu entlasten, wo die meisten Flüchtlinge aus Afrika erstmalig europäischen Boden betreten. Brüssel hat festgestellt, dass diese vier Länder – anders als Deutschland – tatsächlich unter „Migrationsdruck“ stehen und dort nicht nur ein Risiko für eine Überlastung besteht. Darum haben diese Staaten auch ab Juni 2026, wenn die neue EU-Asylpolitik in Kraft tritt, ein Recht darauf, dass ihnen von anderen Mitgliedstaaten Migranten abgenommen werden.

Schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe: diejenigen Länder, die aufgrund der Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre vor einer „ausgeprägten Migrationslage“ stehen. Dazu gehören etwa Österreich und Tschechien. Diese Länder können beantragen, dass sie teilweise oder ganz von Solidaritätspflichten befreit werden.

Der Bericht zur Migrationslage ist Teil der EU-Asylreform, die Mitte 2026 in Kraft treten soll. Neben beschleunigten Grenzverfahren ist in der Reform auch ein sogenannter Solidaritätsmechanismus vorgesehen, wonach aus Ländern mit hohen Ankunftszahlen jährlich rund 30.000 Geflüchtete auf andere EU-Staaten verteilt werden sollen (‚relocation‘). Die Zahl kann aber je nach Lage deutlich höher oder niedriger als 30.000 sein.

Insgesamt verringert sich der Migrationsdruck in der EU. „Die illegale Migration ist im vergangenen Jahr um 35 Prozent zurückgegangen“, sagte Kommissar Brunner. Er verwies darauf, dass insbesondere die Abkommen mit Drittstaaten wie Tunesien und ein verbesserter Grenzschutz wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen hätten.

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